Andreas Stampe ist einer von zwei Kölner Feuerwehrmännern, die seit dem Zweiten Weltkrieg im Einsatz gestorben sind.
Das Beste aus 2023Wie der Tod eines jungen Brandmeisters der Kölner Feuerwehr zur Lehre wurde
- Am 6. März 1996 kam der 28-jährige Brandmeister bei einem Kellerbrand in Köln-Zollstock ums Leben.
- Bundesweit wurden nach dem tragischen Unglück die Dienstvorschriften für die Feuerwehr geändert.
- Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht die Mutter von Andreas Stampe zum ersten Mal öffentlich über ihren Sohn – und darüber, warum sie sich an Totensonntag auf den schweren Weg von Iserlohn nach Köln macht.
Am Sonntagmorgen wird Monika Stampe sich in Iserlohn ins Auto setzen und nach Köln fahren, so wie jedes Jahr an Totensonntag, seit 1996. Und wie immer wird sie 30 Rosen dabei haben, 20 weiße und zehn rote.
Dieser Text gehört zu unseren beliebtesten Inhalten des Jahres 2023 und wurde zuerst am 25. November veröffentlicht. Mehr der meistgelesenen Artikel des Jahres finden Sie hier.
Sie wird ihr Auto in der Nähe des Kölner Doms abstellen und den Gottesdienst besuchen, die jährliche Andacht für verstorbene Feuerwehrleute. Bei der anschließenden Trauerzeremonie vor dem Römerbogen wird sie ihre Rosen ablegen – in Gedenken an Andreas, ihren Sohn, der 1996 mit 28 Jahren bei einem Kellerbrand in Köln-Zollstock ums Leben gekommen ist.
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Totensonntag: Andacht für tote Kölner Feuerwehrmänner im Dom
Leicht falle ihr das nicht, sagt die 76-Jährige, im Gegenteil. Immer wieder aufs Neue müsse sie sich überwinden, nach Köln zu fahren. „Wenn sein Name auf der Liste der verstorbenen Feuerwehrleute vorgelesen wird, dann friere ich, obwohl ich einen Mantel anhabe.“ Und dennoch komme sie jedes Jahr wieder, „weil ich sowieso jeden Tag an Andreas denke. Und weil es schön ist zu sehen, dass auch andere an ihn denken.“
Andreas Stampe war der erste Feuerwehrmann in Köln seit 1949, der im Dienst getötet wurde, und er ist bis heute der letzte – auch weil aus seinem Tod lebenswichtige Lehren gezogen wurden. Auf vielen Kölner Feuerwachen hängt wie zur Mahnung ein Schwarz-Weiß-Foto mit Stampes Porträt. „Sein tragischer Tod ist bis heute tief in der DNA der Kölner Feuerwehrleute verwurzelt“, sagt Feuerwehrchef Christian Miller.
Neue Dienstvorschriften für die Feuerwehr nach Unfall in Köln
Ursächlich war eine ganze Kette von Missgeschicken, von unglücklichen Zufällen, aber auch von vermeidbaren Fehlern beim Einsatz im Keller des Hochhauses am Vorgebirgspark. In einer bis dahin nicht gekannten minutiösen Aufarbeitung deckten Sachverständige und Feuerwehrexperten aus ganz Deutschland die Versäumnisse kurz darauf schonungslos auf. Die Konsequenz: Lange beherzigte Einsatz- und Übungskonzepte wurden landauf landab über den Haufen geworfen und schließlich in einer bundesweiten Feuerwehr-Dienstvorschrift, die bis heute gilt, neu geregelt. „Das ist vielleicht der einzige Lichtblick für mich“, sagt Monika Stampe. „Dass sich einiges getan hat durch seinen Unfall.“
Der 6. März 1996 ist ein Mittwoch. Leichter Nebel liegt seit dem Morgen über der Stadt, es nieselt, die Kölner frieren bei knapp vier Grad. Um 13.42 Uhr geht bei der Feuerwehr ein Notruf ein: Kellerbrand in der Kierberger Straße 15. Andreas Stampe und zwei Kollegen bilden den Angriffstrupp, sie tasten sich mit einem Schlauch zum Brandherd vor. Die Sicht im Keller ist gleich Null, die Hitze so stark, dass die Männer zurückweichen müssen. Sie geben Wasser ab, aber das hat keinen Effekt.
