Köln – Auch 13 Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine fliehen die Menschen aus dem osteuropäischen Land. In Köln seien bis Dienstagnachmittag insgesamt 920 Geflüchtete angekommen, die die Stadt untergebracht hat, teilte die Kommune mit. Nicht alle Menschen, die sich bei der zentralen Anlaufstelle am Breslauer Platz einfinden, würden allerdings auch in Köln registriert, sagte eine Stadtsprecherin.
Manche reisten weiter oder würden privat abgeholt. Generell dürfen sich Ukrainerinnen und Ukrainer mit einem biometrischen Pass 90 Tage lang ohne Visum in Deutschland aufhalten und müssen sich nicht registrieren. Auch an anderen Stellen läuft die Versorgung und Unterbringung der Menschen auf Hochtouren. Wir haben uns an verschiedenen Orten in Köln umgeschaut.
Hauptsächlich Frauen und Kinder kommen
Allein an der Drehscheibe am Kölner Hauptbahnhof seien am Dienstag 50 ukrainische Geflüchtete angekommen, seit Sonntag seien es bereits 180 gewesen, sagt Feuerwehr-Sprecher Ulrich Laschet. Feuerwehr, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und freiwillige Helfer haben am Hauptbahnhof provisorische Zelte aufgebaut, um Geflüchtete, die mit dem Zug nach Köln kommen, zu unterstützen. Es gibt Essen und Trinken, Teddybären und Überraschungseier für Kinder und eine Möglichkeit, sich auszuruhen.
Zudem werden Geflüchtete vor Ort auf das Coronavirus getestet. „Es kommen fast nur Frauen und Kinder, weil die Männer in der Ukraine bleiben müssen“, sagt Laschet. Die Zelte waren am Sonntag binnen weniger Stunden errichtet worden. „Wir erhielten gegen 13 Uhr einen Anruf von der Stadt“, so Laschet. „Um 17.30 Uhr standen die Zelte.“
Die 27-jährige Tatiana kommt aus Kiew. Sie, ihre Tante und zwei kleine Kinder sind seit vergangenen Donnerstag auf der Flucht. „Wir haben lange die Hoffnung gehabt, dass der Krieg nur ein paar Tage dauern wird und wir dann zu unserem normalen Leben zurückkehren können“, sagt sie. Die Familie habe die vielleicht letzte Möglichkeit genutzt, um aus Kiew herauszukommen, denn Stunden später sei die Stadt vom russischen Militär eingekreist worden. Tatjana erzählt, wie Raketen über ihr Haus flogen und berichtet vom völlig überfüllten Hauptbahnhof in Lwiw.
Kinder haben Angst vor Sirenen
„Wir sind wegen der Kinder geflohen, sie hatten in den letzten Tagen so große Angst vor den Sirenen und Bombenangriffen“, sagt Tatjana, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. „Wenn ich alleine wäre, würde ich sofort in den Krieg ziehen.“ Ihre ganze Familie ist in der Ukraine geblieben: Ihr Mann ist im Militärdienst und ihre Eltern wollten keinesfalls das Land verlassen: „Ich werde den ersten Zug nehmen und zurück nach Hause fahren, um unser Land wieder aufzubauen. Wir werden alle Baumeister.“
Julia und Vlada, auch sie nennen nicht ihre Nachnamen, träumen auch davon, so schnell wie möglich in die Ukraine zurückzukehren. Mit ihren drei Kindern sind sie aus der ukrainischen Metropole Dnjepropetrowsk am Freitag geflohen. „Wir sind sehr dankbar, dass Deutschland uns so herzlich aufgenommen hat, aber wir haben keine Kraft mehr, um glücklich zu sein. Wir müssen uns an die neue Realität erst gewöhnen“, sagt Vlada. Julias Mutter wohnt im umkämpften Mariupol im Süden der Ukraine. Seit Donnerstag ist sie nicht mehr erreichbar: „Ich weiß nur, dass meine Mutter seit einer Woche im Keller sitzt.“
Hilfe muss besser koordiniert werden
Olga Ruppelt (37) ist als Helferin an den Hauptbahnhof gekommen, um ukrainischen Flüchtlingen als Dolmetscherin zu helfen. Sie ist Estin, spricht aber ukrainisch und hat bei sich zu Hause eine Mutter mit einem Kind aufgenommen. Derzeit sucht sie eine Unterkunft für die kleine Familie. „Ich habe alle Hotels angerufen, von denen ich weiß, aber derzeit sind alle voll“, sagt Ruppelt.
