Experten und Expertinnen diskutierten im Nachgang der Aktion „Achtung, Schulweg!“ über Ursachen und Lösungsansätze.
DiskussionsrundeSchulstraßen, Mittelinseln, Schulwegpläne – Wie Köln sicherer für Kinder werden könnte
Dass das Thema Schulwegsicherheit so wichtig wie drängend ist, bewies an diesem Abend auf traurige Weise die Aktualität: Eine zwölfjährige Schülerin war in Longerich nur wenige Stunden zuvor auf dem Weg zur Schule von einer Bahn erfasst und schwer verletzt worden. „Im Grunde hat man jeden Morgen Bauchschmerzen, wenn das eigene Kind aufs Fahrrad zur Schule steigt. Weil man eben das Gefühl hat, es gibt keine richtigen Pläne, wie die Kinder sicher ankommen können“, sagte die Schulpflegschaftsvorsitzende Nathalie Binz und brachte gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion die Sorgen auf den Punkt, die alle ins Studio DuMont geführt hatten.
Der Kölner Stadt-Anzeiger hatte eingeladen zu der Diskussionsrunde zur Frage „Wie können Schulwege sicherer werden?“. Der Abend war der Abschluss der Aktion „Achtung, Schulweg“, mit der der Kölner Stadt-Anzeiger die Leserschaft aufgerufen hatte, Stellen zu melden, an denen sie Gefahren für Kinder auf dem Weg zur Schule wahrnehmen. Daraufhin waren mehr als 1000 Einsendungen eingegangen, die der Stadt-Anzeiger auf einer Karte zusammengetragen hat.
2022 verunglückten 25.000 Kinder im Straßenverkehr
„Im vergangenen Jahr verunglückten 25.000 Kinder in Deutschland im Straßenverkehr. Zwei Drittel davon saßen auf dem Fahrrad oder waren zu Fuß unterwegs“, führte Stadt-Anzeiger-Redakteurin Alexandra Ringendahl die Dimension vor Augen. Dabei ist die Lage in Köln besonders gefährlich, wie sich alle Expertinnen und Experten auf dem Podium einig waren.
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Aufgrund des Schulplatzmangels entstehen an vielen Stellen neue Schulen, teils im Provisorium, teils sind es auch gleich mehrere auf großen Arealen. Die Schulwegeplanung wird jedoch nicht zeitgleich umgesetzt. „Es werden neue Schulen gebaut, aber es hat sich keiner Gedanken darum gemacht, den Schulweg sicher zu machen. Da muss man sich doch vorher drauf vorbereiten können. Das ist eine Vollkatastrophe“, kritisierte Holger Küster, Geschäftsführer des Automobil-Clubs Verkehr (ACV), der seine Kinder jeden Morgen auf dem Rad zur Schule auf dem Sürther Feld in Rodenkirchen begleitet, einem der neuralgischen Punkte in Köln, weil dort jeden Morgen über 3000 Schüler die dortigen Schulen ansteuern.
„Es reicht einfach nicht, die Schule zu erstellen. Die Kinder müssen ja auch hinkommen“, ergänzte Schulpflegschaftsvorsitzende Binz und forderte Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf, Schule inklusive Schulwegsicherung „endlich zur Chefinnensache zu machen“.
Berufsverkehr rauscht in zwei Richtungen durch den Gewerbepark
Als Negativbeispiel für fehlende Schulwegplanung diente an diesem Abend das Areal im Gewerbepark Vogelsang, wo ein großer Schulcampus entstanden ist, auf dem ab kommendem Schuljahr nicht nur drei, sondern fünf Schulen angesiedelt sind. Auf engstem Raum rauscht Berufsverkehr in zwei Richtungen durch den Gewerbepark, Radwege gibt es keine, der Bürgersteig ist schmal. Kinder überqueren die Straße, ohne dass es zumindest einen Zebrastreifen gibt.
