Pünktlich zu seinem 60. Geburtstag am Dienstag ist Jürgen Becker aus dem Urlaub gekommen. Dort hat er vor allem auf das Fahrrad gesetzt.
Auch in Deutschland wünscht Becker sich ein Umdenken in Sachen Mobilität.
Das große Interview über Geburtstage, Bühnenprogramme und Sprit-freie Fortbewegung. Und darüber, wie es sich auf Ikea-Sofas schläft.
Köln – Herr Becker, Sie waren gerade in Kopenhagen im Urlaub. Schön?
Jürgen Becker: Ja, das ist toll da, so könnte Köln in der Zukunft auch sein. Die Kopenhagener haben ja vor 30 Jahren damit angefangen, den Fahrradverkehr vorrangig zu behandeln, und die sind ja jetzt bei über 33 Prozent Anteil am Stadtverkehr. Das siehst du auch. Die Fahrradtrassen sind immer mindestens so groß wie die Autotrassen, und auf den Autotrassen siehst du eigentlich fast nur noch Taxis und Lieferwagen.
Wir waren da mit einer Mokick, mit 2,3 PS bist du schon übermotorisiert, wenn du nach Kopenhagen reinkommst. Dann willst du rechts abbiegen – das geht gar nicht. Da kommt ein Rad nach dem anderen, wie Schwärme kommen die an dir vorbeigepfiffen, sie haben sogar eigene Brücken. Die Berliner nehmen jetzt Fachleute von dort, um Berlin fahrradgerecht zu machen.
Und Köln?
Es ist ja immer gut, wenn man vorne ist bei einer Entwicklung. Köln müsste eigentlich davon lernen. Köln ist ja die Autostadt, mit Otto und Maybach und Ford und so weiter. Jetzt könnte es auch die erste autofreie Stadt werden. Jetzt müssen wir es angehen, weil der Umbau ja ein bisschen dauert, aber im Endeffekt spürt man in Kopenhagen schon, dass das besser ist.
Würden Sie ganz auf das Auto verzichten wollen?
Ja, in der Stadt auf jeden Fall, klar. Das wird auch kommen. Es kommt sowieso. Das ist wie bei der Kirche – das Zölibat fällt sowieso, und die Frauen werden sowieso Priester. Das geht gar nicht anders, das sieht ja jeder Blinde. Warum machen sie es dann nicht direkt? Das ist mit den Autos genauso. Das Auto, das private Auto, hat in der Stadt überhaupt keine Effizienz und auch keine Zukunft. Lauter parkende Autos, wenn man sich umguckt. Du hast so eine teure Maschine, und die steht dreiundzwanzigeinhalb Stunden am Tag. Da würde jeder Ökonom sagen, ihr seid doch wahnsinnig. Dass das fallen wird, das Auto als privates Verkehrsmittel, ist 100 Prozent klar. Das kannst du jetzt schon sehen.
Also wenn man das jetzt auf Köln überträgt, dann wäre im Rheinufertunnel eine Spur für Taxis und Lkw und eine für Fahrräder?
Nein, die Zukunft sind ja diese E-Mover, die die RWTH Aachen entwickelt, diese Dinger, die einfach durch die Stadt fahren, und dann auf Wunsch angefahren kommen. Du steigst ein, dann bringt die dich dahin, wo du hinwillst. Das dauert ja nicht mehr lange, bis die kommen. In Monheim gibt es ja jetzt schon selbstfahrende Busse.
Aber das wird teuer, oder?
Es ist billiger für jeden einzelnen. Allein diese Quadratmeter, die das Parken braucht. Das ist ja der Hammer, was das wert ist. Das ist mit vier Euro gar nicht ausgeglichen, die das die Stunde kostet. Und in Kopenhagen kann man sehen, dass auch Wohnstraßen schon autofrei sind. Also zum Beispiel die Mainzer Straße, wo keine Geschäfte sind, die wäre auch Fußgängerzone. Nur der Lieferverkehr fährt da rein.
Dann könnte man dann wie früher auf der Straße kicken.
