Eine Aufführung von „Wilhelm Tell“ inspirierte den gelernten Schlosser und späteren Kabarettisten, Theaterschauspieler zu werden.
Teil der „Machtwächter“Nachruf auf den Kölner Kabarettisten Heinz Herrtrampf

Heinz Herrtrampf und Wiltrud Fischer im Jahr 1972
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„Hin und wieder trifft der Köln-Bummler ein schönes, schwarz gewandetes Paar in der Stadt. Alterslos jung, gelassen, heiter und ganz offensichtlich mit sich im Reinen.“ So beginnt der Artikel, mit dem der „Express“ im März 1996 das 30-jährige Bestehen des Kabaretts „Die Machtwächter“ würdigte. Die „Machtwächter“ – das waren Heinz Herrtrampf und Wiltrud Fischer, die das Blatt „zwei Kultfiguren Kölns“ nannte.
Der Autor des Texts, Werner Aschemann, bescheinigte den beiden, sie könnten „böse werden wie kaum ein anderes Kabarett in Deutschland“. Schärfe und Bissigkeit gehörten zur „heiteren Aufklärung“, von der ein paar Jahre später der Kunstkritiker Walter Vitt sprach, als er die Laudatio bei der Verleihung des Ehrentheaterpreises der Stadt Köln an die „Machtwächter“ hielt.

„Ein schönes, schwarz gewandetes Paar“, nannte der Express 1996 Heinz Herrtrampf und Wiltrud Fischer.
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Darin fand er auch persönliche Worte: „Ihr habt als künstlerisches Paar und als privates Paar durchgehalten. Das ist euer Erfolgsgeheimnis. Das hat es möglich gemacht, dass die Wärme, die von euch ausgeht, von eurem Publikum als wohlig empfunden wird.“ 35 Jahre bespielten sie das kleine Kellertheater in der Gertrudenstraße, bevor sie sich ins Privatleben zurückzogen. Im vorigen Dezember starb Heinz Herrtrampf im Alter von 89 Jahren.
Vom Schlosser zum Theaterschauspieler
Geboren wurde er im Februar 1935 im niederschlesischen Lauban. Sein Vater leitete ein Wasserwerk, seine Mutter war Hausfrau. Als er zehn war, floh die Familie nach Sachsen und fand in der Nähe von Chemnitz ein neues Zuhause. Nach dem Schulabschluss begann er eine Schlosserlehre, wurde dann technischer Zeichner und arbeitete im Stahl-Hoch- und Brückenbau. Doch seitdem er mit Kollegen „Wilhelm Tell“ gesehen hatte, zog es ihn zum Theater.
An der Schauspielschule in Leipzig bestand er die Aufnahmeprüfung. Als sie kurz darauf schloss, besuchte er die Staatliche Schauspielschule Berlin. Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 sah Herrtrampf für sich keine Zukunft mehr in der DDR und ging in den Westen.
Da er in einer „Stadt am Fluss“ habe leben wollen, sei die Wahl auf Köln gefallen, erzählt Wiltrud Fischer. Der Anfang war schwer. Zunächst arbeitete er wieder als Schlosser. Gleichzeitig ging er auf die Kölner Schauspielschule, die dem Theater der Keller angeschlossen war, und vervollkommnete seine Ausbildung. Mit Stückverträgen ging es nach Bonn, Wuppertal und Kassel.

Heinz Herrtrampf 1962
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Als er ein Engagement an einer Bühne im holsteinischen Grömitz hatte, machte er Heimaturlaub in Köln und stattete dem Theater der Keller einen Besuch ab. An dessen Schule ließ sich zu dieser Zeit Wiltrud Fischer zur Schauspielerin ausbilden.
Halbtags arbeitete sie als Sekretärin beim „Kölner Stadt-Anzeiger“, abends machte sie die Kasse im Theater. Dort tauchte Heinz Herrtrampf auf, tat so, als wolle er eine Karte kaufen – und begann zu flirten. Der Funke sprang über. Bald waren er und Wiltrud Fischer unzertrennlich.
1962 bekam Herrtrampf ein Engagement im drei Jahre zuvor eröffneten Senftöpchen-Theater. Wiltrud Fischer ging nach ihrer Ausbildung ans Stadttheater Aachen. Um gemeinsam eine Wohnung im Belgischen Viertel beziehen zu können, heirateten die beiden 1964. Im Jahr darauf wechselte Wiltrud Fischer an die Hamburger Kammerspiele der von ihr hochgeschätzten Ida Ehre.
