Wenn Stephan Neuhoff die Einsturzstelle des Stadtarchivs in der Severinstraße sieht, kommen die Erinnerungen an den schwierigsten Einsatz seiner Laufbahn wieder hoch. „Wir mussten damals blitzschnell handeln, es ging um das Leben der beiden Vermissten und die Rettung der Archivalien“, sagt der 61-Jährige und blickt hinab in das Loch, in dem einst das Archiv stand. „Unfassbar“, das ist das Wort, das ihm fast fünf Jahre nach dem Einsatz über die Lippen kommt, wenn er an die Ereignisse vom März 2009 denkt.
Der schwerste Einsatz
Zwei Menschen kamen damals ums Leben, verschüttet unter tausenden Tonnen Geröll. 19 Jahre war Neuhoff da schon Chef der Feuerwehr, ohne dass die meisten Kölner groß Notiz von seiner Arbeit genommen hätten. Was Neuhoff ziemlich recht war, wie er zugibt: „Ich bin Ingenieur und nicht dazu geschaffen, auf der Bühne zu stehen.“ Einsätze leiten, Personal und Technik koordinieren, ruhig und besonnen Handeln, darin sieht der studierte Maschinenbauer seinen Job. Doch durch das Unglück stand Neuhoff urplötzlich im Rampenlicht.
„Der Rummel war mir unheimlich“, sagt er. Über Wochen stand er damals im Fokus und erklärte der Öffentlichkeit komplexe Zusammenhänge so, dass jeder sie verstehen konnte. In diesen turbulenten Tagen sammelte er viele Sympathiepunkte, auch für die Feuerwehr: Auf einer Bürgerversammlung und im Rat gab es stehende Ovationen. Wohl auch, weil ihm die Ereignisse spürbar nahe gingen. Heute gesteht er: „Eigentlich konnte ich nicht mehr. Die innere Anspannung war riesig.“
Die größte Sorge
Seit fast 24 Jahren ist der gebürtige Kölner Leiter einer der größten Feuerwehren Deutschlands. In drei Himmelsrichtungen kann Neuhoff von seinem Büro in der Scheibenstraße schauen. Den Blick über die Stadt kann er nur noch bis Ende Februar genießen. Dann geht er in den Ruhestand, mit 61 Jahren. Mit dem Auto geht es aus der Südstadt nach Zollstock. Sein Fahrer ist krank, Neuhoff fährt selbst, es macht ihm nichts aus. Das Wohl seiner Kollegen liegt ihm am Herzen. Und bereitet ihm oft Sorgen: „Die Angst, dass einem Mitarbeiter etwas passieren könnte, ist gewachsen. “ Das habe vielleicht mit dem Alter zu tun, sagt er und lacht.
Die dunkelste Stunde
Vielleicht aber auch damit, dass in seiner Amtszeit zum ersten und einzigen Mal seit 1949 ein Kölner Feuerwehrmann im Einsatz starb. Kierberger Straße, 6. März 1996: Ein vermeintlich harmloser Kellerbrand in einem Hochhaus. Auf dem Rückweg aus dem verqualmten Verschlag verfängt sich die Leine eines Feuerwehrmannes unglücklich, er hängt fest. Seinen beiden Kollegen geht die Atemluft aus, sie müssen den Mann zurück lassen. Er stirbt an den Folgen einer Rauchvergiftung. „Das war mein schwärzester Moment“, bekennt Neuhoff, „nach solchen Ereignissen lernt man, den Beruf zu fürchten.“
Er will sich den Keller noch mal anschauen, läuft die Treppe herunter, guckt hinter Türen. Und erzählt, dass nach dem Unglück Dienstvorschriften und Sicherheitsbestimmungen verändert wurden und auch die Ausrüstung seitdem besser ist. „Wir haben daraus viele Konsequenzen gezogen“, sagt Neuhoff und blickt zu Boden, „aber der Preis war hoch.“
Der große Rückhalt
Wie geht man als Chef damit um, wenn Mitarbeiter ihr Leben verlieren oder Menschen nicht mehr gerettet werden können? Der gebürtige Kölner Stefan Neuhoff findet Rückhalt im Glauben, ist praktizierender Christ. Und hat selber im Privatleben schwere Situationen aushalten müssen: „Zwei meiner Töchter rangen selber mit dem Tod, das waren schwarze Wochen für mich“, sagt Neuhoff. Bei diesen Worten steigt eine Träne in sein linkes Auge.
„Ich bin eher ein Macher, aber war damals plötzlich völlig hilflos. Diese Erfahrungen haben mir geholfen, schwere Situationen zu meistern.“ Psychologische Unterstützung hat er nie in Anspruch genommen, lieber viel mit der Familie gesprochen. Und da war vermutlich immer jemand zum Reden da: Stephan Neuhoff ist Vater von elf Kindern und mittlerweile auch schon dreifacher Großvater. Bis auf zwei Söhne haben sich auch alle für den Weihnachtsbesuch angekündigt – volles Haus also.
Auf die Frage, was er als größte Erfolge seiner Amtszeit bezeichnen würde, schweigt Neuhoff erstmal geschlagene 23 Sekunden. Dann spricht er vom „erstklassigen Kölner Rettungsdienst“ und vom Neubau mehrerer Feuerwachen. Dies sei aber eigentlich eher seinen Vorgängern und Kollegen zuzurechnen. „Das Lob kann man sich für meine Beerdigung aufsparen“, sagt Neuhoff und lacht laut.
Also Nachfrage bei der Mitarbeitervertretung der Feuerwehr: „Stephan Neuhoff hat eine hohe soziale und fachliche Kompetenz und für jeden Mitarbeiter ein Ohr“, weiß Personalrat Axel Strang. Seine Bescheidenheit sei angenehm, aber auch manchmal ein Hindernis gewesen: „Es gibt Feuerwehren in kleineren Städten, die mit Personal und Material besser bestückt sind als Köln“ Und das gehe teilweise zu Lasten der Mitarbeiter.
Der verdiente Ruhestand
Mit diesen Fragen muss sich Neuhoff ab März nicht mehr beschäftigen. Er will sich weiter kirchlich engagieren, mehr Zeit mit seiner Frau verbringen und den Kindern helfen, wenn Not am Manne ist. Der Einsturz in der Severinstraße wird ihn vermutlich auch im Ruhestand nicht loslassen. Er wird auch als Privatmann wieder zur Einsturzstelle kommen. Denn wie viele Kölner bewegt auch ihn die Frage: Wie konnte das Unglück damals geschehen?