Könnten alles machen, die Leute. Das ist einfach schöner. Die Lebensqualität steigt enorm, die Luft wird besser, und die ganze Diskussion um Fahrverbote ist sowieso Quatsch. Eigentlich müssten alle Privatautos ein Fahrverbot haben. Das würde wunderbar gehen, und es würden alle besser finden hinterher. Bin ich mir ganz sicher. Du musst nur anfangen. Selbst der Bauwens-Adenauer hat das doch schon gefordert. Der ist ja nun wirklich nicht im Verdacht, ein Grüner zu sein oder ein Linker. Also insofern würde ich sagen, Köln müsste jetzt Vorreiter werden. Die Stadt war mit dem Auto Vorreiter, jetzt muss sie auch mit der modernen Welt Vorreiter sein. Das würde auch hier den Leuten gefallen. Also ich kenne viele, die sagen, mache ich sofort mit, wenn die Alternativen stimmen.
Haben Sie das Gefühl, dass das bei der Kölner Politik schon angekommen ist?
Bei der Autoindustrie ist es angekommen. Als die Grünen gesagt haben, Ende des Verbrennungsmotors 2030 oder so, haben die alle die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Jetzt sagte neulich einer der Hauptvertreter der Automobilindustrie von diesem Bundesverband, sagte er, Herr Habeck, als Sie das damals vorgeschlagen haben,da haben wir gedacht, um Gottes Willen, wie sollen wir das schaffen. Heute wissen wir überhaupt nicht, ob wir so lange noch Autos bauen. Das hat Robert Habeck hier in Köln auf der phil.cologne erzählt.
Was sagen die Jugendlichen dazu?
Die Jugend macht sowieso keinen Führerschein mehr, die Alten sterben weg, und die Städte werden autofrei, da führt kein Weg dran vorbei.
Und Sie?
Ich bin ja autoinfiziert, ich mag Autos und Oldtimer und Elektroautos, ich finde das alles toll, ich bin damit aufgewachsen. Meine Tochter hat das auch so ein bisschen. Die hat so einen alten Opel Vectra, den findet die geil. So eine Spießerkarre, das ist dann cool. Wenn die mit dem Auto fahren, was ja günstig ist, so mit fünf Leuten im Auto, dann muss die alles fahren. Da ist keiner dabei, der sie mal ablösen kann. Und wenn mal einer einen Führerschein hat, dann traut er sich nicht, weil er zu wenig Fahrpraxis hat.
Womit fahren die denn? S-Bahn? Flixbus?
Ja klar. In Berlin brauchst du doch kein Auto, die S-Bahn ist ja schneller. Die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Autos in der Stadt ist 22 Stundenkilometer. Also so viel wie ein Roller fährt oder ein E-Roller. Aber Meine Tochter fährt auch gerne mal aufs Land. Dafür ist so ein Auto natürlich toll, wenn sich die fünf Leute da reinknallen. Jetzt war sie in Polen auf einem Festival, hat da gearbeitet und so, dafür ist das natürlich klasse. Aber wenn am Stadtrand Carsharing-Autos sind, dann kannst du die ja nehmen. Kein Problem.
Sie haben noch ein Auto?
In der Stadt fahre ich Fahrrad, manchmal Miniscooter, aber ich habe ein Elektroauto, einen französischen Kleinwagen, das meistverkaufte Elektroauto Europas. Also nichts Besonderes. Carsharing hat den ja auch. Damit fahre ich alle Auftritte ab, weil ich ja immer Freibier dabei habe.
Wie viel passt da rein?
22 Kästen Bier passen da rein. Habe ich ausgemessen, wenn man den Vordersitz mitbenutzt. Dann habe ich einen Beamer. Nicht alle Auftrittsorte haben einen Videobeamer, den ich für meinen Auftritt brauche. Den muss ich auch mitschleppen. Das ist im Zug dann doch doof, gebe ich zu.
Und so touren Sie durchs Land?
Das ist ja in Deutschland super, dass hier überall Kabarett ist oder Comedy. Das gibt es in keinem anderen Land in Europa. So eine extreme Veranstaltungsdichte. In jedem kleinen Dorf gibt es eine Schützenhalle, da machen die sowas. Dann holen die sich einen Kabarettisten viermal im Jahr, und dann ist da Kabarett. Das sind kleine Initiativen, Vereine. Ich finde das ganz toll. Wir haben eine richtige Humorindustrie hier.