Die Feuerwehrleute tragen Atemschutzgeräte mit Gesichtsmaske und eine Pressluftflasche auf dem Rücken. Stampe ist der hintere in der Dreier-Reihe, zu seinen Aufgaben gehört es, den Schlauch nachzuziehen. Plötzlich ertönt ein Piepsignal, der so genannte Restdruckwarner eines der Atemschutzgeräte schlägt Alarm: Es ist nur noch wenig Luft in der Flasche – höchste Zeit zum Rückzug.
Auf dem Weg nach oben löst sich unbemerkt Stampes Fangleine aus dem Beutel an seiner Uniform, ein 30-Meter-Seil, das jeder Feuerwehrmann bei sich trägt. Kurz vor dem Treppenaufgang verhakt sich die Leine. Stampe kommt nicht weiter. Sein Kollege setzt einen Funkspruch ab: „Einer von uns hängt fest, und die Geräte sind fast leer.“ Aber niemand hört ihn, der Funkkanal ist überlastet.
Der Rauch wird dichter, die Hitze stärker. Andreas Stampe sackt zusammen, er wird bewusstlos. Verzweifelt versucht sein Kollege, die Fangleine zu lösen. Aber er schafft es nicht. Er reißt sich die Handschuhe runter, um nach einem Messer zu tasten und erleidet dabei schwerste Verbrennungen an den Händen. Ein Feuerwehrbeil, mit dem die Kollegen das Seil durchtrennen könnten, liegt oben als Keil unter der Kellertür. Mit letzter Kraft retten sich Stampes Kameraden ins Freie.
Erst später gelingt es einem zweiten Trupp, den ohnmächtigen Brandmeister im Keller zu orten. In Panik hatte er sich die Atemmaske vom Kopf gerissen. Die Retter durchtrennen die Fangleine und tragen ihn nach oben. Andreas Stampe stirbt drei Tage später im Krankenhaus, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
Am Dienstagvormittag dieser Woche, fast 28 Jahre später, sitzt seine Mutter Monika auf einem Sessel in ihrem Wohnzimmer in Iserlohn. Seit mehr als 40 Jahren lebt sie in dieser Wohnung. Hier hat Andreas seine Jugend verbracht. Hier lag in seinem Zimmer die Einsatzkleidung der Freiwilligen Feuerwehr Iserlohn bereit – Hose, Uniform, Stiefel. „Wenn sein Pieper ging, ist er in die Klamotten gesprungen und war aus der Tür, egal ob Tag oder Nacht“, erinnert sich die Mutter.
Und hier, im Wohnzimmer, stand ihr einziges Kind Andreas öfters vor der Schrankwand aus dunklem Holz, den Unterarm auf dem Regal abgestützt, und hat den Eltern erklärt: „Wenn man fünf Minuten ohne Sauerstoff ist, dann kann man’s vergessen.“ Bei ihm, sagt seine Mutter, seien es mehr als fünf Minuten gewesen.
Als sie und ihr Mann, der vor zehn Jahren gestorben ist, an jenem Abend des 6. März 1996 in der Kölner Uniklinik eintrafen, war Andreas bereits hirntot. Bevor die Geräte abgeschaltet wurden, entnahmen die Ärzte ihm noch einige Organe, als Körperspende. „Das hatte Andreas immer so gewollt“, sagt Monika Stampe.