Sie mahnt an, dass am Hauptbahnhof noch festere Strukturen geschaffen werden müssten, um noch besser helfen zu können. Die vielen Freiwilligen, die helfen, seien gut. Es bedürfe aber eines hohen Planungsaufwandes, um die Helfer punktgenau einzusetzen. „Besser wäre es, wenn mehr Profis vor Ort wären.“ Der Sprecher der Feuerwehr, Ulrich Laschet, kündigte an, dass auf dem Gelände des Busbahnhofes Container errichtet werden sollen, die die Zelte, die bislang hier stehen, zu ersetzen.
Flüchtlinge in Ostheim benötigen Sim-Karten
Szenenwechsel. An der Unterkunft für Flüchtlinge am Hardtgenbuscher Kirchweg in Ostheim fahren Transporter von Maltesern und Johannitern ein und aus und bringen Geflüchtete aus der Ukraine zur Anmeldestelle. Die Unterkunft hatte bereits in der Vergangenheit als Bleibe für Geflüchtete gedient, war zwischenzeitlich aber stillgelegt worden, bevor sie nun wieder aktiviert wurde. Eine ehrenamtliche Übersetzerin, die seit sechs Jahren in Deutschland lebt, dirigiert Bewohnerinnen und Bewohner auf Ukrainisch zu einem nahegelegenen Supermarkt.
Viele wollen sich zuerst eine Sim-Karte für das Handy besorgen, um mit Freunden und Verwandten zu telefonieren. Die Frau erzählt, dass die Unterkunft aus sechs großen Hallen besteht, wovon eine als zentrale Versorgungseinheit mit Speisen, Getränken und weiteren Hilfsgütern dient. Viele Geflüchtete dort seien aus der Westukraine über Polen gekommen. Von Warschau aus weiter mit dem Zug nach Köln. Sie selbst habe ihre Familie aus der Ukraine inzwischen bei sich zu Hause in Deutschland aufgenommen.
Blau-gelbes Kreuz verschickt weiter Hilfsgüter
In Raderberg freut sich Natalie Nothstein, Sprecherin des deutsch-ukrainischen Vereins Blau-Gelbes Kreuz, über die Lkw, die wieder zurück sind im Logistikzentrum des Vereins. Seitdem der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, stehen alle Freiwilligen an der Lagerhalle für Spendengüter in Raderberg unter Dauerstrom.
Von Freitag bis Montag waren alle Lkw unterwegs zur polnischen Grenze und wieder zurück – und die gespendeten Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung und Spielzeug stapelten sich in der 1600 Quadratmeter großen Halle. „Es war rappelvoll hier“, so Nothstein. Aktuell nimmt der Verein daher keine Sachspenden mehr an. „Die Hilfsbereitschaft der Kölnerinnen und Kölner ist außergewöhnlich“, sagt Nothstein.
Vorsitzender ist herzlicher Empfang wichtig
Am Dienstagnachmittag leert sich das Lager langsam wieder, ein zweiter Lkw, der sich auf den Weg in Richtung Ukraine machen soll, wird gerade beladen. Linda Mai, die Vorsitzende des Vereins, läuft von einem Ort in der Halle zur nächsten, spricht mit den ehrenamtlichen Helfern, Menschen, die Spenden abgeben, mit der Presse. Und hat zwischendurch noch Zeit, sich über ein ukrainisches Mädchen zu freuen, das sie wiederentdeckt hat. „Sie ist letzte Woche hier angekommen“, sagt Mai.
„Jetzt wollte sie hier mithelfen.“ Das Mädchen mit der gelben Mütze steht in der Halle zwischen den Spielsachen, darf sich etwas aussuchen. Ein wenig Kindheit in einer Ausnahmesituation. Mai ist es besonders wichtig, dass alle Geflüchteten herzlich aufgenommen werden. „Ohne mein ganzes Team wäre das alles nicht möglich“, sagt sie. Den Geflüchteten, die am Hauptbahnhof ankommen, werden Care-Pakete gebracht.
Wie es an der Marktstraße selbst weitergeht, „kann sich von Stunde zu Stunde ändern“, sagt Mai. Je mehr Geflüchtete aus der Ukraine in Köln ankommen, umso mehr könnte sich auch die Spendenverteilung dahingehend verändern, dass Bedürftige Sachen direkt vor Ort abholen können. „Das ist aber noch Zukunftsmusik“, so Natalie Nothstein. Was in der Ukraine selbst dringend benötigt werde, wolle man auch weiterhin rüberschicken.