Kostenlos bei Aldi Strom tanken
Da waren Sie einer der Vorreiter…
Ja. Industrie ist das falsche Wort, aber es ist auf jeden Fall eine enorme Anzahl an Veranstaltungen, die stattfindet. Also die Leute sagen mir dann immer, Herr Becker, wir finden das toll, dass Sie hier zu uns aufs Land kommen. Der Curt Jürgens und der Thomas Fritsch, die Schauspieler, die waren auch hier, aber erst, als sie nicht mehr im Fernsehen waren. Sie kommen zu uns, wo Sie ja noch bekannt sind! Das fand ich aber nett von Ihnen, habe ich gesagt. Warum soll ich denn nicht zu Ihnen kommen? Es gibt ja gar keinen Grund, nicht hierhin zu kommen, ist doch eine Superstimmung.
Da lernt man das Land ja auch kennen, oder?
Eben, ich kenne fast jede Stadt in Deutschland und jedes Kleinstädtchen auch und manches Dorf. Neulich war ich in Kaufbeuren, da passen nur 90 Leute rein, aber der Verein ist super. Die machen das so engagiert, seit über 30 Jahren, „Podium“ heißt das. Da waren schon alle berühmten Leute. Wie Bruno Jonas. Die gehen dahin, spielen vor 90 Leuten. Das finde ich super.
Und das klappt mit der Stromversorgung?
Da musst du natürlich mit dem Elektroauto genau planen. Wenn dann beim Zwischenladen noch 30 Kilometer fehlen von der Reichweitenangabe, dann habe ich jetzt gelernt, ich muss sparsam fahren, dann schaffe ich das trotzdem. Dann hau ich mich hinter so einen Flixbus und lass mich quasi von dem ziehen, mit 106 Stundenkilometer fahren die immer. Die haben einen Tempomat, ich auch. Dann stelle ich das ein, dann passt das genau, 300 Kilometer.
Und wo tanken Sie den auf?
Überall. Zapfsäulen gibt es mittlerweile viele. Während des Auftritts natürlich an der 16-Volt-Steckdose von der Bühne. Das geht immer aufs Haus, die Tankfüllung. Und hier in Köln, wenn ich hier tanke, geht das auf Aldi und Kaufland oder Ikea oder Westfalen-Tanke an der Venloer Straße. Die sind alle umsonst.
Umsonst bei Aldi?
Ja, bei Aldi ist der Strom umsonst. Immer Naturstrom. Also die haben ja so einen Kollektor auf dem Dach, die garantieren 100 Prozent Ökostrom, Ikea auch. Wenn ich unterwegs bin, dann fahre ich nicht zur Autobahnraststätte, die finde ich immer doof, dann fahre ich in die Stadt und gucke mir die an in der Zeit, wo ich lade, oder wenn ich müde bin, dann fahre ich zu Ikea, hänge das Auto da dran, dann lädt das umsonst auf, und ich penne auf dem Sofa.
Sie schlafen bei Ikea?
Ich gehe bei Ikea rein und penne da. Das klappt super. Nicht oben in der Ausstellung, sondern entweder im Foyer, da sind schöne Sofas, oder oben vor dem Köttbullar-Restaurant, da sind immer Lounges. Da ist nix los. Da lege ich mich hin, und wenn mich mal einer fragt, was machen Sie hier, dann sage ich, ja, meine Frau ist einkaufen, das ist mir zu anstrengend, ich muss mich mal hier gerade erholen. Dann haben die da Verständnis für! Ich muss ja abends ausgeschlafen sein auf der Bühne! Dann mache ich da mein Mittagsschläfchen.
Nein, im Jahr. Im Monat! Der Hüsch, der hat das geschafft. Der ist ja zweimal, dreimal am Tag aufgetreten.
Dazu kommt Fernsehen.
Ja. „Mitternachtsspitzen“, das ist neunmal im Jahr. In der Woche habe ich dann keine Auftritte. Dann geht es nur darum.
Sie werden jetzt 60.
Ihr kennt das Gefühl ja – ist doch nix dabei.
Nix?
Nö.
Danach war es egal?
Ja!
Und danach passiert auch nix?
Nö.
