Köln – Erry Stoklosa reagiert genervt, als er mit dem Auftritt seiner Bläck Fööss am Mittwochabend im Pascha-Nachtclub konfrontiert wird. „Sorry, dazu sage ich nichts mehr“, sagt der Mitgründer der bekanntesten Kölner Band, „guckt mal ins Programmheft, wer da alles aufgetreten ist, das ist eine ganz normale Sache.“
Tatsächlich sind im Striplokal des Etablissements in der Hornstraße in den vergangenen Jahren immer wieder bekannte und nicht so bekannte Künstler aufgetreten.
Für die Musiker Gerd Köster und Richard Bargel war nie etwas dabei, in dem Nachtclub aufzutreten, die Domstürmer haben dort gespielt, die Frauen-Karnevalsband Funky Marys, viele Jazz- und Bluesmusiker, die Bläck Fööss waren im Jahr 2006 schon mal zu Gast.
Der amerikanische Star-Gitarrist Al Di Meola hatte seinen für Anfang Mai geplanten Auftritt im Pascha-Nachtclub allerdings kurzfristig abgesagt – er hatte nicht gewusst, dass es sich um einen Stripclub mit angeschlossenem Bordell handele, sagte der Musiker, als die Frauenzeitschrift „Emma“ nachfragte. „Auf keinen Fall“ werde er dort spielen: „Noch nie in meiner ganzen Karriere war ich in einer so grauenvollen Situation.“
Diskussion in der Band
Eine „ganz normale Sache“ ist das uralte Thema nicht – es bleibt höchst sensibel und umstritten. Gehört Prostitution zur Gesellschaft? Werden die Frauen in Bordellen wie dem Pascha ausgebeutet? Unterstützen Künstler, die dort spielen, den Versuch der Betreiber, ihre Etablissements im Establishment zu verankern und dem Mythos vom „coolen Rotlichtmilieu“ zu befeuern? Ist das Rotlicht ein ewiger Quell der Doppelmoral, gerne beurteilt an der nackten Oberfläche?
Erry Stoklosa sagt dazu nur: „Wir werden da morgen unseren Job machen, fertig.“ Kurz lässt er noch durchblicken, dass die Band über den Auftritt diskutiert habe. Zahlreiche Kölner Künstlerkollegen wollen sich auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht zu dem Auftritt der Band äußern. Die Fööss sind die großen Lichtgestalten der Szene, Vorbilder, fast unantastbar. Vor ein paar Tagen haben in der Lanxess-Arena 26.000 Kinder ihren „Stammbaum“ gesungen. Passt all das mit einem Auftritt im Pascha zusammen?
Peter Brings, Sänger der gleichnamigen Band, sagt, er wolle nicht über die Fööss urteilen, er liebe sie. „Wir sind schon 1000 Mal gefragt worden, ob wir im Pascha spielen, und haben immer Nein gesagt. Harry, Stephan und ich haben selbst Töchter. Würden wir wollen, dass sie in einem Club an der Stange tanzen?“ Wenn man dort als Band spiele, müsse man sich solche Fragen stellen. „Welchen Hintergrund haben die Frauen, die dort anschaffen? Wenn man sich ein bisschen mit dem Milieu beschäftigt, weiß man, dass fast keine Prostituierte ihren Job macht, weil sie den so toll findet. Dahinter stecken Schicksale. Wer zieht sich freiwillig aus und zeigt sich jedem oder schläft mit jedem?“
Erry Stoklosa erzählte dem „Express“ vor vier Wochen, dass schon beim Auftritt vor elf Jahren viele Frauen im Publikum gewesen seien. Und das sei doch toll. Wann habe die „normale kölsche Ehefrau denn schon mal die Möglichkeit, ins Pascha zu spinksen?“
Frauen stehen im Lustbusiness für gewöhnlich vor verschlossenen Türen – es sei denn, sie arbeiten dort. Helfen die Fööss also, Frauen Einlass in eine Männerwelt zu verschaffen? Oder unterstützen sie durch ein Geschäft mit einem Bordell, dessen Gründer wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung im Gefängnis sitzt, Prostitution?
