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Immer mehr ÜbergriffeSo wappnen sich Kölner Einsatzkräfte gegen Angriffe

Lesezeit 4 Minuten
O-Amt Einsatztraining Schlagstock

Trainer Marc Neuenfeldt (l.) zeigt Lea Rousseau Techniken zur Selbstverteidigung.

  1. Die Zahl der Übergriffe auf Kölner Polizeibeamte und den Ordnungsdienst steigt stetig, die Verwaltungskräfte werden im Einsatz beleidigt, beschimpft, bedroht und manchmal auch körperlich angegriffen.
  2. Aus diesem Grund schult die Stadt ihre Angestellten nun im bundesweit modernsten Schulungs- und Trainingsbereich.
  3. Der Workshop richtet sich an alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die im Auftrag der Stadtverwaltung im Außendienst eingesetzt werden.

Köln – Es ist der letzte Satz, den ein Randalierer hört, bevor ihn eine Ladung Reizgas trifft: „Halt! Stopp! Sonst gibt’s Pfeffer!“ Ordnungsdienst-Mitarbeiterin Lea Rousseau (Vorname geändert) zieht ihr Reizstoffsprühgerät aus einer Tasche am Oberschenkel, entfernt den Sicherungsring und hält die Dose mit ausgestreckten Armen vor die Brust, dem Angreifer entgegen. Hier, im Training, ist das nur eine Schaufensterpuppe.

Köln: Auch Mitarbeiter des Friedhofsamtes werden angegangen

Meistens genüge die Androhung schon, um eine eskalierende Situation zu befrieden, sagt Marc Neuenfeldt, Einsatztrainer beim Kölner Ordnungsamt. Aber: Immerhin viermal landete das stark brennende Spray voriges Jahr auch im Gesicht oder am Körper des Gegenübers – sofern der Schütze gut gezielt hatte.

Und genau das üben die 200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Kölner Ordnungsdienstes regelmäßig. Geschult in Abwehrtechniken, Kommunikation und Deeskalation werden aber auch die Einsatzkräfte des Verkehrsdienstes sowie die Streetworker des Jugendamtes und sogar Mitarbeiter des Friedhofsamtes – eigentlich alle, die im Auftrag der Stadtverwaltung Außendienst machen und in brenzlige Situationen mit unberechenbaren Personen geraten können. Die Verwaltungskräfte werden im Einsatz beleidigt, beschimpft, bedroht und manchmal auch körperlich angegriffen. 203 Strafanträge stellten allein die Kontrolleure des Kölner Ordnungsdienstes im Vorjahr, darunter waren 79 Widerstände und 21 Körperverletzungen. In diesem Jahr waren es bis Ende Mai 45 Strafanträge, davon 24 Widerstände und vier Körperverletzungen.

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O-Amt Pfefferspray

Johannes Lobenstein (r.) beim Training mit Reizgas

„Es wird leider immer aggressiver da draußen“, sagt Trainer Neuenfeldt, der an diesem Dienstagvormittag im Dienstgebäude in Junkersdorf die beiden Einsatzkräfte Lea Rousseau und Johannes Lobenstein (Vorname geändert) schult. Verletzt wurden die beiden bislang nicht, auch die Widerstände hielten sich in Grenzen. Erst kürzlich aber wurde einer ihrer Kollegen an Rosenmontag von einem Mann angegriffen und so schwer verletzt, dass er bis heute nicht arbeiten kann. Eine Mitarbeiterin der Verkehrsüberwachung wurde von einem Verkehrsteilnehmer mit heißem Kaffee überschüttet, ein Kollege von einem Autofahrer zu Boden geschlagen und gegen den Kopf getreten – er hatte dem Autofahrer bloß ein Parkknöllchen geben wollen.