Lassen sie uns dennoch ein bisschen zurückgucken: Bei Wikipedia steht zwar, dass sie mal Präsident der Stunksitzung waren. Von „Irokesen-Heinz“ (Rolle Beckers als Präsident, Anm. der Red.) ist aber schon nicht mehr die Rede. Ist das so weit weg? Oder wie ist das für Sie?
Bei Wikipedia habe ich noch nie gelesen, was da über mich steht. Du solltest dich ja eigentlich darum kümmern, aber ist mir egal, was da steht.
Irokesen-Heinz?
Ja, das war auf jeden Fall eine tolle Zeit. Es ging ja los mit dem Spielezirkus. Ich war ja zu faul für diese sportlichen Übungen, die die alle machten, mit Pyramiden bauen und Jonglieren. Ich war immer schlecht in Sport. Das war nicht mein Ding. Dann habe ich gesagt, ich kann ja die Nummern ansagen. Dann habe ich gemerkt, die Erwachsenen lachen eigentlich über die Ansagen mehr als die Kinder. So kam der Wunsch, auch was für Erwachsene zu machen. Als wir dann die Stunksitzung umgesetzt haben, als Projekt vom Spielzirkus, kam e Frage: Wer macht denn den Präsidenten? Ich hab gesagt, dass ich das machen könnte, und da war auch kein anderer, der sich um das Amt beworben hat. Die Formulierung ist dann Adenauer. Ich habe mal gedacht, dass ich das machen könnte. Haben alle die Hände über den Kopf … Der? Kanzler? Der ist doch schon 72! Ich hab mal jedacht, dat ich dat machen könnt! Fand ich eine schöne Formulierung, und genau die habe ich dann auch gewählt damals! Ich hab mal jedacht, dat ich dat machen könnt. Und dann hatte ich den Job, und das war natürlich toll.
Und dann war auch direkt klar, mit Irokesen-Perücke?
Ja, das war so meine Idee, weil das so ähnlich aussieht wie soKarnevalsmütze, aber der Punk eben doch die andere Seite des kulturellen Spektrums darstellte. Also der Punk war ja quasi so das Gegenteil vom Festkomitee-Präsidenten. Heute ist das nicht mehr so extrem, aber damals war das so. Man muss ja sagen, im Grunde genommen war es so ein bisschen wie mit den Hausbesetzungen. Viele dieser Hausbesetzer damals, die hatten ja gar kein richtiges Nutzungskonzept für die Gebäude. Die wussten ja gar nicht so richtig, was die damit machen wollten.
Sie kannten die Szene?
Ja, im Stollwerck, da war ich ja auch, habe da auch ein paar Mal gepennt und so. Ich wusste ja gar nicht, wie das geht, so ein Haus besetzen. Musst du ja erst mal lernen. Ich war jetzt kein richtiger Hausbesetzer, aber ich habe mal so mitgemacht. Wollte mal im Schlafsack da pennen, mal gucken, wie ist das denn so, muss man sich mal so reinfinden in die Szene. So war das mit dem Karneval ja im Grunde auch. Also für dieses Produkt Sitzung hatten die eigentlich gar kein Nutzungskonzept. Die waren irgendwie am Ende. Man merkte, das wiederholte sich, das kam auch nicht mehr so richtig an mit den Orden, die immer selben Rituale und so, und dann haben wir den Karneval instandbesetzt. Das stand ja auf der Eintrittskarte drauf damals: „Karneval instandbesetzt“. Wir nehmen uns jetzt, genau wie die Hausbesetzer sich das leere Haus nehmen, die leere Sitzung. Da machen wir jetzt was draus. Wir haben also dieses Konstrukt besetzt, und damit haben wir ihnen natürlich so ein Alleinstellungsmerkmal genommen.
Mit Erfolg…
Das war eigentlich das, was die Leute wollten. Das hätten wir ja selber auch nicht gedacht. Dass das direkt ausverkauft war, nur von dem Namen. Die Leute wussten gar nicht, was das ist. Die fanden den Namen so toll, die sind alle direkt gekommen.
Die wussten ja wahrscheinlich gar nicht, was eine Sitzung ist, zumindest die meisten.