Zur Beerdigung kamen 1300 Feuerwehrleute aus ganz Deutschland. In Köln seien die Dienstpläne umgeschrieben worden, damit möglichst viele nach Iserlohn fahren konnten, erinnert sich Ulrich Laschet, heute Pressesprecher der Kölner Berufsfeuerwehr. Laschet hat 1992 mit Andreas Stampe die Ausbildung gemacht. „Der Andreas war feuerwehrverrückt“, erinnert sich Laschet. „Der wusste wirklich alles, das war beeindruckend.“ Sogar, wie viele Sprossen eine Drehleiter hat. „Ich habe später nachgezählt“, sagt Laschet. „Er hatte Recht.“
Bei mehr als 50 Feuerwehren in ganz Deutschland habe Andreas sich nach der Schule beworben, erzählt seine Mutter. Aber es hagelte Absagen, weil er Brillenträger war. Die einzige Zusage kam aus Köln. Gekocht habe er gerne, ab und zu in den Urlaub gefahren sei er, Formel 1 habe er geguckt – ansonsten gab es für Andreas Stampe nur Feuerwehr, Feuerwehr und nochmal Feuerwehr, sagt Monika Stampe. „Er wollte irgendwann Chef werden von der Feuerwehr, das war sein Ziel.“
Auf ihrem Wohnzimmertisch liegen die Kondolenzbücher von der Beerdigung. Hunderte Unterschriften. An der Wand hängt ein braun gerahmtes Foto von Andreas. Irgendwo in der Wohnung bewahrt Monika Stampe auch den gedruckten Abschlussbericht der Kommission auf, die den tödlichen Unfall aufgearbeitet hat. „Durchgelesen habe ich ihn bis heute nicht, das würde mir sehr schwer fallen.“
Auf 29 Seiten haben die acht Experten das Ereignis exakt rekonstruiert, Schwachstellen analysiert und Lösungen vorgeschlagen. Das Dokument ist im Internet frei verfügbar. Auf die Empfehlungen der Kommission hin wurden bundesweit neue Regeln eingeführt. Es gibt nun Vorschriften, wie genau ein Rettungstrupp vorgehen muss, der in Bedrängnis geratene Kollegen befreit – mit einem Ersatzatemschutzgerät im Gepäck. Bundesweit wurden Feuerwehrleute mit Scheren ausgerüstet, genauer gesagt: mit Rosenscheren, denn die funktionierten in Tests am zuverlässigsten. Der Hersteller wunderte sich seinerzeit über die große Nachfrage.
Das Notruf-Stichwort „Mayday“ wurde eingeführt. Die Fangleine wird so verstaut, dass sie sich nicht von alleine lösen kann. Übungsszenarien wurden realistischer gestaltet. Aber vor allem: Der Zustand der Atemschutzgeräte wird bei der Feuerwehr seit Stampes Tod penibel überwacht, besonders in einem laufenden Einsatz. Und es gibt die Regel: Wenn ein Drittel der Atemluft verbraucht ist, muss der Trupp umkehren, damit genug Sauerstoff für den Rückweg bleibt.
Die Feuerwehr Köln habe ihr bei der Trauerbewältigung sehr geholfen, sagt Monika Stampe. „Die waren oft hier und haben mit mir und meinem Mann geredet.“ Auch der damalige Feuerwehrdirektor Stephan Neuhoff saß ihn ihrem Wohnzimmer. Die gute Kameradschaft und der enge Zusammenhalt seien es auch gewesen, die Andreas an der Feuerwehr fasziniert hätten, sagt die Mutter. „Für ihn war das wie eine große Familie.“
Ihrem Sohn seinen Traumberuf auszureden habe sie nie versucht. Ihr Mann auch nicht. Obwohl sie wussten, dass es ungefährlichere Jobs gibt. „Sorgen, dass mal etwas passieren könnte, hatte ich immer“, sagt Monika Stampe.
Und dennoch: Würden Eltern sie heute fragen, ob es eine gute Idee sei, wenn ihr Sohn zur Feuerwehr gehe, würde sie antworten: „Wenn er Spaß daran hat: Ja.“ Nur vorsichtig solle er sein.