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Erster Urlaub alleineWie Ford-Chef Bernhard Mattes zum ersten Mal in die USA flog

Lesezeit 4 Minuten

Bernhard Mattes als 16-Jähriger bei einem Ausflug an den Strand von Ocean City, Maryland. Da hatte seine Gast-Familie eine Ferienwohnung – und er noch schulterlange Haare.

Köln – Das Paket. So lautete sein Codename. „Paket gut angekommen“, hieß es im Telegramm, das im Sommer 1972 in der Wolfsburger VW-Zentrale eintraf. Dort arbeitete Toni Mattes im Management, der Vater des heutigen Ford-Deutschland-Chefs Bernhard Mattes. Und Mattes senior hatte seinen damals 16 Jahre alten Junior für den Sommer zur Familie eines Bekannten in die Nähe von Baltimore im US-Bundesstaat Maryland geschickt. Ganz allein, zum ersten Mal ohne Eltern.

„Mit dem Fernschreiber“, erinnert sich das damals sogenannte Paket, „das hatte mein Vater so organisiert, weil Überseeanrufe Anfang der 1970er ein Vermögen gekostet haben.“ Was auch dazu führte, dass der Sohn seinen Eltern in jenem Sommer Briefe schrieb. „Aber nur Postkartengrüße, mehr war das nicht“, meint Mattes.

Bierfass durch den Flieger gerollt

Vermisst habe er die Eltern ohnehin nicht, dafür sei der Aufenthalt für ihn viel zu aufregend gewesen. „Allein schon der Flug“, weiß er noch, „damals war es nicht nur etwas Besonderes, interkontinental zu fliegen. Damals war auch die Economy-Klasse noch ein echtes Flugerlebnis.“ Ein Fass Bier hätten die Flugbegleiterinnen zum Beispiel durch den Mittelgang geschoben. Eine Frau, die zwei Reihen vor Mattes saß, die habe so kräftig zugelangt, „die brauchte in New York Hilfe, um von Bord zu kommen“.

Mattes’ größte Hilfe war Mary, die Gastmutter. Um die 60, klein gewachsen, graues Haar. Sie holte ihn am Flughafen in Baltimore ab, brachte ihn ins Haus der Familie. Vier der fünf Kinder waren ausgezogen, „dadurch hatten sie genug Platz, um mich bei sich aufzunehmen“. Dafür übernahm er auch einiges im Haushalt: Er trug Mary zum Beispiel die Einkaufstüten, deckte den Dinner-Tisch („die Amerikaner essen ja am liebsten abends“). Und wenn sie alle miteinander am Strand waren – die Familie hatte eine Ferienwohnung im dreieinhalb Autostunden entfernten Ocean City – dann kümmerte sich Mattes um die Getränke.

American Way of Life hautnah

Außer an dem Tag, als sie den Geburtstag eines Jugendlichen besuchten, der bekannt war mit der Gastfamilie. „Das war ein netter Nachmittag“, findet Mattes. „Ich hab mal mit ganz vielen in meinem Alter zu tun gehabt. Und das Besondere war: Die Eltern kamen mit ihren Kindern zur Party und haben ordentlich mitgefeiert, vor allem an der Bar des Hauses. Aus Deutschland kannte ich nur, dass maximal die Mutter auf die Kinder aufpasst, wenn sie Topfschlagen, oder so. Aber in Amerika – da war der Kindergeburtstag ein Fest für alle. Das fand ich schön.“

Der American Way of Life hautnah. Na klar, mit dem Besuch eines Baseball-Spiels der Baltimore Orioles („nicht mein Spiel, mir sind da zu viele Pausen drin, zum Zuschauen war das langweilig“). Mit geländegängigen Go-Karts fahren im Freizeitpark („hat Spaß gemacht, ich hatte damals schon Benzin im Blut“).

Wellenreiten im Atlantik („sensationell!“). Und mit einem Ausflug in die Hauptstadt Washington, D.C.: „Ich weiß noch, wir haben da all die Klassiker gesehen – den Capitol Hill, das Weiße Haus, das Lincoln Memorial, den Arlington-Friedhof mit dem Grab von John F. Kennedy.“

Und dann war da das Fußballspiel. Wirklich europäischer Fußball, kein American Football. „Einer der Söhne meiner Gastfamilie spielte in der ersten Mannschaft der Baltimore Bays“, erzählt Mattes. „Und die hatten ein Freundschaftsspiel gegen Torpedo Moskau – da durfte ich mit hin und mir das ansehen.“ Ein Höhepunkt für Mattes, der heute Fan des 1. FC Köln ist. Insgesamt sei es ein so schöner Urlaub gewesen, dass er ihn zum Freund der USA habe werden lassen. „Es passt, dass ich für einen amerikanischen Automobilkonzern arbeite und dass ich Präsident der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland bin.“ Schon damals sei er so begeistert gewesen, dass er daheim nicht rauskam aus dem Schwärmen. „Das ging so weit, dass mein fünf Jahre älterer Bruder meine Eltern bekniet hat, ob wir nicht zusammen noch einmal hin könnten. Das durften wir auch, ein Jahr später sind wir gemeinsam geflogen.“ Und so tickerte im Jahr darauf ein Telegramm aus Baltimore in die VW-Zentrale in Wolfsburg: „Pakete gut angekommen“.