Doch. Das Wort Stunksitzung kommt von Prunksitzung, was damals noch benutzt wurde. Diese Gegenüberstellung haben die verstanden. Da haben die sich irgendwas drunter vorgestellt, und dann wollten sie alle wissen, was das ist. Das war toll. Die besten Erfindungen machen die Menschen immer im Alter zwischen 16 und 24 Jahren. Das war bei uns auch so. 23 war ich damals, oder 24, als dann die Sitzung losging.
An der Annäherung ans Festkomitee waren Sie dann auch wieder beteiligt. Ich erinnere mich an Treffen mit dem damaligen Festkomitee-Präsidenten Gisbert Brovot.
Ich hatte den ja immer so ein bisschen verarscht, und dann hat das Fernsehen, Bettina Böttinger, glaube ich, bei „B. trifft …“, uns mal beide eingeladen, und dadurch haben wir uns kennengelernt so ein bisschen. Als dann der Rosenmontagszug 1991 wegen des Golfkriegs ausgefallen ist, das war ja dieser schöne anarchische Zug, mit trecker im Schneegestöber, kannte ich den Gisbert schon. Der war ja bei dieser Runde dabei, als wir sagten, wir feiern doch. Dann irrten wir da rum, wir wussten ja gar nicht, wo der Zugweg eigentlich hergeht. Dann waren wir am Heumarkt, und dann kam der Gisbert Brovot mit seinen Funken an, auch anders verkleidet als sonst, aber ich habe ihn natürlich sofort erkannt. Dann bin ich vom Trecker gestiegen und hab gesagt, Gisbert, wo ist denn hier der Zugweg. Dann sagte er zu mir: Das weiß ich auch nicht! Wusste der auch nicht, wo der normalerweise hergeht. Dann hat die Polizei das alles geregelt. Das war super.
Und später?
Mit dem Gisbert Brovot habe ich ja dann hinterher auch noch viel zu tun gehabt. Durch dieses Festkomitee alternativer Ehrenbürger, da war der ja auch drin, und dadurch kannten wir uns ganz gut. Mit dem konnte man gut zusammenarbeiten. Das war ein vernünftiger Mann. Aber trotzdem halte ich das nicht für gut, jetzt alles so zu vermischen, weil das einfach nicht mehr spannend ist. Wie beim Fußball – ist doch gut, wenn es zwei rivalisierende Mannschaften gibt. Oder eben Köln-Düsseldorf. So ein bisschen was zum Kebbeln braucht der Mensch ja auch.
Sie haben sich ja zum Kebbeln auf Düsseldorfer Seite geschlagen.
Ja, mir gefällt deren Zug einfach gut. Und die mediale Wirkung ist wahnsinnig. Was die weltweit für eine Pressemappe haben. „The Hindu“, „Washington Post“, „Times“, „Le Monde“…
Und Sie sind regelmäßig dabei.
Ja. Den Zug gehe ich immer gucken. Manchmal fahre ich auch mit. Also diese Werbung, die das für Düsseldorf macht, das ist einfach fantastisch. Und später, bei politischen Aktionen, fahren die Wagen ja weiter – in Polen, beim Brexit in England. Oder in Trier war dann der Wagen zum Thema Missbrauch. Das ist natürlich schon toll. In allen großen Zeitungen sind diese Wagen drin, das hat Köln noch nie geschafft.
Was Kölner anders machen müssen
Was müssten die Kölner anders machen?
Die müssen sich gute Satiriker suchen. Eigentlich einfach. Die gibt es. Man muss sie halt nur bezahlen.
Und böser werden …?
Das ist einfach eine Sache der Qualität. Also bei den Kölner Wagen steht „Merkel“ drunter, sonst erkennst du die gar nicht. Das muss der Düsseldorfer Wagenbauer Jacques Tilly nicht. Die Kölner haben dieses handwerkliche Zeugs nicht. Da muss man einfach suchen, ob man nicht Menschen findet, die diese Qualität hinkriegen. Das wird für die Düsseldorfer auch schwer, wenn der Tilly das mal nicht mehr machen kann oder möchte. Dann müssen die auch aufpassen. Wenn der weg ist, dann wird das für die auch hart.
Für Ihre Arbeit war mit der Stunksitzung das Thema Karneval durch.
