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Konfliktforscher zu Anschlagsplänen für den Kölner Dom„Die meisten Bürger wollen mehr Überwachung“

Lesezeit 5 Minuten
Köln: Wegen eines befürchteten Anschlags kontrolliert die Polizei alle Besucher des Doms. Zu sehen sind die Hinteransichten von vier Polizisten vor dem Hauptportal des Doms.

Polizei am Kölner Dom: Seit mehr als zwei Wochen wird die Kathedrale nach einer Terrorwarnung streng bewacht. Touristen haben keinen freien Zugang.

Andreas Zick forscht zu Konflikten, Gewalt und Extremismus. Die Sicherheitsmaßnahmen für symbolträchtige Gebäude werden zunehmen, glaubt er.

Herr Zick, der Kölner Dom war nach einer Terrorwarnung für mehr als zwei Wochen für Touristen nicht zugänglich und wird künftig stärker überwacht. Es war eine Bedrohungslage, die es so noch nicht gab. Welche Rolle spielt der Symbolcharakter bei solchen Anschlagszielen?

Andreas Zick: Symbolik und Bekanntheit von Gebäuden sind immer sehr relevant. Die meisten islamistischen Terrorangriffe wollen maximal symbolträchtig sein. Heißt: Die Anschläge erfolgen an öffentlichen Orten, wo viele Menschen sich bewegen, sie sollen viele Menschen töten und Symbole dabei zerstören. Daher der Anschlag des Terroristen Amri auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche am 16. Dezember 2016, die Anschläge in Bahnen, an öffentlichen Plätzen. Es geht darum, Menschen und westliche Symbole zu vernichten, um mit dem Terror ein Zeichen zu setzen.

Porträt von Professor Dr. Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld

Andreas Zick leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.

Welches Zeichen soll mit einem Anschlag auf eine der bekanntesten christlichen Kirchen gesetzt werden?

Der Kölner Dom hat eine weltweise symbolische Bedeutung – religiös und als Baudenkmal. Ein Anschlag auf den Dom garantiert also weltweite Aufmerksamkeit. Er soll zu Chaos führen, eine Gesellschaft spalten. Die Terrorgruppe Islamischer Staat möchte zeigen, dass sie präsent und potent ist, dass sie ihre Ideologie gegen andere durchsetzen will. Untereinander konkurrieren die verschiedenen Terrorgruppen um Macht. Der Islamische Staat Provinz Khorasan (ISPK), der für die Anschlagspläne in Köln vermutlich verantwortlich ist, kämpft als Ableger des Islamischen Staates in Afghanistan gegen andere Gruppen. Es gibt deswegen auch Anschläge, von denen wir in Deutschland kaum Notiz nehmen, die versuchen, Anhänger konkurrierender islamistischer Gruppen zu treffen. Ein Anschlag ist immer eine Machtdemonstration, durch die Mitglieder gewonnen werden soll.

Wenn ein Anschlag „erfolgreich“ war oder über eine Anschlagsdrohung weltweit berichtet wird, haben Terrorgruppen stärkeren Zulauf?

Ja. In der Folge kommt es zu einer stärkeren Identifikation mit der Gruppe. Der Terror erzeugt als Drohung oder als Tat eine Gruppendynamik, sie führt zu stärkerer Bindung nach Innen und macht die Feindbilder nach Außen klar. Anschläge und Anschlagspläne führen dazu, dass andere Terrorgruppen der jeweiligen ideologisch-extremistischen Gemeinschaft zu motivieren, Ähnliches zu tun. Der Anschlag auf die Zwillingstürme des World Trade Center am 11. September 2011 in New York hat andere Terrorgruppen motiviert, ebenfalls aufsehenerregende Anschläge zu verüben.

Im Nahost-Krieg wird ein sehr komplizierter Konflikt von Radikalen gern auf Feindbilder reduziert – die Juden zum Beispiel
Andreas Zick, Konfliktforscher

Das Risiko von Anschlägen auf symbolträchtige Orte wird von Sicherheitsbehörden auch aufgrund der Weltenlage aktuell als hoch eingeschätzt. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der Nahost-Konflikt?

