Köln – Michael Scholten kann super Wind machen. Mit seiner Hipster-Brille, den gegelten Haaren, der schwarzen Fliege und der dicken Lippe erinnert er an den irren Box-Promoter Don King. Alter? „Tut nichts zur Sache, ich bin jünger, als ich aussehe“, sagt er im Dämmerlicht der Kneipe Stiefel an der Zülpicher Straße. Ob er Geld verdiene mit seinen Schnick-Schnack-Schnuck-Turnieren? „Das geht Sie gar nichts an. Über Geld rede ich nicht.“ Warum um alles in der Welt überhaupt Schnick-Schnack-Schnuck-Turniere? Unvermittelt schwenkt er um auf zahm. Er habe auf einer Party keinen gekannt und einfach jeden zum Schnick-Schnack-Schnuck aufgefordert. Sei irgendwie gut angekommen. Man komme sich näher, habe was miteinander, gerade weil man nichts miteinander habe. Banal und irgendwie genial.
Aus den Boxen dröhnt später zum Einmarsch der Finalisten „Eye Of The Tiger“, Moderator Scholten posaunt die Regeln ins Mikro: „Sechste Regel: Keine Waffen. Siebte Regel: Es dauert so lange, wie es dauert.“ Und dann: Let’s get ready to rumbleeeeeee!“
Luft voller Adrenalin
Ring frei für eine Persiflage auf den Boxsport, für große Posen, Clownerie, Korruption, eine Feier des Banalen: Über 100 Zocker haben sich versammelt, um sich im Schnick-Schnack-Schnuck zu messen und dabei die Welt zu vergessen. Manche tragen Deutschland-Trikots, andere Anzug, über den Köpfen taumeln Discokugeln, die Luft ist voll von Adrenalin und Rauch, Geld und Parfüm. Jeder bekommt am Eingang Spielgeld, auf dem die Konterfeis Scholtens und der anderen Veranstalter prangen. Die ersten eineinhalb Stunden zocken die Spieler frei in der Kneipe: Stein schlägt Schere, Schere schneidet Papier, Papier umhüllt Stein – jeder kennt es, fast jeder hat es als Jugendlicher tausendmal gespielt. Die Spieler dürfen Anhang mitbringen, ihr Spielgeld frei tauschen, auf andere Spieler wetten, um an Kohle zu kommen – alles ist erlaubt. Es ist ziemlich laut und ziemlich lustig.
Die 32 Spieler, die um 21 Uhr Auge in Auge, Hand um Hand das meiste Geld erspielt haben, stehen in der Finalrunde. Es geht dann um ein Jahresabo Kölsch – der Hauptsponsor ist Gaffel, die Turniere heißen offiziell Schnick-Schnack-Schluck. Es gibt auch „Weltranglistenpunkte“, Scholten und sein Anhang haben einen Verband gegründet. Einige Weltmeister sind zugegen, Scholten bietet Interviews an. „Es gibt sogar eine Diplomarbeit über Schnick-Schnack-Schnuck“, sagt Scholten, es gehe um Zufall und Systeme, introvertierte Spieler wählten seltener das Papier als extrovertierte, und so weiter.
Vor dem Eingang interviewt Scholten Daniel, Kampfname „Super Fountain“ (Superbrunnen). „Wie sah deine Vorbereitung aus?“ „Die letzten zwei Wochen sehr intensiv, bis in die Nacht mit dem Coach gezockt.“ Coach Sebastian, Kampfname Fohlenfaust, steht mit Handtuch über den Schultern und Porno-Sonnenbrille im Haar hinter seinem Schützling und nickt. „Fountain hatte etwas Handgelenksprobleme, aber zum Glück gibt es Voltaren.“ Super Fountain zeigt die Tube und zieht sein Baseball-Cap zurecht. Jetzt keine Fragen mehr bitte, er muss gucken, wie viel Geld sein Stall zusammen hat, will sichergehen, dass er ins Finale kommt.
Daniel hat Mathe studiert, einen Künstlernamen im Personalausweis, einen Gedichtband geschrieben und wohnt mit Fohlenfaust Sebastian in einer WG. „Wir zocken manchmal bis spät in die Nacht Schnick-Schnack-Schnuck“, sagt Sebastian. Und jeden Montagabend geht es in die KGB-Bar am Rathenauplatz zum Spielen. Der Reiz? „Man glaubt, es in der Hand zu haben, hat nichts in der Hand“, sagt Sebastian. Wie im Leben.
Glorreicher Sieg für die Veranstalter
Als Coach wandelt Fohlenfaust durch die Spielerreihen und notiert auf einen Block, wer welche Kombinationen wählt. Die Mitschriften übermittelt er Super Fountain vor jedem Match. Thomas Rosskopf schüttelt sich vor Lachen, als er sieht, wie Super Fountain das Spiel eines Kumpels verfolgt – bei jedem Spiel spricht er das „Schnick-Schnack-Schnuck“ leise mit, die Unterlippe bebt, der Blick ist starr vor Konzentration. Rosskopf, Inhaber eines Tischtennisgeschäfts in Ehrenfeld und Bruder des bekannteren Tischtennisspielers Jörg, ist mit einem Kumpel vorbeigekommen. Die Veranstalter hatten am Mittag Ergebnistafeln bei ihm gekauft und ihn eingeladen. „Wahnsinn, wie die darin aufgehen, das ist schon auch ernst“, wundert sich Rosskopf, „ob wir beim Tischtennis auch so krass drauf sind?“
Thomas Rosskopf schafft es – ohne Coach und Coolness – ins Achtelfinale, Super Fountain, der auf das Bier-Abo und den Sprung an die Weltranglistenspitze hofft, unterliegt im Halbfinale. Der starre Blick ins Auge des Gegners, das Sonnenbrillezurechtrücken, der mehr als schulterbreite Beinstand, die Massagen und Tipps von Fohlenfaust, nichts hat geholfen.
Für die Veranstalter ist der Abend ein glorreicher Sieg: Zeitungen haben berichtet, sogar ein eher auf betulichere Zielgruppen ausgerichteter öffentlich-rechtlicher Sender hat einen Beitrag gedreht, der Laden war voll. „Schnick-Schnack-Schnuck-Turniere“, sagt Profi-Windmacher Scholten, „sind ganz stark im Kommen.“