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Serie von Barbara Schock-WernerDas industrielle Herz Kölns liegt rechts des Rheins

Lesezeit 6 Minuten

Die Natur erobert sich die Werkshallen auf dem ehemaligen KHD-Gelände in Köln-Mülheim zurück.

  1. Das industrielle Herz von Köln liegt auf der rechten Rheinseite – in der Deutz-Mülheimer Straße.
  2. Nicolaus August Otto ließ dort einst seinen Viertakt-Motor bauen.
  3. Die Künstlergruppe „raum13 – Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ kümmert sich um das Gelände und die Industriebauten,

Köln-Mülheim – Ich muss nach langer Zeit, kurz nach Beginn des Sommers, mal wieder die Bläck Fööss bemühen: „Dat Hätz vun dr Welt, jo dat es Kölle.“ Im Weltmaßstab ist diese zentrale Lage Kölns jedem Kölner bekannt, auch wenn die Welt das anders sehen mag. Aber ob die Kölner selbst wissen, wo das Herz ihrer Stadt zu suchen ist, speziell das industrielle Herz? Dafür muss man sich auf die rechte Rheinseite begeben – in die Deutz-Mülheimer Straße.

Es war im Jahr 1869, dass der gelernte Kaufmann Nicolaus August Otto (1832 bis 1891), später Erfinder des nach ihm benannten Viertakt-Verbrennungsmotors, in Deutz die erste neu erbaute Motorenfabrik der Welt bezog. Schon Jahre vorher hatte Otto mit der Produktion von Gasmotoren in einer alten Ölmühle in der Servasgasse begonnen – der Nukleus der Deutzer Gasmotorenfabrik, die später als Klöckner-Humboldt-Deutz-Konzern (KHD) zu einem Weltunternehmen aufsteigen sollte.

Die noch vorhandene Architektur erzählt so viel Spannendes, dass ich Sie heute gern dorthin mitnehmen möchte. Seit 2011 kümmert sich die Künstlergruppe „raum13 – Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ sehr ambitioniert um das Gelände und die Industriebauten, in denen außer Konzerten und Kunstinstallationen auch Führungen stattfinden.

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Der Gebäudezug an der Deutz-Mülheimer Straße ist denkmalgeschützt.

Marc Leßle und Anja Kolacek von Raum  13 weisen gern darauf hin, dass Besucher hier eben nicht bloß alte Fabrikhallen zu sehen bekommen. Sie stehen buchstäblich „auf dem Boden der Moderne“ und ihrer Mobilität, getrieben durch Verbrennungsmotoren.

Seit 1872 arbeitete Gottlieb Daimler als Technischer Direktor in Nicolaus Ottos Firma, Wilhelm Maybach als Chefkonstrukteur. Mit Otto bewohnte Daimler eine repräsentative Doppel-Villa gleich nördlich neben dem Werksgelände. Auf alten Ansichten ist sie gut zu sehen. Unter Daimlers Leitung entstand neben dem Ursprungsbau zunächst eine Eisengießerei für die Herstellung der Motorenblöcke. Immer neue Erweiterungsbauten griffen später auch auf die Ostseite der heutigen Deutz-Mülheimer Straße über. 1880 wurde der Verwaltungsbau errichtet, der älteste erhaltene Teil des gesamten Ensembles.

Von den allerersten Werkshallen ist nichts mehr übrig. Das sei typisch für Industrieanlagen, habe ich mir von Walter Buschmann erklären lassen, der früher beim Landeskonservator „der“ Experte für Technik- und Industriedenkmäler war. Werden auf einem Firmengelände An- oder Neubauten erforderlich, stört das Vorhandene nur und wird meistens nicht – oder besser: noch nicht – für bewahrenswert gehalten.

Die „Möhring-Halle“ ist in katastrophalem Zustand.

Was Sie vom alten, heute zu Mülheim-Süd gehörenden KHD-Werk noch sehen können, stammt aus der Zeit ab 1883. Im Rahmen einer wirtschaftlichen Unterstützung für die angeschlagene KHD wurde das Gelände 1996 von der Stadt Köln aufgekauft. Der Fertigungsbetrieb lief auf dem Gießerei-Gelände noch bis Anfang der 2000er Jahre weiter. 2006 verließ die Hauptverwaltung den Sitz in Mülheim Richtung Porz.

Einer Initiative Buschmanns ist es zu verdanken, dass nun ein Teil des für Wohnungsneubauten vorgesehenen Areals als Denkmal der Industriekultur erhalten bleiben soll. Nach einer Petition hat der Stadtrat, dem sehr an neuem Wohnraum für die immer noch wachsende Bevölkerung gelegen ist, einem zwischen den Beteiligten ausgehandelten Kompromiss zugestimmt.