Mit dem Wiederaufflammen des Nahostkonflikts und der zum Teil starken Identifikation von Menschen mit dem palästinensischen Volk sehen Terrorgruppen Potenzial, Mitglieder zu gewinnen. Sie nutzen den Konflikt, um sich in der Weltordnung in Stellung wie Erinnerung zu bringen. Dabei muss die Religion gar keine große Rolle spielen. Es geht oft darum, junge und anfällige Menschen, die sich als Opfer zu fühlen, an die islamistische Ideologie und die Idee, dass Terror eine Möglichkeit zur Verbesserung der Weltordnung sei, zu binden. Im Nahost-Krieg wird ein sehr komplizierter Konflikt von Radikalen gern auf Feindbilder reduziert – die Juden zum Beispiel.

Welche Rolle spielen die Sozialen Medien?

Obwohl die Terrorgruppen so tun, als wenn sie sich nicht um die mediale Aufmerksamkeit bemühen, geht es ihnen immer auch darum, weltweit wahrgenommen zu werden. Das konnte man besonders krass bei den Anschlägen der Hamas vom 7. Oktober sehen. Terroranschläge dienen der Selbstinszenierung und werden in Sozialen Medien aufbereitet, sodass sie eine Terrorkultur erzeugen. Die Inszenierung der Ideologie gehört zum modernen Terror, die Anschläge dienen der Inszenierung, weil sie durch die gezeigte Gewalt – die Bilder sind kaum auszuhalten – maximale Bindung erzeugen.

Glauben Sie, dass sich bekannte Einrichtungen wie der Kölner Dom angesichts der krisenhaften Weltenlage künftig verstärkt und dauerhaft stärker mit Sicherheitsvorkehrungen auseinandersetzen müssen?

Davon müssen wir ausgehen. Auch die Verantwortlichen vom Kölner Dom haben ja gerade angekündigt, ihr Sicherheitskonzept zu erweitern. Der Anschlag in New York hat zu einer echten Zeitenwende geführt, von der wir auch jetzt wieder reden. Der Sicherheitsapparat ist nach 9/11 weltweit hochgerüstet worden. Das war nicht das Ende. Gleichzeitig ist die Sicherheitstechnik durch die digitalen Möglichkeiten rasant entwickelt worden. In Großbritannien gibt es kaum noch Orte, wo es keine öffentliche Kamera gibt. Gesichtserkennungen, Abhör- und Röntgentechniken, die zum Teil auf auch künstlicher Intelligenz beruhen, die Durchleuchtung sozialer Medien, all das ist möglich und wird nur durch Gesetze begrenzt – China zeigt längst, was in diesem Bereich möglich ist.

Demokratie und offener Dialog sind die besten Mittel gegen Terror – beides ist leider global gesehen eher im Abschwung
Andreas Zick

Nach Anschlägen und Anschlagsdrohungen werden schnell Rufe laut, Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen – über den Preis von umfassender Überwachung wird weniger gesprochen …

Die meisten Bürgerinnen und Bürger mögen Sicherheitsversprechen: mehr Kontrollen, mehr Bewachung, das zeigen auch die Wahlen. Zugleich steigt mit dem Glauben an eine Versicherheitlichung allerdings die Unsicherheitsgefühle, wenn denn mal was schiefläuft. Für die demokratische Gesellschaft kommt es also darauf an, die Balance zwischen staatlicher und behördlicher Sicherheit und der Fähigkeit, selbst für Sicherheit zu sorgen, zu wahren. Radikalisierungs- und Gewaltprävention erfordert sensible und kluge Bürgerinnen, seien es Lehrer oder Ausbilder, und eine soziale Umgebung, die erkennt, wenn und wie sich jemand radikalisiert. Das ist die bessere Prävention als schärfere Gesetze und Überwachung.

Weil Prävention aber nicht immer gelingt, müssen wir uns trotzdem auf mehr Überwachung und Sicherheitsmaßnahmen einstellen?

Die behördlichen Sicherheitsvorkehrungen werden auch zunehmen, weil wir weltweit eine Zersplitterung und Spaltung von Gesellschaften erleben, die mit der Gründung von Terrorgruppen einhergehen. Demokratie und offener Dialog sind die besten Mittel gegen Terror – beides ist leider global gesehen eher im Abschwung.