Die Eltern sind nicht begeistertKölnerin Anna wohnt auf dem Bauwagenplatz
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Der Traum vom alternativen Leben: Auf dem Bauwagenplatz an der Inneren Kanalstraße leben 30 Menschen.
Sie teilen sich einen Badewagen und trinken im Winter draußen Kaffee.
Doch der Lebensstil der Bewohner trifft nicht überall auf Verständnis.
Ehrenfeld – „Ich mag es, auf einer kleinen Fläche zu leben und wenige Dinge zu besitzen. Ich habe hier viele nette Menschen um mich herum, aber ich kann auch meine Tür zu machen. Es ist wie eine riesige WG, aber man hat mehr Raum.“ Anna sitzt bei ihrem Feierabendkaffee vor dem Küchenwagen, den sie sich mit zwei ihrer 30 Mitbewohner teilt. Die 33-Jährige wohnt seit vier Jahren auf dem Wagenplatz „Wem gehört die Welt“ an der Ecke Krefelder Straße/Innere Kanalstraße.
Versteckt hinter bemalten Wänden
Versteckt hinter bemalten Schutzwänden stehen hier etwa drei Dutzend alte Bau- und Lastwagen in lockeren Grüppchen zusammen. Hier wohnen eine Erlebnispädagogin und ein Elektriker, Musiker, Künstler, ein Hundetrainer, ein Heilerziehungspfleger, manchmal auch Studierende. Anna arbeitet als Psychologin. Sie trägt ihre blonden Haare mit kurzem Pony und zur grauen Jeans eine dunkle Pulloverjacke.
„Ich wollte immer schon anders leben. Aber ich hatte keinen klaren Plan, was das bedeuten sollte.“ Dann lernte sie einen Bewohner des Wagenplatzes kennen, machte Schnupperwohnen und blieb. „Ich mag das Draußensein total gerne. Ich mag es, morgens meine Zähne draußen zu putzen und meinen Kaffee draußen zu trinken.“ Auch im Winter? „Ja“, sagt Anna. Felix sitzt ihr gegenüber, er stimmt ihr zu. Er trägt schwarze Kleidung, unter seiner Kappe ragen ein Paar Dreadlocks hervor, die ihm über die Schulter fallen. Seit zwei Jahren wohnt er hier. Er ist ausgebildeter Steinmetz und Bildhauer, mit 20 Jahren ging er vier Jahre auf die Walz. „Ich war permanent unterwegs, habe in vielen Städten spontan einen Schlafplatz gesucht.“
So lernte er das Wagenleben kennen, denn Wagenplätze gibt es überall in Deutschland, und sie bieten Gästen vorübergehend einen Schlafplatz an. Nachdem er in Köln in WGs und Hausprojekten gewohnt hatte, entschied Felix sich auch hier für den Wagenplatz. „Da war mir zu wenig Platz. Ich brauche nicht viel Platz drinnen, aber ich brauche mehr Platz draußen, weil ich gerne schraube und bastele.“
Wagen selbst ausgebaut
Dinge selbst machen, das gehört zum Leben auf dem Wagenplatz dazu. Bei Anna fing es damit an, dass sie ihren alten Bauwagen selbst von innen ausbaute. Sie entkernte und dämmte ihn, baute Fenster ein und verkleidete die Wände mit Holz. Wenn sie einmal nicht weiter wusste, fragte sie ihre Mitbewohner. „Die Berufe hier sind ziemlich bunt-gemischt, da gibt’s viele Ansprechpersonen für sämtliche Fragen.“
Etwa 17 Quadratmeter Grundfläche hat so ein Bauwagen. Hat man da einen Lieblingsplatz? „Ich bin einfach gerne hier drin“, sagt Felix. Im Inneren seines himmelblauen Containers füllt eine Schallplattensammlung ein Regal, über seinem Hochbett reihen sich Bücher auf Holzbrettern aneinander. Der Trick ist, die Wände zu nutzen, das zeigt sich auch an seiner selbstgezimmerten Holzküche. Auf Regalbrettern knapp unter der Decke stehen Töpfe und Lebensmittelvorräte, von Haken hängen Pfannen und Siebe herab, Öle und Kräuter sind in Mini-Wandregalen untergebracht.
Tanzabende und Diskussionen
Zum Selbstgestalten gehört auch, dass die Bewohner mehrmals im Monat unkommerzielle Veranstaltungen – Tanzabende, Punk-Konzerte, politische Diskussionen – organisieren und ihren Platz für Besucher öffnen. Dafür haben sie eine Bühne gebaut und ein rundes Häuschen in der Platzmitte zusammengezimmert. Einmal in der Woche treffen sie sich zu einem Plenum, bei dem jeder sein Anliegen vortragen kann, und die Gemeinschaft entscheidet, ob es umgesetzt wird. Manche Bewohner sind jedes Mal dabei, andere kommen nie zum Plenum. Alles ist freiwillig.
Anna und Felix schätzen den Austausch mit Mitbewohnern und Gästen. Nur manchmal müssen sie sich einschränken: Es gibt genau einen Badewagen für 30 Bewohner. „Das klappt erstaunlich gut“, sagt Felix. Manche duschen auch draußen oder in ihrem Wagen.
Manche haben Vorurteile
Was halten Familie und Freunde von ihrer Lebensweise? Annas Eltern waren anfangs nicht begeistert, viel geändert habe sich daran bis heute nicht. „Viele fanden es aber auch cool und haben gesagt: Wie mutig, dass du das machst, aber ich könnte das nicht!“ Für Felix’ Eltern war seine Entscheidung kein Problem. Aber Anna und er würden neuen Arbeitskollegen nicht am ersten Tag davon erzählen. „Da sitzen merkwürdige Vorstellungen in den Köpfen und du musst das erst erklären“, meint Felix. „Ich sage immer, wir leben so wie Peter Lustig, den kennen alle“, sagt Anna.
Wagenplätze in Köln
Der Wagenplatz „Wem gehört die Welt“ befindet sich seit 25 Jahren an der Krefelder Straße. Die Stadt stellt das Grundstück zur Verfügung. Zuvor gab es das Projekt fünf Jahre lang in Raderberg. Neben dem Wagenplatz „Wem gehört die Welt“ gibt es neun weitere Plätze, nicht alle wollen in der Zeitung erwähnt werden. Größere Plätze sind die Osterinsel in Ehrenfeld, die Wagenplätze in der Indianersiedlung in Zollstock und das Schöner Wohnen in Deutz. Etwa 200 Menschen wohnen schätzungsweise auf den Kölner Wagenplätzen. Die Plätze werden als Wohnraum und für unkommerzielle Veranstaltungen wie Kneipen- und Filmabende, Konzerte, Partys, Lesungen und Ausstellungen genutzt. Gäste finden hier auch spontan einen Schlafplatz.
Vier Kinder
Einige Anwohner gingen allerdings auch davon aus, dass hier Obdachlose lebten. „Die stellen uns manchmal Essen vors Tor.“ Dabei haben in den 30 Jahren, die es den Wagenplatz gibt, schon ganze Familien hier gelebt. Momentan wohnen vier Kinder zeitweise hier. Auch die beiden Söhne von Felix haben ihren eigenen Wagen hier.
Jeder hat seinen Rückzugsort, und wer Gesellschaft sucht, findet sie. Während Anna in Ruhe ihren Feierabend genießt, gesellt sich Felix zu den Mitbewohnern im Nebenhof. Einer von ihnen spielt Gitarre, ein anderer probiert Skateboardtricks. Den Platz dafür haben sie hier.