Urlaub in der eigenen Stadt ist in diesem Jahr besonders gefragt. Wir stellen während der Sommerferien Kölner Veedel vor. Auch solche, in denen man vielleicht noch nie war.
Wir verraten, was besonders sehenswert ist und warum es sich lohnt, auch mal neue Ecken der Stadt zu entdecken. Ganz subjektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Dieses Mal geht es in das ehemalige Fischerdorf Niehl – hier wird es abseits der großen Industrie- und Logistikflächen richtig beschaulich.
Niehl – Wer anderen gerne bei der Arbeit zusieht, ist in Niehl genau richtig. Das ehemalige Bauern- und Fischerdorf ist ja längst ein Appendix des Gewerbegebietes mit Industrie und Logistik. Urlaub im Gewerbegebiet? Aber ja. Und es gibt drei Wege, sich Niehl zu nähern: zu Lande, zu Wasser und aus der Luft. Der Panoramablick aus 150 Metern Höhe ist atemberaubend und, zugegeben, exklusiv: Dom, Rhein, Siebengebirge, Ford-Werke, Niehler Hafen und Niehler Strand – der 45. Stock des Colonia-Hochhauses bietet das große Köln-Panorama, allerdings nur als Event-Location.
Aus luftiger Höhe wird klar: Auch unten auf dem Wasser ist es schön. Zum Beispiel auf der „MS Rheinland“. Auch die große Hafenrundfahrt ist ein Event. Für Speisen und Getränke ist gesorgt. Seit 2000 Jahren ist Köln Hafenstadt, und die Reiseführerin an Bord hat viel zu erzählen von Schiffen, Häfen, großer Arbeit. Da kann selbst der Kölner noch was lernen: über die Hanse- und Stadtfarben Weiß-Rot, das Stapelrecht, die Mietpreise in den Kranhäusern am Rheinauhafen und über Herkules, der einst die 24 Tonnen schwere Domglocke – den Dicken Pitter – vom Schiff aufs Ufer hievte.
Hinter der Mülheimer Brücke aber endlich Niehl. Im 19. Jahrhundert lag der Kölner Norden im preußischen Schießfeld, und es wurde scharf geschossen. Daran erinnert noch das schattig-kühle Wäldchen am Ufer, benannt nach dem ehemaligen preußischen Gouverneur Ludwig von Cranach (1818–1894). Das Highlight der Bötchentour aber ist der Hafen Niehl 1, an dessen vier Hafenbecken jedes Jahr 2,5 Millionen Tonnen Güter, vor allem Container, auf Lkw und Schiene umgeladen werden. Aber auch Schüttgüter wie Getreide, Maschinenteile, Heizöl, Papier. Vom Hafengleis fährt sogar ein Direktzug nach China.
Und da ist die „Atempause“, die Niehler Hafenkantine mit ihrer Terrasse direkt am Hafenbecken, mit Blick auf Kräne, Züge, Spediteure. Hier kocht Jolanta Brom eine leckere polnisch-deutsche Küche, und den ersten Kaffee gibt es morgens schon um sechs.
Wenn der Niehl-Reisende zuletzt die Hafenbrücke und den Molenkopf passiert und er von der Niehler Aue her von Spaziergängern, Picknickern, Drachensteigern und Radfahrern winkend gegrüßt wird, dann wird offensichtlich: Auch der Landweg hat was für sich. Lang fährt sich’s durchs Grüne und am Niehler Damm wartet dann das Sandkastenboot auf die Kleinen und auf die Großen das Linkewitz. Und das schon seit über 200 Jahren, es ist eines der ältesten Lokale Kölns. Das Niehler Dömchen, eine der kleinsten romanischen Kirchen Kölns, hat coronabedingt geschlossen.
Tipps
Konditorei & Café Robl, Sebastianstraße 105, bietet täglich frische Torten. Und auch das Schomdorfs in der Sebastianstr. 175 bietet exzellente Kuchen und Torten aus der hauseigenen Patisserie.
Über die Historie des „Dorfes“ erzählt das Buch „Niehl. Vom Fischerdorf zum Kölner Industrie-Vorort“ von Robert Christ und Josef Dollendorf. Verlag J.P. Bachem.
Bei Ford aber sind die Werksferien beendet, und wenn die Fertigung erst mal wieder auf Touren gekommen ist, will das Werk auch wieder Führungen anbieten. Und die seien dringend empfohlen, nicht nur den Fiesta-Fahrern. Ins Staunen gerät der Besucher auch in der benachbarten Müllverbrennungsanlage. Führungen gibt es auch hier wohl erst im Spätsommer wieder. Doch wer einmal in den glühenden Rachen der kolossalen Müllöfen geschaut hat, begreift erst die Dimension unseres tagtäglichen Wegwerfens – und wie sinnvoll Recycling und Wiederverwertung ist.
Deshalb sei auch ein anderer Besuch empfohlen: Das Second-Hand-Paradies der Emmaus-Brüder in der Geestemünder Straße 42.
Der Rückweg ist eine Spurensuche. Was ist vom Fischerdorf Niehl geblieben? Dafür braucht es eine Stärkung „Bei d’r Bunn“ in der Sebastianstraße 168. Der Name des Niehler Traditionslokals gehe auf den Spitznamen der Inhaberfamilie Lang zurück – lang wie eine Bohnenstange. Wirt Papadopolos Konstantinos empfiehlt dann die Route über den Drosselweg mit seinen prachtvollen Jugendstil-Villen oder über die Lachsgasse und den Niehler Damm. Da verstecken sich immer noch einige der winzigen Fischerhäuser, manches hinter Fliesen und Klinker, andere sind herausgeputzt wie eine Fischerkate in Dänemark. Wenn da keine Urlaubsstimmung aufkommt.