Der Traum vom eigenen Kabarett
Eines Tages sagte Herrtrampf seiner Frau, er wolle mit ihr ein eigenes Kabarett eröffnen. Sie zweifelte: Sollte sie dafür ihre Schauspielkarriere aufgeben? Gut erinnert sie sich daran, wie Ida Ehre reagierte: „Sie nahm mich in den Arm und sagte: ‚Kind, das musst du machen.‘“

Anlässlich der 1000. Vorstellung des Programms „Ihr schönster Tag“ im Januar 1992 erschienen die Gäste in Hochzeitkleidung (v. l.): Max Schautzer, Heinz Herrtrampf, Wiltrud Fischer, Hanns Dieter Hüsch und Christiane Rasche-Hüsch
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Wiltrud Fischer kehrte nach Köln zurück. Während sie eine Weile im Theater am Dom spielte, liefen bereits die Kabarett-Proben. Am 1. März 1966 wurde Eröffnungspremiere in der Gertrudenstraße gefeiert. „Vielversprechend, aber bitte mehr Charme“, urteilte ein Kritiker über das erste Programm.
Ein anderer fand es „scharf, aber humorlos“. Von solcher Skepsis ließen sich die „Machtwächter“ nicht beirren. Zum Ensemble gehörten anfangs außer dem Gründer-Ehepaar Rainer Hannemann und Max Kellas. Im selben Jahr kam Wolfgang „Wully“ Hoyer dazu; er sollte den „Machtwächtern“ als Pianist und Komponist bis zum Schluss treu bleiben. Die beiden Schauspiel-Kollegen schieden 1971 und 1975 aus. Seit 1976 verstärkte der Gitarrist Gerd Mersch das Kollektiv.
Um diese Zeit hatte sich das Kabarett längst etabliert. Und eine Wandlung durchgemacht, zu der Heinz Herrtrampf 1978 in einer „Hallo Ü-Wagen“-Sendung des WDR anmerkte: „Am Anfang waren wir schon lustig. Das änderte sich dann durch die Apo-Zeit, da war halt Agitprop-Kabarett gefragt.“ Das „Spielerische“ sei in den Hintergrund getreten – nach einigen Jahren aber zurückgekehrt: „Wir sind jetzt wieder kulinarischer geworden.“ Gleichwohl scheute Herrtrampf nicht den Anspruch der „System-Kritik“.
1970 nannte eine Zeitung das Kabarett-Kollektiv, das auch mit Nackt-Auftritten provoziert hatte, „Deutschlands radikalste Oppositionstruppe“. Mit Blick auf das Programm „Patienten, wollt ihr ewig leben?“ lobte wieder eine andere Zeitung 1974: „Wer bisher der Meinung war, der Kleinkunst in der Bundesrepublik sei die Puste ausgegangen, wird hier eines Besseren belehrt.“ Mit dem „Patienten“-Programm schlugen die „Machtwächter“ eine neue Richtung ein; nach den Worten von Herrtrampf war es die „konsequente Abkehr vom Nummern-Programm und das Durchziehen eines großen Themas“.
Vom Kabarett zu leben war nicht einfach
Das Gesundheitssystem konnte ebenso herhalten wie die Justiz. „Ich bewundere die beiden, das ist hier immer der 100-prozentige Einsatz“, sagte Günter Hefft, der seit 1974 bei allen Programmen Regie führte, über das Paar. Unter den Textern ist an erster Stelle Joachim Hackethal zu nennen. Am meisten Spaß machte es ihm, mit den Kabarettisten das Programm „Ihr schönster Tag“ zu erarbeiten, das auf witzige Weise das Verhältnis von Mann und Frau thematisiert. Es wurde zum größten Erfolg der „Machtwächter“ und 1077 Mal gespielt. 1975 bekamen sie dafür den Deutschen Kleinkunstpreis.
Doch vom Kabarett zu leben, war nicht einfach. Subventionen seien „nie so recht, eher spärlich und unregelmäßig“ geflossen, schrieb die „Frankfurter Rundschau“ 1978. Immerhin habe die Stadt „Inszenierungshilfen“ gewährt. Da es sich keine Angestellten leisten konnte, erledigte das Paar alles selbst; im Theater traf man es an der Kasse, der Garderobe und am Ausschank an. Heinz Herrtrampf kümmerte sich zudem um die Buchhaltung und Korrespondenz.
