Köln – Felix Mayr verbringt seine Urlaube angelnd am Wasser. Im Mai war er zwei Wochen am Heider Bergsee, angeln und zelten. Vor ein paar Jahren war er im Januar zwei Wochen am Bleibtreusee, angeln und zelten. Eines Morgens wurde er wach und es hatte zehn Zentimeter geschneit. „Der See war gefroren, meine Füße auch. Als die Eisschicht getaut war, bin ich mit dem Schlauchboot auf die andere Seite gepaddelt. Da habe ich zwei 20 Kilo schwere Karpfen gefangen. Der Urlaub hatte sich also gelohnt.“ Felix Mayr sitzt am Aachener Weiher und fixiert die Spitze seiner Angelrute; Jogger und Spaziergänger laufen vorbei, hinter ihm knutschen Paare auf den Holzschaukeln vor dem Biergarten, Bahnen kreischen, Blesshühner fiepen, Autoreifen quietschen, es riecht nach Sommer in der Stadt. Ein Vater kommt mit seiner Tochter vorbei und fragt ungläubig: „Was fängt man hier?“ „Nur kleine Fische“, sagt Mayr. „Karpfen und so.“ Eben hat er so einen Karpfen gefangen, ein Kilo schwer vielleicht, gold-gelb-grünlich glänzend, „einmalig schön“.
Im Brühler Bleibtreusee hat er dieses Jahr schon Karpfen gefangen, die so groß waren wie kleine Ferkel, über 25 Kilo, er bindet das aber keinem auf. „Kinder stellen die originelleren Fragen“, sagt er. Die fragten nach Details: Sie erkundigen sich nach der Futterschleuder, mit der Mayr Mais oder Teigballen exakt dorthin schießt, wo sein Köder liegt. Sie fragen nach Schwimmer, Blei, Kescher und Maden, die neben ihm in einem Schälchen krabbeln. „Mädchen haben weniger Angst, Maden in die Hand zu nehmen als Jungs“, sagt Mayr. „Ich sage den Kindern immer, sie sollen die Maden ihren Eltern zeigen. An einem Schrei höre ich dann, dass sie angekommen sind.“ Es hat jetzt schon lange keiner mehr gebissen. Mayr sagt: „Gleich geht es ab, ganz sicher.“
Eine Wohnung wie ein Angelgeschäft
Seine Wohnung sieht aus wie ein Angelgeschäft: Über dem Bett hängen Ruten, er hat über 50. In der Küche stehen zwei Gefriertruhen mit Angelködern, die er selbst macht: Wenn er Teig zubereitet oder spezielle Köder für Karpfen („Boilies“), kauft Mayr 100 Eier, die er mit Biskuitmehl, Fischsoße und anderen Zutaten, die er natürlich nicht verrät, verarbeitet und einfriert. In der Küche riecht es für Fremde komisch, wenn er Fischteig zubereitet, für Mayer riecht es dann verheißungsvoll. Der 31-jährige Garten- und Landschaftsbauer angelt an jedem Kölner Gewässer: Am Adenauerweiher und Aachener Weiher, am Mediapark, im Volksgarten und im Blücherpark, am Fühlinger und am Escher See.
Felix Mayr sieht – wenn man sich den Klischeeangler vorstellt – nicht aus wie ein Angler. Er ist nicht dick, er ist nicht starrköpfig (außer, wenn es ums Angeln geht: mit seiner letzten Freundin war er in vier Jahren nie im Urlaub), er trinkt nicht literweise Bier (okay, nur ganz selten), er wirkt sehr offen (es sei denn, es geht um seine Angelmethoden).
Warum er seine freie Zeit angelnd verbringt? „Weil ich angeln liebe, seit ich mit vier oder fünf das erste Mal in Holland mit einer Bambusangel ein Rotauge gefangen habe“, sagt er. „Weil es überall wunderschöne Fische gibt. Der Kick, wenn einer beißt, ist überall der gleiche. Ich kriege dann noch immer weiche Knie, und mein Puls schlägt höher.“ Vielleicht sei es der Jagdtrieb, überlegt Mayr. „Mein Opa war Jäger, aber ich esse die Fische, die ich fange, nie.“ Eher sei es „der Mythos eines Gewässers. Du schmeißt den Köder aus, und weißt nicht, was in der Tiefe passiert. Und wenn du dann eine urige Schleie oder einen glänzenden Spiegelkarpfen fängst, dann ist das immer wieder ein Wunder“.
Der Aachener Weiher liegt ruhig im Nieselregen, Dunst zieht auf, der Himmel klart gleich auf. „Perfektes Wetter“, sagt Mayr, „gleich geht es ab.“ Ein Mann mit reichlich Dosenbier auf dem Fahrradkorb fragt, ob er das Ungeheuer von Loch Ness gesehen habe. „Ich ruf dich an, wenn ich es sehe, ich hab ja deine Nummer“, sagt Mayr. Er ist kein einsilbiger Angler, er redet gern mit den Leuten. Mit dem Junkie, der ihm sein Leben erzählt, genauso wie mit dem Banker, der fragt, wie viel die Ausrüstung gekostet hat.
Wie ein asketischer Sportler vor dem Ironman
Er spricht auch gern mit den Mädchen, die zu ihm kommen – Felix Mayr ist groß und drahtig, er hat dunkle, warme Augen und kann gut erzählen. Fische zu fangen mögen viele Frauen nicht so sexy finden, aber wenn da ein Angler sitzt, der sehr nett ist, kann sich das ändern. Am Mediapark habe er mal ein Mädchen kennengelernt, mit dem er sich so gut verstanden habe, dass er die Angeln irgendwann eingepackt habe. „Am Alberti-See in Gremberghoven war mal gegenüber meiner Nachtangelstelle eine Party. Ich habe die Nacht durchgetanzt und dann mit einem Mädel vor dem Zelt den Sonnenaufgang angeguckt.“ Er hat einige so romantische Geschichten erlebt, aber deswegen angelt er nicht. „Wobei die Mädels, die hier joggen am Aachener Weiher, kein Nachteil sind, beim Angeln.“
Mayr will nicht viel Gewese ums Fische fangen machen. Irgendwann sagt er: „Ich hoffe, ich konnte dir helfen. Ich kann mich beim Angeln nicht so gut aufs Reden konzentrieren.“ Man kann einem akribischen Fischer wie ihm nicht gerecht werden, wenn man sich mal zwei, drei Stündchen mit ihm ans Wasser setzt. Felix Mayr ist meist zwei Tage vor dem Angeln am Teich, um das Wasser zu beobachten. Er bereitet sich auf jeden Fischzug vor wie ein asketischer Sportler auf einen Ironman.
Er zuckt mit den Schultern. Arbeiten, Angeln und Feiern, sagt er, das sei eben seine Art, seine Zeit auf der Erde zu verbringen. „Wenn ich schnelle Bässe höre und tanzen kann, bin ich glücklich“, sagt Felix Mayer, „und wenn ich Ruhe habe, beim Angeln, bin ich auch glücklich.“ Mehr ist es nicht.