Köln – 30 Jahre gehen auch am Ensemble der Stunksitzung nicht spurlos vorbei. Mit einem verdrehten Knie kämpfte sich Präsidentin Biggi Wanninger durch die Premiere der größten Alternative im Sitzungskarneval. Ohne Treppenlift („Den haben wir so schnell nicht mehr organisiert bekommen.“) kam sie nicht das Elferratsgestühl hoch. Doch die Verletzte konnte über sich selbst lachen. Und die Zuschauer über viele Pointen, die auch nach drei Jahrzehnten noch den Nerv der Zeit treffen. Bewiesen schon dadurch, dass die Premiere verspätet begann, weil nach einem Unfall auf der Mülheimer Brücke gar nichts mehr ging – und einer der Höhepunkte des Abends eine Nummer eben dazu war.
Da will Hans Kieseier als Brummifahrer aus Brandenburg 22 von 23 Dienstjahren auf Kölner Brücken verbracht haben. Mit ihnen hätte die DDR gut gesichert werden können. „Jede Flucht unmöglich.“ Auch die Liebesschlösser auf der Hohenzollernbrücke hält er mitnichten für romantischen Kitsch. „Die halten die Brücke zusammen.“ In seiner Spedition sei er der einzige, der überhaupt noch nach Köln fahre. Selbst Familienväter würden Afghanistan bevorzugen. „Da ist es sicherer und sie sind auch früher wieder zu Hause.“Bessere Stimmung herrscht bei „Sonnenkönigin“ Angela Merkel, die gleich in zwölffacher Kopie auf die Bühne marschiert kommt. Frei nach dem Festkomitee-Motto „Zokunf – mer spingske, wat kütt“ prophezeien die Stunker bereits die Auflösung aller anderen Parteien außer der Merkelschen Anno 2017 sowie eine neue Weltwährung namens Uckermark für 2032.
Meisner liefert mehr Gags als Merkel
Doch trotz ihrer Dauerregentschaft: Deutlich mehr Gags als die Kanzlerin hat den Stunkern Joachim Kardinal Meisner geliefert. Er wird von den Gottlosen reumütig in die Rente verabschiedet. Sich mit Peitschenhieben auf ihre eigenen Rücken selbst kasteiend tun sie Buße – und geloben, nie wieder Dinge zu sagen wie etwa, dass der Erzbischof ein Schwulenhasser, Sakralstalinist oder gar Pissnelke vor dem Herrn sei. Sein Abschied schmerzt sie sichtlich. „Warum nur...?“ rufen sie verzweifelt gen Himmel. „Warum nur nicht schon früher?“ Und der Saal singt zum Dank ein Halleluja.
Die erste Stunksitzung fand 1984 in der Studiobühne der alten Kölner Mensa statt. Damals waren die Darsteller noch Studenten, die die traditionellen Prunksitzungen persiflieren wollten. Nach sechs Jahren mussten die Stunker wegen der großen Nachfrage 1991 in das wesentlich größere E-Werk in Mülheim umziehen. Bis Karnevalsdienstag gibt es in diesem Jahr 49 Vorstellungen. Alle sind ausverkauft. Das WDR-Fernsehen zeigt die Sitzung am 27. Februar um 22 Uhr. (kaz) www.stunksitzung.de
Dankbar dürfen auch Claudia Roth und Jürgen Trittin sein, die seit ihrem unfreiwilligen Politik-Abstieg nun sehr viel Zeit haben – und das neue Ermittlerteam im Kölner Tatort stellen. Doch auch hier scheitern sie, weil sie sich weigern, Kölsch aus Dosen zu trinken, auf Verfolgungsjagden mit Tempo 30 bestehen und Szenen mit Handys wegen Elektrosmoggefahr ablehnen. Der FDP hingegen bleibt nicht mehr übrig, als Berliner Terrorkommando zu drohen, „Andrea Nahles zu entführen – und sie wiederzubringen“. Ein neuer Karnevalsverein namens Löstige Wutbürger ist sogar gegen Wind, aber für Nachtruhe am Brüsseler Platz auch tagsüber. Die kölsche NSA-Abteilung entscheidet per Münzwurf, ob der verdächtige SMS-Inhalt HADILI „Hab dich lieb“ oder „H-Bombe Dienstag im Linienbus“ heißt. Aus Kölner Sicht die schönste Nummer aber ist ein Zwiegespräch zwischen Ikarus und Nubbel an der Archiv-Einsturz-Baustelle, die davon träumen, wie der Zoch hier wieder lang geht und alle Verantwortlichen am Loch niederknien.
International politisch am heftigsten ist die RTL-Nobelpreisshow mit Thomas Gottschalk und Daniela Katzenberger. Hier erhält Türkeis Ministerpräsdent Erdogan den Nachwuchsdiktatorenpreis und Syriens Präsident Assad den Preis in der Sparte Chemie. Er dankt seinen deutschen Lieferanten: „Ihr Deutschen wart beim Thema Gas schon immer Experten.“ Dann doch lieber russische Don Kosaken, die aus Solidarität nur noch Schwulenhymnen singen, was nur eine brillante Nummer von vielen der großartigen Köbes Underground-Formation ist. Und Sitzungspräsidentin Biggi Wanninger? Ist nicht nur tapfer, sondern auch genial. Ob als Bauchrednerin mit ihrem Handpuppen-Alter Ego oder Marcel Reich-Ranicki im Himmel, der sich weigert in ein Literarisches Quartett mit Allah und Moses zu gehen. „Worüber soll ich mit dem diskutieren? Karikaturen? Und die Zehn Gebote sind literarisch auf dem Niveau eines Zehnjährigen.“ Am Ende gibt Gott gar zu, die Fenmen-Aktivistin auf dem Altar des Doms Meinser zum Geburtstag geschenkt zu haben. Gerne nochmal 30 Jahre. So Gott will.