Marienburg – Als der tonnenschwere Baukran mitten in der Nacht durch das Dach bricht und in ihr Wohnzimmer einschlägt, liegt Susanne Schuh nebenan im Tiefschlaf. Sie schreckt hoch, glaubt zuerst an eine Explosion. „Ich bin ins Wohnzimmer und sah nur Staub, überall Staub“, schildert Schuh am Morgen danach. „Ich habe mir sofort meine Tochter geschnappt und wir sind durch ein Fenster raus. Es war ein Alptraum.“
Susanne Schuh gehört das Fünf-Parteien-Haus an der Bonner Straße 497 nahe des Verteilerkreises, in dessen Dachstuhl am Freitagmorgen gegen ein Uhr ein tonnenschwerer Baukran gestürzt ist. Schuh bewohnt die oberste Etage. Die Wohnung neben ihr hat ein 34 Jahre alter Mann gemietet. Er steht aufrecht, ist eingeklemmt zwischen dem Kranturm und der Hauswand, als die ersten Feuerwehrmänner eintreffen. „Sie sahen ihn durch eine Lücke in der völlig zerstörten Giebelwand“, berichtet Feuerwehrsprecher Jens Müller. „Erstaunlicherweise war er nur leicht verletzt.“ Die Einsatzkräfte retten den Mann über eine Drehleiter, außerdem vier übrige Bewohner – alle unverletzt.
Als die Morgendämmerung einsetzt, wird das ganze Ausmaß des Unglücks sichtbar: Der Turm des Krans samt Kabine hat die Giebelwand gespalten, der Ausleger hat sich durch das Dach zwei Stockwerke tief bis hinunter in die erste Etage gebohrt. Irgendwo dort unten liegt auch der 20 Tonnen schwere Block aus Betonsteinen, der als Gegengewicht am Stahlausleger befestigt ist. Warum der Sockel des Krans umgekippt ist, obwohl auch er mit Betonsteinen beschwert war und auf einem Betonfundament stand, klärt jetzt die Staatsanwaltschaft. Die Bonner Straße zwischen Gürtel und Verteilerkreis sollte laut Polizei wegen der Bergungsarbeiten bis mindestens Freitagabend gesperrt bleiben. Lange Staus im Berufsverkehr waren die Folge.
Anwohner berichten, Bauarbeiter hätten den Kran am Mittwoch und Donnerstag auf dem Baugrundstück neben Haus Nummer 497 aufgebaut. In der Lücke soll ein Mehrfamilienhaus mit Eigentumswohnungen errichtet werden. „Der Ausleger schwebte gestern den ganzen Tag über meinem Dach, das war mir nicht geheuer. Heute wollte ich rübergehen und bitten, dass sie den wegdrehen“, erzählt Renate Kux aus Haus Nummer 513. Ein anderer Nachbar will beobachtet haben, dass der Kran schon Donnerstagabend geschwankt hat. Die Polizei hat davon nach eigenen Angaben bislang keine Kenntnis.
„Denkbar ist, dass der Kran falsch aufgebaut wurde, fehlerhaft montiert oder defekt war“, berichtet ein Ermittler. Zunächst hieß es, das Betonfundament, auf dem der Sockel stand, sei womöglich vom Regen unterspült worden. „Das können wir nach jetzigem Stand aber ausschließen“, erklärt der Ermittler. Die Polizei prüft den Verdacht der Baugefährdung. Auch das Landeskriminalamt ist eingebunden. „Die Experten verfügen über spezielles technisches Gerät zum Vermessen der Unfallstelle“, erläutert Andre Faßbender von der Polizei Köln.
Abriss droht
Laut Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) muss jeder Bauunternehmer dafür sorgen, dass ein Kran „auf tragfähigem Untergrund“ errichtet und den Richtlinien entsprechend abgestützt wird. „Für jeden Kran gibt es eine konkrete Aufbauanleitung“, betont ein Sprecher. Die verantwortliche Baufirma wollte sich am Freitag mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht äußern.
Den Rest der Nacht haben die fünf Bewohner bei Freunden oder Verwandten verbracht. Das Haus ist laut Bauaufsichtsamt zwar nicht „akut einsturzgefährdet“, aber auch nicht „dauerhaft standfest“. Mit anderen Worten: Es muss wohl abgerissen werden. Vorläufig darf sich niemand darin aufhalten. Feuerwehrmänner holten jene Habseligkeiten aus den Wohnungen, die die Mieter nun am dringendsten benötigen.
Auch Monika Zimmermann steht Freitagvormittag wieder vor dem Gebäude, dessen erste Etage sie bis vor wenigen Stunden bewohnte. „Die komplette Küche aus der Wohnung über mir ist in meinen Flur gekracht“, hatte die Krankenschwester in der Nacht geschildert. Bei der Flucht aus dem Haus verlor die 52-Jährige ihren Hund aus den Augen. Auch ihn rettete die Feuerwehr über eine Drehleiter. „Wir waren sehr glücklich, als wir uns auf der Straße wiedergesehen haben.“ Auch einen unversehrten Käfig mit Meerschweinchen holten die Einsatzkräfte aus dem zertrümmerten Haus.