Die traditionelle Kölner Stunksitzung feiert Premiere und widmet sich neben Köln und Karneval stark der internationalen Politik.
Die Karten für die Sitzung im Kölner E-Werk sind bereits restlos ausverkauft, es gibt aber eine Restkartenbörse.
Ob sich das Programm auch in diesem Jahr lohnt, erfahren Sie hier.
Köln – AKK steht für Advent, Karneval, Köln. Das bedeutet übersetzt: Premiere der Stunksitzung im E-Werk mitten in der Vorweihnachtszeit. Mit Biss, Komik, Musik und einigen überraschenden Ideen präsentiert das Ensemble eine vergnügliche Kabarett- und Comedy-Show, die zum Start noch nicht durchgängig auf Betriebstemperatur war. Alle erwartbaren Bereiche sind dabei: Klima, Lokalpolitik, Weltgeschehen, Kirche, Karneval und Gesellschaftskritik. Allerdings widmen sich die Akteure unverständlicherweise einigen Zucker-Themen nur halbherzig.
So wird beispielsweise die Stadtpolitik lediglich gestreift, da wäre deutlich mehr drin gewesen. Der Versuch von Oberbürgermeisterin Henriette Reker (Martina Klinke), mit Unterstützung von Aufräumexpertin Marie Kondo (Doris Dietzold) das unordentliche Stadtbild in den Griff zu bekommen und dafür den Dom in den Zoo zu versetzen, ist nett, mehr aber auch nicht.
Hervorragende „Schlechte-Laune-Sitzung“ in Köln
Hervorragend dagegen die „Schlechte-Laune-Sitzung“ der Karnevalsgesellschaft „Kletterberger Kotzkümpchen“ mit ihrem Präsidenten Hans-Peter Mies (Hans Kieseier). Im Heizungskeller des Gürzenich verspricht der Berufsstinkstiefel „einen Kessel Graues mit erlesenen Tiefpunkten“. Begleitet von der Sitzungskapelle, die Trübsal-Bläser von Heisterbachrott, darf auf die Bühne, wer nix zu sagen und zu bieten hat. Zum Leidwesen von Mies hat seine Top-Flop-Künstlerin Marie-Luise „Dieniegutwar“ abgesagt. Das witzbefreite Programm bestreitet stattdessen die durch alle Castings gefallene Band „De Stöhner“, deren Mitglieder durch markante blonde, gezwirbelte Schnurrbärte auffallen. Die vielleicht stärkste Nummer des Abends.
Toll auch Anne Rixmann als Gottesmutter. Die hat den Kirchenstreik der katholischen Frauen unter dem Motto „Maria 2.0“ verfolgt und ist schwer enttäuscht. Der Protest der Frauen gegen die männerdominierte Kirche sei wirkungslos geblieben. Ihr Fazit: „Dieser Laden ist unreformierbar. Frauen haben nichts zu sagen, sind aber an allem schuld.“ So sei das Ganze doch schon losgegangen, mit dem Skandal um Eva und dem Sündenfall.
„Das ist ein Propagandastück, das hätte selbst Goebbels nicht besser gekonnt.“ Doch jetzt ist Schluss. Maria zieht die Reißleine. Mit den „Fummeltrinen in Prada-Schühchen“ will sie nichts mehr zu tun haben. Sie verlässt ihren Sockel, zieht die bestickte Robe aus und verkündet ihren Amtsverzicht. „Ich mache denen nicht mehr länger die Alibimutti, die Quotenfrau. Ich habe fertig.“
Bühnenzwilling von Reiner Calmund bei Kölner Stunksitzung
Sitzungspräsidentin Biggi Wanninger führt solide durchs Programm und brilliert in ihrer Paraderolle „Calli“. Der Bühnenzwilling von Reiner Calmund bekämpft derzeit seine Mett-Abhängigkeit und ist im „Mett-Adonprogramm“. Sehr witzig.
Durchweg gelungen sind die Musikbeiträge. Die Hauskapelle Köbes Underground mit Frontsänger Ecki Pieper ist wie gewohnt ein Garant für höchste Qualität. Außergewöhnlich zum Beispiel die Wasserpfeifen-Einlage mit Gesang als Gruß an die „FC-Pfeifen“. Für Begeisterungsstürme sorgen „Stavross & Ali“ (Charalampos Lavassas und Ozan Akhan) mit ihrer Rap-Einlage.
