Staatsanwaltschaft und Polizei Köln prüfen, ob die Streifenpolizisten in Gummersbach aus Notwehr gehandelt haben.
Taser-Einsatz diskutiertWarum haben die Polizisten in Gummersbach so oft geschossen?
Nach den Polizeischüssen in Gummersbach am Dienstag sind noch viele Fragen offen. Auf einem Augenzeugenvideo ist unter anderem zu sehen, wie ein Mann in der Fußgängerzone mit einem Messer auf einen Polizisten losgeht – und wie drei Beamte Sekunden später auf den Angreifer schießen, bis er zu Boden geht. Vor allem auf Social-Media-Plattformen bewerten und kritisieren viele Nutzer das Verhalten der Streifenpolizisten.
Zu Recht? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Haben die Polizisten richtig gehandelt?
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Das versuchen Staatsanwaltschaft und Polizei Köln jetzt herauszufinden. Dazu werten sie unter anderem das Handyvideo aus, das aber auch nur einen Teil, den letzten Teil, des gesamten Einsatzes zeigt. Was vorher geschehen ist, ob es zum Beispiel schon früher einen Anlass und Möglichkeiten gegeben hätte, den Tatverdächtigen zu überwältigen, ohne die Pistole benutzen zu müssen, ist noch unklar. Die Kölner Ermittler werden dazu auch die beteiligten Polizisten befragen, den Angreifer und weitere Zeugen.
Unklar ist zudem, ob die Streifenbeamten Bodycams trugen und falls ja, ob die Kameras eingeschaltet waren und was sie gegebenenfalls aufgezeichnet haben. Ob die Beamten sich strafbar gemacht haben, stehe noch nicht fest, sagt die Staatsanwaltschaft. Zentral ist die Frage, ob sie in Notwehr gehandelt haben.
Warum haben die Polizisten keinen Taser eingesetzt?
Die Polizei in Gummersbach ist nicht mit Tasern ausgerüstet. Unabhängig davon gibt es für den Einsatz des Tasers eine spezielle Dienstanweisung bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Darin heißt es, dass die Elektroschockgeräte „grundsätzlich in statischen Einsatzlagen eingesetzt“ werden sollen und wenn eine „bewaffnete oder unbewaffnete Person noch nicht zum Angriff angesetzt hat“. Das hätte auf die Situation in Gummersbach so nicht zugetroffen.
Auf dem Handyvideo ist zu erkennen, wie der 30 Jahre alte Tatverdächtige mit einem Gegenstand (laut Polizei ein Messer) von oben in Richtung Nacken eines der Beamten sticht, wegläuft, zurückkehrt und wieder auf die Beamten zuläuft – eine sehr dynamische, hektisch anmutende Situation und der Dienstanweisung zufolge eher keine, die einen Tasereinsatz nahegelegt hätte.
War es also richtig von den Polizisten, auf den Angreifer zu schießen?
Ja – zu diesem Schluss kommt jedenfalls ein Beamter, der als Einsatztrainer für die NRW-Polizei arbeitet. Er hat sich für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ das Augenzeugenvideo angesehen und hält nach diesen Eindrücken den Gebrauch der Pistole als „ultima ratio“ für gerechtfertigt: Der Angreifer habe kurz zuvor auf einen Polizisten eingestochen, also eine „grobe Verletzungsabsicht“ gezeigt. Die Lage sei „hochmobil“, der bewaffnete Täter „sehr beweglich“ gewesen. Gezielt sei er auf die Beamten zugelaufen, kam ihnen gefährlich nahe. „Eine wahnsinnig schwierige Situation“, sagt der Einsatztrainer. „Da muss jeder zusehen, wie er überlebt.“
Auf kurze Distanz gebe es zum Schutz gegen ein Messer „keine andere Möglichkeit, als zu schießen, bis eine Trefferwirkung da ist“, sagt auch eine Führungskraft aus dem Wach- und Wechseldienst in Köln. Schieße man dagegen nicht und ein Dritter würde verletzt, mache man sich als Polizist unter Umständen sogar wegen Unterlassung strafbar.
Warum wurde so oft geschossen?
Offenbar hat mehr als ein Beamter geschossen – aber wer genau, wie oft und wohin, das stehe noch nicht fest, sagt die Staatsanwaltschaft. Ungefähr zehn Schüsse sind auf dem Video zu hören. Mindestens drei sollen den Täter getroffen haben. Hätte der Angreifer noch einen weiteren Schritt auf die Streifenpolizisten zugemacht, wäre sogar denkbar gewesen, dass sich die Beamten mit ihren Schüssen gegenseitig getroffen hätten. Zwei unbeteiligte Passanten wurden von einem Querschläger verletzt.
„Wenn es möglich ist, versucht man in so einer Situation, sich abzusprechen, sodass nur einer schießt“, sagt ein Beamter. Aber die Polizisten in Gummersbach hätten offenbar keine Zeit gehabt, um zu agieren. „Sie konnten nur reagieren.“
Trainieren Streifenbeamte den Umgang mit Messerangriffen?
Weil die Zahl von Messerangriffen insgesamt, aber auch die Zahl der Messerangriffe auf Polizisten, seit Jahren steigen, hat das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW (LAFP) 2015 eine Fortbildungskonzeption zu diesem Thema erstellt. „Gewaltsame, manchmal sogar lebensbedrohliche Angriffe, zum Beispiel mit einer Schusswaffe oder Messer, stellen unsere Polizistinnen und Polizisten vor sehr große Herausforderungen“, sagt LAFP-Sprecherin Sevinc Sethmacher.
Ziel der Trainings sei es daher, den Polizistinnen und Polizisten „Handlungsmuster zur Bewältigung solch lebensgefährlicher Einsatzlagen zu vermitteln“. Die Inhalte würden seitdem den Einsatztrainerinnen und -trainern der Kreispolizeibehörden vermittelt. Um die Übungsszenarien möglichst realistisch zu gestalten, würden in die Trainings auch „dynamische Sequenzen mit Stresselementen implementiert“. Eine Vorgabe, wie oft die Übungen stattfinden sollen, gibt es aber nicht, das obliege der jeweiligen Polizeibehörde, sagt Sethmacher.
Der Einsatztrainer, mit dem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesprochen hat, beklagt, für regelmäßige Übungen bleibe im Streifendienst „leider im Alltag oft viel zu wenig Zeit“. Auch ein Kölner Streifenbeamter sagt: „Es wäre gut, wenn das häufiger stattfinden würde.“