Ich mache das nicht mehr. Ich kriege immer wieder Anfragen, von den Colombinen oder für die Prinzenproklamation. Die fragen an, ob ich eine Rede halten könnte, aber ich bin da immer konsequent. Ich sage, ich mache das nicht, weil meine Geschichte ist auf der anderen Seite, und ich will das nicht so verwässern. Ich brauche das ja auch nicht. Ich mache nur mit, wenn es neue Entwicklungen gibt wie „Jeckespill“ oder „Deine Sitzung“, dahabe ich Spaß dran.
Gehen Sie dann nicht über Los und holen die Gage ab?
Nein. Ich trinke mir zwei Bier an der Theke, und dann bin ich zufrieden! Alleine, dass ich dabei sein darf, das ist ja auch schon schön. Das muss man dann nicht für Geld machen.
Was machen Sie denn im Rentenalter?
Ich arbeite ja noch. Ich bin noch kein Rentner. 65 ist Rentenalter.
Comedians wie Carolin Kebekus oder Luke Mockridge füllen heute ohne Probleme die Arena. Würden sie da spielen?
Nein. 16 000 Zuschauer? Würde ich gar nicht zusammenkriegen, die Leute.
Wieso? Wenn Sie Werbung in den Altenheimen machen, wo sie alle noch kennen?
Ich habe das einmal mitgemacht. Da war ich mit Rüdiger Hoffmann in der Sporthalle. Da waren zweimal hintereinander 7000 Besucher. Das hat auch funktioniert, meine ich, aber ich merke, das ist nicht meine Nummer. Ich finde das Kleine besser. Spielst die Comedia, und dann ist das ausverkauft, dann freut einen das. Das ist doch genug Menschen. Ich habe nicht so einen Drang nach diesen Tausenderzahlen.
Dem Gast ins Auge gucken.
Ja, dann kann man mit allen noch ein Bier trinken! Die Firma Sion gibt mir ja immer ihre leckeren Fläschchen mit auf Tour. Und in Köln wird frisch gezapft. Dann quatscht man noch ein bisschen. Das ist so meins, mit dieser Größenordnung bin ich aufgewachsen. Das andere ist oft so ein Hype. Bei mir ist ja nach unten nicht viel Luft. Ich kann ja nicht tief fallen. Ich spiele auch vor 90 Leuten. Ich habe lieber so den Flow, sage ich mal. Ich mag den Hype nicht.
Sind Sie analog?
Nein, ich habe schon ein Smartphone und Apps. Anders kommt man ja nicht weiter. Ich habe einmal im Hotelzimmer mein Handy liegenlassen. Da kannst du nicht mehr tanken, außer bei Ikea! Ikea geht ja ohne App, da musst du nur reinstecken, dann läuft die Sache. Na ja, jedenfalls bin ich nicht analog. Kann man nicht sagen. Ich habe einen Kalender mit Zetteln, aber ich habe auch Spaß an der neuen Technik.
Wie viele Apps haben Sie geladen?
Also für das Elektroauto vier. Kann ich mal durchgucken. Mobility, Tank, E-Netzwerk, das ist von Rheinenergie. Ja, fünf Apps. Damit kommt man überall durch. Und Lime, das ist der Roller. Und Spotify. Das finde ich auch gut.
Das heißt, Musik wird nur noch gestreamt?
Nein, ich höre viel Radio. Ich liebe WDR 5 – und WDR 4 mittlerweile auch. Diese Tage hat Wolfgang Niedecken moderiert auf WDR 4. Also der Wolfgang Niedecken ist ja immer so in der Öffentlichkeit eher sehr darauf bedacht, wie er wirkt und dass das seriös ist, was er macht. Er wirkt nicht locker, sondern sehr bedacht und fast schwermütig. Im Radio war das nicht so. Da hat man so gemerkt, hoppla, der spricht ja ganz frei. So könnte der auch sein.
Haben Sie denn im Hinblick auf den 60. Geburtstag überlegt, was muss ich danach noch machen?
