Tatsächlich gibt es mehr Todesopfer rechter Gewalttaten in Köln und NRW als in der offiziellen Polizeistatistik aufgeführt.
Todesopfer rechter GewaltLKA prüft 25 alte Mordfälle auf rechtsextreme Motive – auch Kölner Fälle dabei
Panik lag in der Luft, als die Feuerwehr in der Nacht zum 26. Januar 1994 am Übergangswohnheim in Humboldt-Gremberg eintraf. Flammen schlugen aus den Fenstern. „Als wir ankamen, herrschte eine fürchterliche Unruhe“, schilderte Branddirektor Jürgen Vesper dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ damals. Menschen hätten aus den Fenstern springen wollen, obwohl Feuerwehrmänner schon hinter ihnen standen. Einen verzweifelten Vater konnten die Helfer gerade noch davon abhalten, seinen Säugling aus dem Fenster zu werfen, um ihn vor den Flammen zu retten.
Zehn Menschen wurden bei dem Großbrand in der städtischen Notunterkunft 1994 verletzt. Die zwölfjährige Jasminka Jovanovic und ihre Großmutter Raina (62) starben wenige Wochen später an ihren Verletzungen. In der Einrichtung wohnten mehrere Mitglieder serbischer Roma-Familien, die erst kürzlich nach ethnischer Verfolgung im jugoslawischen Bürgerkrieg in Deutschland Asyl beantragt hatten. Schon früh gab es Anzeichen für Brandstiftung.
NRW-Innenminister Reul hat Prüfung von Altfällen in Auftrag gegeben
Jetzt, knapp 30 Jahre später, könnte die Tat nachträglich noch als rechtsmotivierter Anschlag bewertet werden. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte vor neun Monaten eine nachträgliche Prüfung von Mordfällen auf einen rechtsextremen Hintergrund gestartet. Seitdem werden 25 Fälle mit 30 Todesopfern in NRW aus den vergangenen 40 Jahren überprüft. Ziel ist es, die Gesamtzahl der Todesopfer rechter Gewalt zu ermitteln und die Statistiken nachträglich zu korrigieren.
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Denn während nach offizieller Zählung seit der Wiedervereinigung 113 Menschen durch Rechtsextremisten in Deutschland starben, waren der „Tagesspiegel“ und „Zeit online“ in eigenen Recherchen voriges Jahr auf 190 Todesopfer gekommen. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hält demnach eine Zahl von ungefähr 200 Opfern für realistisch.
Ergebnisse von „ToreG NRW“ sollen im Sommer vorgestellt werden
Geleitet wird das Projekt mit dem Titel „ToreG NRW“ (Todesopfer rechter Gewalt NRW) im Landeskriminalamt (LKA) von einem Politikwissenschaftler. Auf Anfrage gibt das LKA derzeit keine Auskunft über Einzelheiten des laufenden Projekts, auch nicht über die Fälle, die auf der Liste stehen. Im Juni sollen die Prüfungen beendet sein, teilt ein LKA-Sprecher mit. Dann werde man über die Ergebnisse berichten.
Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist der Brand in der Gremberger Notunterkunft aber einer von mindestens zwei Kölner Fällen auf der LKA-Liste, die geprüft werden und nachträglich als rechtsmotiviert eingestuft werden könnten. Einen deutschen Bewohner des Heims hatte die Polizei seinerzeit zwar als möglichen Brandstifter ausgemacht – dem Mann wurde eine rechte Gesinnung nachgesagt, überführt wurde er dem Vernehmen nach allerdings nie.
„Rechtsextremismus ist nach wie vor eine der größten Gefahren für unsere Demokratie. Deshalb ist es gut und wichtig, dass wir Grenzfälle aus der Vergangenheit noch einmal neu betrachten und bewerten“, hatte Innenminister Herbert Reul kurz nach dem Start von „ToreG NRW“ gesagt. Die Polizeiarbeit habe sich über die Jahre weiterentwickelt. Das betreffe auch die Auswertung und Analyse rechter Tötungsdelikte.
Beim einem weiteren Kölner „Grenzfall“ auf der LKA-Liste soll es sich um eine tödliche Messerstecherei in einem kurdischen Kulturverein in Kalk handeln. Am 1. Juli 1999 hatten zwei türkische Männer, die angeblich mit den rechtsextremen „Grauen Wölfen“ sympathisierten, einen kurdischen Kellner angegriffen. Der Mann starb durch Messerstiche. Als Motiv hielt das Gericht damals „politische Hintergründe“ für denkbar. Statistisch ist die Tat bei der Polizei allerdings bis heute nicht als rechtsmotiviert erfasst. Bei der Neubewertung der Altfälle will das LKA unter anderem auch Gerichtsurteile heranziehen.
Drei Kölner Sprengstoffattentate von 1992 und 1993 fehlen auf der LKA-Liste
Nicht auf der Liste mit den Prüffällen stehen dagegen offenbar drei bis heute rätselhafte Sprengstoffanschläge in Köln in den Jahren 1992 und 1993, für die sich auch der NSU-Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag 2015 interessiert hatte. In keinem der Fälle wurde je ein Täter gefasst.
In der Ehrenfelder Platenstraße hatte der türkische Bewohner eines Hauses kurz vor Weihnachten 1992 ein an seine Familie adressiertes Paket geöffnet, das daraufhin explodierte.
Knapp zwei Monate später, im Februar 1993, fand der 52-jährige Alfred O. in Bilderstöckchen eine Plastiktüte mit einem Winkelschleifer. Zu Hause in der Geldernstraße, in der viele Migranten lebten, explodierte das Gerät, als O. es an die Steckdose anschloss. Einen fremdenfeindlichen Hintergrund zogen die Ermittler damals nicht ernsthaft in Betracht.
Erneut einen Monat später, am 13. März 1993, fand der türkische Ford-Arbeiter Recep S. auf einem Parkplatz in der von vielen Türken bewohnten Etzelstraße in Mauenheim eine Ledertasche mit einem Handstaubsauger, präpariert mit dem Sprengstoff TNT. Er explodierte, als S. ihn an den Zigarettenanzünder seines Mercedes anschloss. Die Polizei suchte damals einen „psychisch gestörten Einzeltäter“. Fündig wurde sie nie.
In allen drei Fällen kamen die Opfer mit Verletzungen davon. Das Projekt „ToreG NRW“ untersucht aber nur Straftaten, bei denen jemand ums Leben kam.