„Wann tut sich hier endlich etwas? Muss erst ein Kind sterben?“, fragte Moderatorin Alexandra Ringendahl. Zumal seit 2020 Pläne eines von der Stadt beauftragten Verkehrsbüros vorliegen. Der Fußverkehrsbeauftragte der Stadt Köln, Nico Rathmann, hatte keine konkrete Antwort, wann dort die vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden. Aber man widme sich dem Thema intensiv, sagte er.
Ein Beispiel, wie man die Situation vor Grundschulen entschärfen kann, sind Schulstraßen – also temporäre Straßensperren vor und nach Schulbeginn. Ein Konzept, das auf das Kölner Aktionsbündnis Kidical Mass zurückgeht. Die Co-Initiatorin von Kidical Mass, Simone Kraus, bezeichnete die Schulstraßen als echtes Erfolgsmodell, das auch die Problematik der Elterntaxis und das damit verbundene Chaos vor Schulen entschärfe. Als einjähriger Pilotversuch werden sie derzeit an vier Kölner Grundschulen getestet.
Verkehrskameras sollen Evaluation sicherstellen
Es seien dort Verkehrskameras aufgestellt, um den Versuch zu evaluieren, erläuterte Rathmann. Davon hänge ab, wie es mit dem Projekt Schulstraßen weitergehe und ob es auf andere Grundschulen ausgeweitet wird. Sehr viele Grundschulen würden nämlich gerne das Konzept übernehmen. Kraus warnte davor, das Erfolgsprojekt nach Ablauf der Pilotphase auf Eis zu legen. „Die Schulen werden das nicht akzeptieren“, warnte sie. Außerdem mahnte sie die Stadt, die Verantwortung für die Schulwegsicherung nicht an die Eltern und Ehrenamtliche auszulagern, die mit Konzepten wie Schulstraßen, Walking Bus, Fahrradbus oder Lostsendiensten für mehr Sicherheit sorgen. „Das braucht eine klare Einstellung von Seiten der Stadt.“
Eltern, die gefährliche Stellen wahrnehmen oder gar Unfälle beobachtet haben, beklagten, dass es schwierig wie langwierig sei, diese in den politischen Prozess einzubringen und eine Entschärfung der Situation herbeizuführen. Der Weg über die Bezirksvertretungen vor Ort sei langwierig und nicht selten versandeten die Anliegen in der Verwaltung. Fußverkehrsbeauftragter Rathmann gab den Eltern den Tipp, sich an das Verkehrsmanagement der Stadt zu wenden. „Da bekommen Sie auf jeden Fall auch eine Antwort.“
Als wichtiges und in Köln dringend ausbaufähiges Element für mehr Sicherheit empfahl Verkehrsexperte Rathmann sogenannte Schulwegpläne. Die gibt es allerdings in Köln bislang an sehr wenigen Schulen. Dabei schreibt das NRW-Verkehrsministerium in seinen „Orientierungshilfen für die Schulwegsicherung“, dass „Schulwegpläne bei der Einschulung über möglichst sichere Verkehrswege informieren.“ Erarbeitet würden sie von der Stadt als Schulträger gemeinsam mit Schulen, Polizei und Verkehrswacht. Problematische Stellen seien auf einem Plan markiert, den die Eltern dann zur Einschulung mitbekommen.
Gleichzeitig wisse die Kommune dann, wo sie nachbessern müsse, etwa in Form von eingebauten Mittelinseln auf der Straße. Tatsache ist aber, dass es in Köln solche Schulwegpläne bislang nur an sehr wenigen Schulen gibt. Auf den Ausbau will Fußgängerexperte Rathmann einen Fokus seiner Arbeit legen.
„Wichtig ist einfach nur, dass alles, was Verkehrssicherheit angeht, viel schneller geht“, sagte ein Vater bei der Abschlussrunde mit dem Publikum. „Ich habe einfach lieber sofort einen schlechten Zebrastreifen als einen, dessen Planung fünf Jahre dauert.“