Nein, ich frage immer ältere Freunde oder Kollegen, wie macht ihr das denn jetzt so. Ich gucke mir die verschiedenen Konzepte an. Zum Beispiel der Konrad Beikircher, den ich sehr mag, der hat so das Konzept, er arbeitet weiter. Er ist ja auch schon über 70. Der Konrad, der ist richtig fleißig, der arbeitet sehr viel und spielt viele Programme gleichzeitig. Also das möchte der gerne. Beim Hüsch war das auch so. Der sagt, ich arbeite ein bisschen weniger und tritt nur einmal am Tag auf. Das war also bei ihm weniger arbeiten: nur einmal am Tag!
Und dann gibt es Leute, die ganz aufhören, wie der Volker Pispers, der aber auch zufrieden zu sein scheint. Der hat ja viel früher aufgehört. Also ich kann ja nicht in den reinschauen, aber das ist das andere Extrem. Ich vermute mal, das Beste ist so ein bisschen dazwischen. So bin ich aber jetzt schon eigentlich. 100 Auftritte ist ja nicht so viel. Also ich habe ja schon auch Freizeit, und ich genieße das.
„Die Ursache liegt in der Zukunft“
Was machen Sie denn mit der vielen Freizeit?
Es ist ja immer irgendwas. Also ich sitze jetzt hier mit euch, und dann vorher habe ich mich mit jemand anderem getroffen. Du musst ja immer für jeden Auftritt ein oder zwei Interviews geben. Das geht ja nicht mehr anders heutzutage. Die Zeitungen wollen gerne die Seiten füllen, und die Veranstalter wollen gerne umsonst Werbung haben, und das ist der Trick. Da musst du das mitmachen! Das macht mir auch Spaß, muss ich sagen. Also auch gerade in den ländlichen Regionen musst du ja die ganzen Zeitungen bedienen.
Aber Sie haben jetzt noch keine Zielsetzung zu sagen, so, das ist so der Tag, da höre ich auf, da trete ich mal kürzer, 65, 66, 70, 75.
Ich mache jetzt das nächste Programm. Das kommt nächstes Jahr. Das Auswendiglernen fällt schon schwerer, wenn man älter wird, muss ich sagen. Das sind zwei Stunden, die musst du alle in die Birne kriegen, und da sind ja schon die anderen Programme alle drin.
Die Leute fragen mich, Herr Becker, wie können Sie sich das alles merken. Sie haben da jetzt zwei Stunden geredet ohne einen Zettel, ohne Strich und Komma, wie machen Sie das. Dann sage ich immer, das hat der Rudi Carrell schon gesagt: Man kann nur aus dem Ärmel schütteln, was man vorher reingetan hat. Das ist scheiße viel Arbeit! Da kannst du machen, was du willst, das ist richtig Arbeit, und das macht auch keinen Spaß. Auswendig lernen macht überhaupt keinen Spaß.
Womit beschäftigt sich denn das neue Programm?
Das heißt „Die Ursache liegt in der Zukunft“, mit der gesamten Situation, die wir jetzt haben. Da merkt man, wie gut wir das hatten. Boah, so in den 70er-Jahren, das war so eine geile Zeit. Damals wussten wir nicht, dass wir das Klima ruinieren, zumindest war es uns nicht bewusst.
Das Klimathema ging damals los mit dem Club of Rome.
Ja, Ende der 70er. Ja, Club of Rome, da fing das so ein bisschen an, aber es war auch noch weit weg. Deswegen ist man ja trotzdem mit dem VW-Bus nach Südfrankreich gefahren. Geflogen bin ich eigentlich nie viel,heute fliege ich eigentlich gar nicht mehr.
Die Schulbauten von damals werden heute wegen Asbest abgerissen.
Wir wussten nicht, dass es schädlich ist, nicht so richtig zumindest, und konnten super leben in Saus und Braus, und wir hatten auch ziemlich wenig Geld, aber sind mit einem alten R4 überall hingereist oder mit dem Motorrad nach Spanien gefahren. Konnte man alles machen, war doch super. Tolle Zeit.
Heißt das, man kann heute nicht mehr mit dem Bulli nach Südfrankreich fahren?
Ja, also musst du dir überlegen. Der ökologische Fußabdruck muss ja stimmen. Also kann man schon noch machen, mache ich auch, aber ich flieg nicht mehr. Deswegen.
Ist das so eine klare Entscheidung?