Lavassas ist neu im Ensemble der Stunksitzung und der erste Alternativ-Karneval-Wechsel-Künstler. Er war zuvor Mitglied im Team der Immisitzung. Nicht minder enthusiastisch wird der Musik-Battle zwischen Anne Rixmann und Ozan Akhan vom Publikum aufgenommen. Für beide Nummern gibt es zu Recht tosenden Applaus.
Drei CDU-Damen erobern Kölner Dreigestirn
Gelungen auch der Auftritt der drei erfolgreichen CDU-Frauen Angela Merkel (Anne Rixmann), Annegret Kramp-Karrenbauer (Martina Bajohr) und Ursula von der Leyen (Doro Egelhaaf). Nachdem ihnen die politischen Gegner, vulgo Männer, ausgegangen sind, schicken sie sich nun an, die mächtigste Männerdomäne der Welt zu erobern: das Kölner Dreigestirn. Achtung, Festkomitee Kölner Karneval: Es könnten demnächst die Bewerbungen von Prinzessin Angela, die Ewige, Jungfrau Uschi, die Erstbeste von Europa und dem „Karren-Bauer“ in der Post sein.
Wir bleiben bei der Bundespolitik. Weiter keine guten Nachrichten für die SPD. Im Gegenteil. Es ist schlimmer als gedacht. Selbst ein über jeden Zweifel erhabener Heilsbringer wie Meister Yoda (Martina Bajohr) vermag es nicht, den Sozi-Ritter Kevin „Luke“ Kühnert auf die Seite der Macht zu bringen. Alle Versuche scheitern, es fehlt am nötigen Mut und an Visionen. Da schmeißt selbst Yoda das Lichtschwert ins Gebüsch.
Irritierender Solo-Auftritt bei Kölner Stunksitzung
Ebenso bewegend wie für manchen Besucher irritierend ist der Solo-Auftritt von Doris Dietzold. Die Künstlerin ist nach einem geplatzten Aneurysma im Gehirn vor zwei Jahren sprachlich beeinträchtigt. Dieses Handicap stellt die 62-Jährige in den Mittelpunkt ihres Vortrags. Der nur mit Mühe zu verstehende Sprachteil wird mit einem Text auf Großleinwand unterstützt.
In diesem Beitrag drückt sich nach Aussage eines Kollegen die Philosophie des Ensembles aus, ein langjähriges Teammitglied trotz einer Einschränkung nicht fallen zu lassen. Dietzold gehört seit 1984 zur Stunksitzung, ist Gründungsmitglied.
Die Enthüllung des Plans der Inder, die bemannte Rakete „Tuk-Tuk 1“ in den Weltraum zu schicken, erinnert an beste Stunksitzungszeiten. Inszeniert als Bollywood-Film, macht sich gekonnter Blödsinn breit, sinnbefreit und superkomisch. Etwas ernster rollt die Präsentation des weltweit ersten E-Panzers ins Bild. Der Tesla in Tarnfarben soll die ärgsten Kritiker der Bundeswehr verstummen lassen – und wird zum Debakel, weil ihm sofort der Saft ausgeht.
Den Kölner „Parents For Future“ fehlt etwas Power
Etwas mehr Power würde auch einigen Programmbeiträgen mehr Durchschlagskraft verleihen. „Parents For Future“ mit Eltern in der Nach-Nach-Demo-Phase, die stolz sind auf ihre Kinder in der Akut-Protestphase; Achtsamkeitstraining der Roten Funken im Umgang mit ihrem Lieblingsgetränk Kölsch; Entzugsklinik für Digital-Junkies oder „Game of Trump“ mit dem US-Präsidenten auf dem Eisernen Thron, der sämtliche Schurken dieser Welt um sich schart, sind zwar gelungen, allerdings ist die Handlung sehr vorhersehbar. Einen wunderbaren Abschluss des Abends bildet das Brexit-Medley, bei dem Europas Schlager-Elite die Briten musikalisch verabschiedet.
Alle Termine der Stunksitzung sind ausverkauft; eine Restkartenbörse ist zu finden unterwww.stunksitzung.de
Der WDR zeigt am 20. Februar 2020 ab 22.10 Uhr eine 90-minütige Zusammenfassung.