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Vor 70 GästenSänger Max Giesinger gibt Geheimkonzert im Kölner Café „Wo ist Tom?“

Lesezeit 3 Minuten
Max Giesinger während seines Auftritts mit Gitarre im Café „Wo ist Tom?“

Intim und nostalgisch: Deutschpop-Sänger Max Giesinger im Sülzer Café „Wo ist Tom?“

Organisiert wurde das Konzert von der „Aktion Mensch“, für die Giesinger den diesjährigen Soundtrack schrieb, der zum emotionalen Highlight des Abends wurde.

Normalerweise arbeitet Felix Roth im Sülzer Café „Wo ist Tom?“ im Service. Am Donnerstagabend lehnt er zur Abwechslung an der anderen Seite des langen Tresens. Nach Ladenschluss wird dort Sänger und Songwriter Max Giesinger auftreten, Roths „großes Idol“. Der 21-Jährige ist einer von rund 70 Zuschauenden, die es auf die Gästeliste des kleinen Privatkonzerts, organisiert von der Förderorganisation „Aktion Mensch“, geschafft haben.

Für Roth ist es ein emotionaler Abend, das ist dem jungen Mann anzumerken. Einer von Giesingers Songs bewege ihn besonders. Da singt der Künstler von Helden, Träumern, Cool Kids und Außenseitern – „am Ende einfach Menschen“. Es ist der Soundtrack der Frühjahrskampagne der Soziallotterie, der für Vielfalt, Toleranz und Inklusion wirbt.

Felix Roth lehnt am Tresen des Cafés „Wo ist Tom?“

Felix Roth arbeitet im Service des inklusiven Cafés „Wo ist Tom?“. Beim Max-Giesinger-Konzert ist er allerdings als Gast dabei.

„Ich bin einer dieser Menschen“, sagt Roth, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde. Häufig werde er und andere Menschen mit Behinderung von Politik und Gesellschaft vergessen, so der Kölner. „Aber wir sind wichtig und wir sind auch da“, darauf wolle er aufmerksam machen. „Da ist so ein Schmerz in mir“, sagt er und gibt keine Garantie darauf, dass ihm beim Song nicht die Tränen kommen werden.

Alles zum Thema Zülpicher Straße in Köln

Max Giesinger gibt einstündiges Privatkonzert vor 70 Zuschauenden

Als es dann schließlich so weit ist und Giesinger in Wohnzimmer-Atmosphäre auf „die Bühne“ – ein beleuchteter Stuhl samt Gitarre – tritt, ist von Traurigkeit aber erst einmal nichts zu merken. Locker plaudert der Wahlhamburger über sein süddeutsches Heimatdorf, den Kölner Karneval und die „nostalgischen Vibes“ eines solchen Mini-Konzerts. Das sei wie früher, sagt Giesinger, der seinen Durchbruch 2012 durch die Casting-Show „The Voice of Germany“ feierte. 

Neben seinen bekanntesten Hits, „Einer von 80 Millionen“ oder „Wenn sie tanzt“ spielt er auch den 90er-Jahre-Rockhit „Walking in Memphis“ in einer Akustikversion: intim und mit rauchiger Stimme. 

Was wir machen, ist Poesie, mit meinen Händen baue ich Bilder. Wir setzen die Musik in Gebärden um.
Deaf-Performerin Laura Valyte

Begleitet wird er lediglich von Laura Valyte. Sie ist Deaf-Performerin und tritt deutschlandweit auf. „Das ist ein recht neuer Begriff“, erzählt die gehörlose Künstlerin vor dem Konzert. „Was wir machen, ist Poesie, mit meinen Händen baue ich Bilder. Wir setzen die Musik in Gebärden um“, erklärt sie. Es sei keine wortwörtliche Übertragung der Songtexte, die visuelle Sprache folge anderen Regeln als die verbale. 

Ihre Arbeit sei wichtig, damit auch taube Menschen von Konzerten etwas haben. Häufig bleiben Gehörlose in der Musikszene allerdings unsichtbar. Auch Max Giesinger sagt, dass ihm die Kooperation Perspektiven öffnet, die er vorher nicht bedacht habe. 

Deaf-Performerin Laura Valyte begleitet den Auftritt von Max Giesinger.

Deaf-Performerin Laura Valyte begleitet den Auftritt von Max Giesinger.

„Das Thema Inklusion fängt gar nicht unbedingt bei den großen Strukturen an, sondern bei uns selbst. Oft sind es kleine Dinge, die man ändern kann – wie man redet, wen man einlädt, wie man Räume gestaltet.“ Ein perfektes Beispiel dafür ist das Sülzer Café „Wo ist Tom?“, das die Lebenshilfe Köln 2013 an der Zülpicher Straße eröffnete. Es ist nicht nur barrierefrei zugänglich, sondern schafft Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung. 

Die Musikbranche habe hingegen noch Aufholbedarf, sagt Giesinger. Aber auch Musikerinnen und Musiker selbst können einen Unterschied machen. „Einfach mal hinschauen, aufmerksam sein und offen für Neues bleiben. Am Ende geht es ja darum, dass sich alle willkommen fühlen – egal, woher man kommt oder welche Herausforderungen man hat.“

Im „Wo ist Tom?“ zumindest, scheinen sich an diesem Abend alle willkommen zu fühlen, auch wenn die meisten Gäste zwar beseelt, aber etwas eingeschüchtert von der ungewohnten Nähe zu einem deutschen Popstar wirken. „Ihr könnt echt einfach mitsingen, ohne Scheiß“, animiert Max Giesinger während seiner Performance zu „Menschen“. Und so manch eine und einer traut sich dann auch, manche gebärdend, manche summend, andere laut und textsicher.

Felix Roth sagt hinterher, er musste währenddessen doch nicht weinen, dafür aber lachen – umso schöner.