Die Möhring-Halle soll stehen bleiben

Neben den ohnehin denkmalgeschützten Gebäuden wie dem ganzen Gebäudezug entlang der Deutz-Mülheimer Straße oder der von dem bedeutenden Jugendstil-Architekten Bruno Möhring (1863 bis 1929) entworfenen „Möhring-Halle“ soll vor allem der Mittelmotoren-Bau stehen bleiben mitsamt einem Fragment der 150 Meter langen Gießereihallen direkt im Anschluss an die Möhring-Halle.

Barbara Schock-Werner

Dafür werden dann die geplanten Wohngebäude höher als ursprünglich geplant. Ist ja logisch: weniger Grundfläche, mehr Stockwerke. Ich stelle mir ein kreativ kombiniertes Neben- und Miteinander von Industriegedächtnis, modernem Wohnen und der von den Künstlern getriebenen Frage nach unseren Vorstellungen vom „guten Leben“ ausgesprochen spannend vor. Das erfordert aber schon eine eigene Art von Kreativität. Mit 08/15-Lösungen kommt man hier bestimmt nicht weiter.

Das Ziel muss es sein, dass künftige Generationen einen lebendigen Eindruck davon bekommen können, wie die Menschen früher an diesem Ort gearbeitet haben. Wenn Sie auf Youtube suchen, finden Sie dort alte Video-Aufnahmen von der Motorenproduktion. Wichtig ist, dass der Charakter solcher Werkhallen im Inneren erhalten bleibt. Oft denken die Leute ja, es komme beim Denkmalschutz vor allem auf die imposanten alten Fassaden an. Aber ein Gefühl für Zweckbestimmung und Nutzung solcher Gebäude bekommt man erst, wenn man darin steht. Deshalb ist das „Entkernen“ oft nur die zweitbeste Lösung.

Lektüre-Tipp

Walter Buschmann u.a.: Via Industrialis. Entdeckungsreise Kölner Industriekultur, Klartext-Verlag Essen, 224 Seiten (mit Karten und zahlreichen Abbildungen), 13,95 Euro.

www.rheinische-industriekultur.com/

Mit der erwähnten „Möhring-Halle“ hat es eine eigene Bewandtnis. Sie konnte dem Architekten erst vor kurzem zugeordnet werden. Ursprünglich hatte er sie 1902 für die Düsseldorfer Kunst- und Gewerbe-Ausstellung gebaut. Lange Zeit galt sie danach als verschollen. Bis Walter Buschmann auf den Hinweis eines auf Industriebauten spezialisieren Kunstmalers herausfand: Man hatte die Halle nach Ende der Ausstellung komplett zerlegt und auf dem Gelände der Deutzer Gasmotorenfabrik wieder aufgebaut. Möhrings Entwurf war das Vorbild für die berühmte Maschinenhalle der Zeche Zollern 2/4 in Dortmund-Bövinghausen, heute Westfälisches Industriemuseum. Die heute zugemauerten Schwünge in den Fenstern, ein an den Jugendstil gemahnendes Detail, lassen noch erkennen, dass die Halle mehr sein sollte als ein reiner Funktionsbau.

Sehenswert sind auch die ehemaligen Räume der Direktion im Verwaltungs- und Sozialbau, der 1900 errichtet und 1939 noch einmal verändert wurde. Gemessen am Rang und an der Größe der späteren KHD, fallen sie vergleichsweise schlicht aus. „Spartanisch“, hieß es wohl schon zur Entstehungszeit. Der Besuch dort ist eine echte Expedition in die Vergangenheit. Im Treppenhaus des Hintereingangs – früher den Chefs vorbehalten – hängt der Dispersionsanstrich in tellergroßen Schuppen herunter. Wuchtiges Mobiliar, dunkle Holzvertäfelungen an den Wänden, grau-grüne Auslegware erinnern an die Jahrzehnte zwischen 1940 und 1970. Die weißen Gardinen, die in einigen Räumen hängengeblieben sind, sehen auch aus wie aus den 1970ern. Im Konferenzraum des Vorstands hat mir der analoge Vorläufer der Powerpoint-Präsentation gefallen: Hintereinander angeordnete Holztafeln sind dort auf Schienen in die Wand eingelassen, so dass man sie bei Bedarf hochschieben und herunterziehen kann. Man sieht auf den Paneelen noch die Löcher der Reißnägel, mit denen die in den Sitzungen gezeigten Plakate befestigt waren.

Beim Stöbern in den Abstellräumen haben die Künstler von Raum  13 viele alte Ordner gefunden, unter anderem mit Personallisten und Gehaltsabrechnungen enthalten. Die Akten haben sie zu Sitzgelegenheit umfunktioniert, die Papiere auf ironische Art neu arrangiert. Eine „Entdeckungsreise“ nennt Walter Buschmann seinen mit zwei Co-Autoren verfassten, soeben erschienenen Führer „Via Industrialis“ zu den Relikten der Kölner Industriekultur. Die Station Deutz-Mülheimer Straße ist auf dieser Reise ein Muss.

Aufgezeichnet von Joachim Frank