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Polizeigewalt am CSD in Köln?Staatsanwaltschaft sieht keine Fehler

Lesezeit 4 Minuten

Der Ort der Festnahme im Juli 2016 am Rande des CSD: die Ecke Marzellenstraße/Trankgasse

Köln – Am heutigen Freitag wird sich der Rechtsausschuss des Landtags NRW mit dem Fall von Sven W. beschäftigen, der am Rande des Christopher Street Day (CSD) 2016 in einem Schnellrestaurant in der Marzellenstraße Widerstand gegen Polizisten geleistet haben soll. Der Mann war vor dem Amts- und Landgericht freigesprochen worden – die Freisprüche waren von der zuständigen Oberstaatsanwältin nicht akzeptiert worden, so dass sich schließlich auch das Oberlandesgericht mit dem Fall beschäftigte. Sven W. blieb straffrei, das Oberlandesgericht kritisierte, dass die Freisprüche nicht akzeptiert worden waren.

Mangelndes öffentliches Interesse?

Im Rechtsausschuss, dessen Bericht bereits vorliegt, geht es darum, warum das strafrechtliche Verfahren gegen zwei beschuldigte Polizeibeamte, denen der Richter am Landgericht mehrere Straftaten im Amt vorgeworfen hatte, eingestellt wurde – und ob „mangelndes öffentliches Interesse“, mit dem die Einstellung unter anderem begründet worden war, tatsächlich vorliegt. Das Amtsgericht hatte der Einstellung des Verfahrens zugestimmt.

Über die Prozesse hatten zahlreiche Medien berichtet, darunter von Beginn an der „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der renommierte Kriminologe Tobias Singelnstein hatte gegen über dem „WDR“ gesagt, er halte es für „nicht in Ordnung“ einen solchen Fall, der großes öffentliches Interesse erzeugt habe, nicht in einer öffentlichen Hauptverhandlung zu behandeln. Begründet wird die Einstellung des Verfahrens mit Paragraf 153a der Strafprozessordnung, der dann zum Einsatz kommt, wenn die Schwere der Schuld und das öffentliche Interesse für so gering erachtet wird, dass eine Geldbuße für ausreichend erachtet wird. Im Fall von Sven W. hielt die Oberstaatsanwältin dies nicht für gegeben, bei den Polizisten schon.

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Generalstaatsanwaltschaft: „Nicht zu beanstanden“

Die Generalstaatsanwaltschaft Köln teilt mit, die Einstellung des Verfahrens gegen die Beamten „ist als vertretbar gewertet worden. Ein Anlass zur Beanstandung bestand nicht". Die zuständige Dezernentin der Staatsanwaltschaft Köln habe „aus Gründen der Sachneutralität“ das Polizeipräsidium Bonn mit den Ermittlungen beauftragt und „eine Bewertung des gesamten Polizeieinsatzes veranlasst“ - unter Berücksichtigung der Vorwürfe gegen die Beamten seitens des Richters am Landgericht. Die Zeugenaussagen hätten ein „durchweg äußert uneinheitliches Bild“ ergeben. Es seien dabei auch Zeugen vernommen worden, die in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht nicht angehört worden seien, so Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer.

Zwar habe es einen hinreichenden Tatverdacht für eine Körperverletzung im Amt gegeben, so die Generalstaatsanwaltschaft, die Verdachtsstärke habe „das erforderliche Mindestmaß gerade erreicht“.

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Die Richter am Amts- und Landgericht waren zu einer anderen Einschätzung gekommen: Der Richter am Landgericht ging von mehreren Straftaten im Amt aus, darunter schwere Körperverletzung, rechtswidrige Festnahme und Freiheitsberaubung. Im Urteil hatte er geschrieben, ein Schlag gegen W. sei „nicht gerechtfertigt“ gewesen, seine Fesselung „rechtswidrig“, Tritt und Faustschlag „gefährliche Körperverletzung“, eine Blutabnahme in einer Ausnüchterungszelle „rechtswidrig“, die Ingewahrsamnahme „Freiheitsberaubung (im Amt)“. Oberstaatsanwalt Bremer sagt dazu, „die Vorstellung, die Staatsanwaltschaft hätte allein aufgrund des Urteils des Landgerichts Köln Anklage gegen Polizeibeamte erheben können oder gar müssen, ist schlicht falsch“.

„Versehen“ oder schwere Fehler?

Eine besondere Note erhielt die Einstellung des Verfahrens gegen die Polizisten, weil die Ermittlungen die gleiche Oberstaatsanwältin leitete, die auch gegen Sven W. ermittelt und zwei Gerichtsurteile angefochten hatte. Der Anwalt von W. war über die Einstellung des Verfahrens nicht informiert worden – zudem war ihm erst mit wochenlanger Verspätung Akteneinsicht gewährt worden. Die Generalstaatsanwaltschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem „Versehen“ und widerspricht dieser Zeitung, die von „massiven Fehlentscheidungen“ geschrieben hatte. Die Kritik hatte sich auch darauf bezogen, dass die Oberstaatsanwältin zwar ihren unmittelbaren Vorgesetzten, aber nicht ihren Behördenleiter über die Einstellung des Verfahrens informiert hatte – „Dies ist gerade in Fällen wie dem vorliegenden, die besonderer Beachtung im politischen Raum und in den Medien unterliegen, misslich, weil die Prüfung der Verfahrensoptionen nach dem Mehraugenprinzip entfällt“, heißt es im Bericht des Rechtsausschusses.

Verfahren kein Grund für Versetzung

Die Oberstaatsanwältin war jüngst innerhalb der Behörde versetzt worden. Die Staatsanwaltschaft Köln legt Wert auf die Feststellung, dass es keinen Zusammenhang mit dem Fall Sven W. gebe und der Stellenwechsel nichts mit dienstrechtlichen Konsequenzen zu tun habe. Die Oberstaatsanwältin habe zum 25. Mai 2021 die Leitung einer Sonderabteilung übernommen, in der Verfahren der Organisierten Wirtschaftskriminalität bearbeitet werden, teilt die Generalstaatsanwaltschaft mit. Dies sei seit über einem Jahr vorgesehen gewesen.

Nun wird mit Spannung erwartet, wie sich NRW-Justizminister Peter Biesenbach im Rechtsausschuss zu dem Fall äußert.

Klage auf Schmerzensgeld

Sven W. hat das Land NRW unterdessen auf Schadensersatz in Höhe von 15 000 Euro verklagt. Das Innenministerium hat bereits mitgeteilt, dass der Geschädigte Schadensersatz erhalten wird – über die Höhe wird noch gestritten. Nachdem der Anwalt des Landes zunächst 2000 Euro angeboten hatte, erhöhte er inzwischen auf 10 000 Euro - W. hat das abgelehnt. Innenminister Herbert Reul hatte im Innenausschuss gesagt, die Polizei habe bei dem Vorfall am Rande des CSD 2016 „Fehler gemacht“. Er wünsche sich, dass sie bei den Verhandlungen um ein mögliches Schmerzensgeld für W. „noch mal nachlegt wird“.