„Die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, sinkt leider immer mehr“, hat Neuenfeldt festgestellt. Er hat selbst viele Jahre für das Ordnungsamt im Außendienst gearbeitet und weiß genau, wovon er spricht. „Block Eins! Block Zwei! Block Drei“, ruft er durch die große Turnhalle in den Katakomben des Dienstgebäudes. In voller Dienstmontur, also unter fast realen Bedingungen, bringen Rousseau und Lobenstein ihren Teleskopabwehrstock bei jeder Ansage in eine andere Position. Der so genannte TAS ist eine Abwehrwaffe, nur in Notwehrstituationen dürfen die Einsatzkräfte damit auch zuschlagen.

Kölner Ordnungsamt trainiert in ehemaligem RTL-Gebäude

Das Dienstgebäude an der Aachener Straße ist frisch saniert und gehörte früher RTL. Wo in den 80er Jahren bei „Alles nichts oder“ die Torten flogen und Hugo Egon Balder Länderpunkte bei „Tutti Frutti“ vergab, befindet sich seit April der bundesweit modernste Schulungs- und Trainingsbereich für städtische oder kommunale Bedienstete. „Wir wollen hier so viel Realitätsnähe simulieren wie möglich“, sagt Neuenfeldt.

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Hinter einer weiteren Tür in einem der weitläufigen unterirdischen Gänge befindet sich das so genannte „Sprühkino“. Vor einer abwaschbaren Wand steht eine Schaufensterpuppe, in ihrer Hand klemmt ein Schlagstock. Rousseau und Lobenstein trainieren den Einsatz ihres großen Reizstoffgerätes. Geübt wird mit einem Wasser-Sterilium-Gemisch. Das brennt zwar nicht in den Augen, riecht aber sehr intensiv. Daher ist das „Sprühkino“ gut belüftet, im Boden ist eine Rinne eingelassen, durch die die Flüssigkeit ablaufen kann. Lobenstein steht weniger als einen Meter von der Puppe entfernt, im wahren Leben wäre ein Sprühstoß ins Gesicht auf diese kurze Distanz zu gefährlich, das Verletzungsrisiko für das Gegenüber zu hoch. „Setz den Sprühstoß auf die Brust, das lenkt den anderen erstmal ab“, sagt Trainer Neuenfeldt.

Rollenspiele an nachgebautem Kneipentresen

O-Amt Training Kneipe

Rollenspiel am nachgebauten Kneipentresen

Gleich am Eingang des „Sprühkinos“ steht ein nachgebauter Kneipentresen, davor ein paar Barhocker. Rousseau und Lobenstein proben eine Gaststättenkontrolle, ihr Trainer mimt den Wirt. „Mein Ausweis? Habe ich nicht dabei“, antwortet Neuenfeldt auf die Bitte von Lobenstein, sich auszuweisen. „Irgendein Dokument, auf dem Ihr Name steht?“ – „Nein. Ich rufe jetzt meinen Chef an.“ Um das Szenario noch echter wirken zu lassen, kann auch das Licht gedimmt und über Lautsprecherboxen Musik eingespielt werden.

Künftig sollen hier unten auch Einsatzszenarien vor einer Leinwand geübt werden. Mehr als 8000 Videoclips haben Neuenfeldt und sein Team in den vergangenen Monaten aufgenommen, Kölner Feuerwehrleute waren die Schauspieler. In den kurzen Sequenzen sieht man zum Beispiel, wie ein Wildpinkler sich an einer Wand aufstellt oder wie ein Raucher eine brennende Zigarette auf die Straße wirft. In einem anderen Szenario will jemand unerlaubt Holz im Wald hacken, neben ihm lehnt eine Axt am Baum. Dies sind jeweils die Anfangsszenen. Abhängig davon, wie ein Trainingsteilnehmer auf die Clips reagiert, spielt Neuenfeldt am Laptop eine Folgesequenz ab – mal eskaliert eine Situation dann, mal gelingt es der Übungsteilnehmerin, die Lage zu beruhigen. So jedenfalls ist es geplant. Aber noch streikt die Technik – eine Folge der zurzeit weltweiten Lieferengpässe. Den Videobeamern fehlen die nötigen Chips.