Seine Frau verdiente dazu, indem sie für den WDR unter anderem als Sprecherin arbeitete. Zusammen waren die beiden in der WDR-Satire „irre!“ zu sehen, die das System der Nervenkliniken anprangerte. Wegen der zeitraubenden Arbeit kam Nachwuchs nicht infrage, „obwohl wir Kinder sehr lieben“, wie Heinz Herrtrampf sagte.
„Kann es auch Liebe sein?“
Wiltrud Fischer wunderte sich, dass sie in Interviews immer wieder gefragt wurde, wie sich Ehe und Zusammenarbeit vereinbaren ließen. Im Nachhinein formuliert sie es mit einer rhetorischen Frage: „Kann es auch Liebe sein?“ Das Ende der gemeinsamen Bühnenexistenz kam 2001, der TÜV machte einen Umbau zur Auflage, den sich die Kabarettisten nicht mehr zumuten wollten. Sie beschlossen, nach dem 66. Geburtstag von Heinz Herrtrampf das 35-jährige Bühnenjubiläum zu begehen und die „Machtwächter“ aufzulösen.
„Manche Schauspieler wünschen sich ja, auf der Bühne tot umzufallen – ich nicht“, sagte Heinz Herrtrampf. Auf der letzten Strecke bekamen er und seine Frau für ihr Gesamtwerk den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen zuerkannt, außerdem den Kölner Ehrentheaterpreis. Bei dessen Verleihung sagte Angela Spizig, seinerzeit Bürgermeisterin: „Wenn Sie jetzt gehen, wird das politische Kabarett nicht nur in Köln, sondern im ganzen Land ärmer.“ Ihren Eindruck von den Vorstellungen fasst sie heute so zusammen: „Kritisch, modern, sexy und intellektuell brillant.“
Zur Abschiedsvorstellung am 31. März 2001 kamen Fans und Freunde des Paars, darunter die ehemaligen Bundesminister Jürgen Schmude und Gerhart Baum, Kabarettist Jochen Busse und Senftöpfchen-Prinzipalin Alexandra Kassen. Ebenso Friedhelm Mennekes, damals Pfarrer an der Jesuitenkirche Sankt Peter, der über Heinz Herrtrampf und Wiltrud Fischer einmal geschrieben hatte: „Sie haben eine befreiende Ausgelassenheit und einen tiefen Humor, der einen wirklich zum Lachen verleitet und dann über die eigene Reaktion erschrecken lässt.“
Auf Ibiza hießen sie Juan und Gine
Nach der Schließung der Bühne verbrachte das Paar viel mehr Zeit als früher auf Ibiza, wo es seit den 60er Jahren immer wieder Urlaub gemacht hatte. 1983 wechselten die beiden, die sich auf der Insel Juan und Gine nennen ließen, die Unterkunft; seitdem wohnten sie weiter entfernt von der Küste, aber noch in Sichtweite des Meers. Sie trafen Freunde, lasen viel und teilten das Interesse an Kunst, das sie alle zwei Jahre zur Biennale führte.
Um das Jahr 2020 spürte Heinz Herrtrampf erste Anzeichen von Alzheimer. Eine Untersuchung ergab, dass er unbemerkt zwei Schlaganfälle gehabt hatte. Bis 2022 konnte er auf der Insel noch Auto fahren. Schließlich blieben er und seine Frau in Köln. Die „Übergangszeit“ sei schwer gewesen, sagt Wiltrud Fischer und meint damit die Phase, in der ihr Mann den Schwund seiner geistigen Fähigkeiten registrierte. Im Sommer 2024 zog er in ein Seniorenheim in Sürth um. Dort starb er am zweiten Weihnachtstag.
„Ich trauere um einen Freund und einen der größten Kabarettisten Deutschlands“, schrieb der Schriftsteller und Journalist Edgar Franzmann. Werner Aschemann, der jenen Artikel zum 30. Bühnenjubiläum verfasst hat, sagt über Herrtrampf, er sei ein „geradliniger, politischer Mensch“ gewesen, ein „ernsthafter Kabarettist, der nie über seine eigenen Witze lachte“.
Am 90. Geburtstag ihres Mannes übergab Wiltrud Fischer auf Ibiza im Beisein von Freunden seine Asche dem Meer.