„Warum sollte ich in einem Bordell auftreten, in dem Prostituierte für ein Zimmer 160 Euro am Tag bezahlen? 5000 Euro im Monat für zehn Quadratmeter? Das ist moderne Zuhälterei. Und mit Kulturauftritten im Puff hilft man doch nur den Betreibern, die sich dort an Frauen bereichern, ihr Schmuddelimage aufzupolieren“, sagt Anne Rixmann, Ensemblemitglied der Stunksitzung. Sie habe lange im Schmidttheater auf der Reeperbahn gearbeitet, habe damals einige Prostituierte kennengelernt und könne aus dieser Zeit rückblickend eins sagen: „Rotlicht kennt keine Romantik.“
Fakt ist, dass Armuts- und Zwangsprostitution das Geschäft florieren lässt. Im Pascha kommt ein Großteil der Frauen aus Osteuropa, was zunächst nichts heißen mag, aber nicht dafür spricht, dass die Frauen andere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt sehen. Seit Prostitution legal ist, freut sich die Branche über Rekordgewinne. Als der Bundesrechnungshof vor ein paar Jahren versuchte, die Zahl der angestellten Huren statistisch zu ermitteln, fand er: keine einzige.
„Prostitution gehört zu unserer Gesellschaft. Für die Frauen, die dort arbeiten, ist das Pascha ein sicherer Ort. Wenn wir Bordelle verdammen wie Alice Schwarzer das tut, müssen wir auch viele Banken verdammen, und müssen unseren ganzen Lebenswandel stark in Frage stellen“, sagt Heinz Simon Keller, Intendant des Theater der Keller. Als sein Ensemble zum 20. Jubiläum des Clubs mit dem Jugendstück „Tschick“ im Pascha spielen wollte, gab es unter den Verantwortlichen von Theater und Förderverein hitzige Diskussionen. Viele wehrten sich gegen einen Auftritt – die Befürworter setzten sich durch. „Wir gehen als Theater mit der Doppelmoral der Gesellschaft um“, sagt Keller.
„Aber als die Anfrage kam, brauchten wir vor allem auch finanzielle Unterstützung.“ Der Auftritt im Pascha sei „ein Abenteuer“ gewesen, im Publikum hätten Paare und einige Politiker gesessen. Ähnlich wie Stoklosa verweist Keller darauf, dass sein Ensemble lediglich im Strip-Club aufgetreten sei. „Gestrippt wird auch auf Mallorca und sonstwo. Das sollte gesellschaftlich auch anerkannt werden.“
Spenden angeboten
Letztlich bewege sich so ein Bordell in einem „Graubereich“. Die „Verstrickung von Geld, Leidenschaft, Moral und Politik finde er „spannend, aber schwierig“. Als das Bordell dem Theater zuletzt wieder anbot, ein Stück im Nachtclub aufzuführen, lehnte Keller ab. Er brauchte das Geld nicht mehr. Mit Geld, das von den Prostituierten verdient wird, lockt das Pascha schon lange finanziell tendenziell klamme Kulturschaffende und Kirchenvertreter.
Im vergangenen Jahr hatten die Betreiber des Bordells karitativen und kirchlichen Vereinen 60.000 Euro in Aussicht gestellt, sofern sie diese Spende im Nachtclub bei einem „Benefiz-Abend“ auch in Empfang nehmen. Pfarrer Hans Mörtter, Karl-Heinz Iffland, Geschäftsführer des „Kölner Arbeitslosenzentrum“ und der Verein „Geben durch Hilfe – Sack“ hatten eine Großspende nach öffentlicher Debatte abgelehnt, aber auf den Geldmangel der Einrichtungen verwiesen.