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„Gesellschaftliche Stimmung kippt“So blickt Kölns queere Community auf die Sicherheit beim CSD

Lesezeit 4 Minuten
Matthias Eiting steht auf der für den CSD geschmückten Schaafenstraße.

Matthias Eiting betreibt zwei Lokale in der Schaafenstraße.

In die Vorfreude mischen sich mit Blick auf den Christopher Street Day (CSD) auch Sorge und Berichte von Übergriffen.

Wenn am kommenden Sonntag vermutlich hunderttausende Menschen in Köln den Christopher Street Day (CSD) feiern, werden Matthias Eiting und seine Mitarbeiter auf der Schaafenstraße, Kölns bekanntester Partymeile für queere Menschen, schon auf sie warten. „Abends strömen die Menschen zu uns auf die Straße, feiern und trinken bis in den Morgengrauen“, erzählt er „Es wird laut, es wird voll, und es wird lang“, ist sich Eiting sicher. „Eigentlich wie immer.“

Hört man sich in der queeren Community in Köln um, wirkt es, als sei allerdings nicht alles wie immer. Denn in die Vorfreude auf die größte queere Demonstration des Jahres mischen sich Berichte über queerfeindliche Übergriffe und Sorgen um die Sicherheit queerer Menschen.

Zwei Übergriffe auf das queere Beratungszentrum Anyway in kurzer Zeit

Auch Eiting berichtet davon. Vor 16 Jahren eröffnete er seinen ersten Laden auf der Schaafenstraße, heute besitzt er zwei und sitzt im Vorstand der Wirtegemeinschaft. „Angriffe auf schwules Leben hat es schon immer gegeben, aber in den vergangenen Jahren hat das sicherlich nochmal zugenommen.“ Immer wieder würden ihm Gäste von Zwischenfällen berichten. „Beleidigungen wie ‚Du Schwuchtel‘ aber auch Angriffe, kommen öfter vor.“

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Auf der Schaafenstraße selbst, die seit Jahren von einem Sicherheitsdienst überwacht wird, komme es seltener zu solchen Vorfällen – dafür aber in den dunkleren Ecken der Seiten- und Nebenstraßen, wenn die Gäste nach Hause gehen, so Eiting. „Das ist aber auch auf anderen Partymeilen so. So wie die Kriminalität in der ganzen Gesellschaft ansteigt, tut sie es auch im Umfeld der Schaafenstraße. Wir sind hier leider keine Insel der Glückseligen.“

Rabea Maas im Porträt

Rabea Maas, stellvertretende Geschäftsführerin von Anyway Köln

Auch Rabea Maas aus dem Vorstand des queeren Jugendzentrums Anyway berichtet von zunehmenden Übergriffen. „Grundsätzlich ist der CSD für unsere Besuchenden der Höhepunkt des Jahres. Doch in diesem Jahr blicken wir mit gemischten Gefühlen auf die Veranstaltung“, sagt sie. „Wir merken seit mindestens einem halben Jahr, wie die Stimmung gegen marginalisierte Gruppen wie junge queere Menschen in Teilen der Gesellschaft kippt.“

Das merke sie etwa an vermehrten Hasskommentaren gegen das Jugenzentrum im Internet, aber auch direkt vor der Haustür. Allein in den vergangenen zwei Monaten hätten sich zwei queerfeindliche Übergriffe vor dem Haus des Anyway ereignet, schildert Maas. Beim ersten Vorfall seien Gäste des Anyways queerfeindlich beschimpft, worden außerdem hätten Unbekannte eine Stinkbombe in ihre Richtung geworfen. Bei dem zweiten Vorfall hätten Unbekannte sogar versucht, einen Mitarbeiter des Anyway zu schlagen. „Nur durch Jugendliche aus dem Anyway, die dazwischen gegangen sind, konnte das verhindert werden“, so Maas.

Auch wegen der zunehmenden Feindseligkeit gegen queere Menschen sei der CSD wichtiger denn je. Auch Eiting von der Schaafenstraße sagt: „Der CSD ist nach wie vor extrem wichtig, um Gesicht zu zeigen. Schaut man sich das Erstarken der Rechten an, kann man absehen, dass in den nächsten Jahren schwere Zeiten auf uns zukommen.“

Hohe Dunkelziffer bei queerfeindlichen Übergriffen

Betrachtet man die Zahlen zu queerfeindlichen Übergriffen, ergibt sich ein komplexes Bild: Bundesweit nehmen Übergriffe zu und das sogar deutlich: Laut der Statistik des Bundeskriminalamtes hat es im Zusammenhang mit sexueller Orientierung im vergangenen Jahr 1499 Straftaten – davon 288 Gewaltdelikte – gegeben. Das entspricht laut einem Anstieg von knapp 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

In Köln hat es laut Angaben der Polizei im vergangenen Jahr 30 Anzeigen wegen queerfeindlicher Übergriffe gegeben, 2022 waren es noch zehn weniger. In diesem Jahr hat die Polizei bisher allerdings nur vier Anzeigen registriert. Aber: „Das Dunkelfeld bei queerfeindlichen Delikten ist nach wie vor groß, das ist weiterhin ein Problem. Die offizielle Statistik spiegelt daher bei weitem das reale Ausmaß nicht wider“, sagt Thorsten Helmers. Er ist seit Juni 2023 der erste Queer-Beauftragte der Kölner Polizei.

„Studien gehen bei geringfügigen Straftaten, wie Beleidigungen, von einem Dunkelfeld von 80 bis 90 Prozent aus. Schwerwiegendere Straftaten wie Körperverletzungen werden zwar häufiger angezeigt, doch auch hier gehen Studien von einem Dunkelfeld von bis zu 60 Prozent aus.“ Helmers wirbt für eine höhere Anzeigenbereitschaft und Vertrauen in die Arbeit der Polizei, unter anderem mit der Kampagne „Anzeigen statt Aushalten“ mit Netzwerkpartnern wie der Stadt Köln.

Auch Eiting von der Schaafenstraße ist das Problem bekannt. „Viele Menschen machen die Erfahrung, dass kaum etwas passiert, wenn sie Übergriffe anzeigen, andere wollen erst gar nicht, dass zu Hause ein Brief nach der Anzeige ins Haus flattert, etwa weil sie nicht geoutet sind.“  Trotzdem zeigt sich Eiting vorsichtig optimistisch, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Polizei geht, das war nicht immer so: „Es ist noch zu früh, um das zu bewerten, aber mit dem neuen Queer-Beauftragten sind wir auf einem guten Weg.“ Auch ein Besuch von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), Polizeipräsident Johannes Hermanns und Stadtdirektorin Andrea Blome Anfang des Monats zeige, dass die Belange der Schaafenstraße ernst genommen werden: „Wir sind im Dialog.“

Auch Maas vom Anyway sieht darin, dass die Polizei nun einen Queer-Beauftragten eingesetzt hat, „ein wichtiges Zeichen“. Sie wünscht sich, „dass die Sensibilität dafür weiter steigt, dass queere Menschen eine vulnerable Gruppe sind, die Schutz braucht.“