Ja. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich das ganze Leben nie mehr fliege, aber ich werde dieses Jahr auf jeden Fall nicht fliegen, nächstes Jahr, glaube ich, auch nicht. Also ich kann schon sagen, ich versuche das zu vermeiden.
Wo sind Sie zuletzt hingeflogen?
Eine große Sünde. Ich bin mit dem Zug nach Hamburg gefahren zu einer Sendung mit dem Bernd Hoëcker – „Wer weiß denn sowas“ hieß die. Die hatten mich eingeladen, und ich hatte abends einen Auftritt in Düsseldorf. Die Sendung war aber nachmittags. Dann habe ich überlegt, kann ich das denn machen. Ja, wenn du zurückfliegst. Das ist aber schon zwei Jahre her, meine ich. Wenn du zurückfliegst, geht das, und damals war noch nicht Greta Thunberg und Fridays for Future. Dann habe ich das gemacht. Das würde ich heute nicht mehr machen. Das ist ja nicht lebenswichtig, wenn ich da jetzt was rate. Das hat zwar Riesenspaß gemacht, aber muss ja nicht sein. Das war das letzte Mal.
Nach Mallorca sind Sie noch nicht geflogen?
Doch, aber das ist sehr lange her. Da kann man auch mit dem Zug hin. Wenn du morgens in Köln einsteigst, bist du abends in Barcelona. Auf der Fähre fängt der Spaß schon an, der Junggesellenabschied. Gibt es doch auch schon. Wir sind doch früher mit dem Nachtzug gefahren, das war super. Interrail hieß das. Da hat man sich dann in so einen Liegewagen reingehängt zu sechst, mit einer Flasche Lambrusco und Camembert und so, und der Schaffner hat einen morgens geweckt. Willkommen in Athen. So war das damals. War doch super, du musst doch nicht fliegen.
Und darum geht es in dem Programm?
Ja. Klimawandel, Verkehr in der Stadt, all so Sachen. Auch die um Ökonomie, wie das gekommen ist, dass sich das so hochgeschaukelt hat. Dass man immer sagt, das System braucht das Wachstum.
Aber es gibt immer noch was zu lachen.
Ja natürlich. Nur. Anders kriegst du es ja nicht verdaut. Humor ist ja die einzige Chance, das zu verarbeiten. Aber mich freut das dann auch so, dass die jungen Leute das so in die Hand genommen haben.
Haben Sie denn das Gefühl, dass die Jugend wieder politischer wird?
Ja, auf jeden Fall. Wenn man mit ihnen redet, merkst du das einfach. Die haben das kapiert. Rezo hat da viel zu beigetragen und Greta Thunberg auch. Dieses Mädchen, muss man wirklich sagen, ist ein Glücksfall. Das ist ja richtig so eine kleine Jeanne d'Arc. Man muss einfach sagen, die hat echt was bewirkt.
Das Thema ist etwa beim Hambacher Forst total emotionalisiert.
Die müssen es auch emotionalisieren. Das ist ja richtig, weil man muss ja mal sehen, dass diese Kohleverstromung absoluter Unfug ist. Viel zu spät, der Kohleausstieg. Das ist ja ein Riesenquatsch. Ungefähr 30 Prozent Wirkungsgrad haben die Kraftwerke. Da pulverst du das CO2 in die Luft und kriegst noch nicht mal was dafür. Es ist ja so, als wenn du ein Hochhaus baust und nutzt nur die unteren drei Stockwerke. Also RWE hat da viel zu lange dran festgehalten.
Warum ist AfD im Osten so stark? Treten Sie da zu selten auf?
Ja, ich habe jetzt einen Film für den WDR gemacht, der heißt „Besuch aus dem Westen“, und Vorpremiere ist am 22. September im Kino. Ich habe ja eh Auftritte im Osten. Dann habe ich hinterher noch mit Leuten gesprochen, die da so leben. Ich sage immer, 85 Prozent der Ostdeutschen wählen ja nicht AfD. Du musst das ja bereinigen, aus der Wahlbeteiligung heraus. Auch wenn die stärkste Partei sind, wählen sie 85 Prozent nicht. Die anderen werden aber nicht gezeigt, und die kämpfen dagegen. Das sind wirklich Leute, die leiden extrem darunter, unter dieser Verseuchung.