Köln – Es waren bewegende Tage und Stunden, die viele ukrainische Flüchtlinge erleben mussten. Sie haben gehört, wie Bomben und Raketen auf ihre Städte niederprasselten. Wie Medikamente und Lebensmittel knapp wurden. Wie Menschen sich in U-Bahn-Tunneln vor den russischen Angriffen verstecken mussten. 43 Menschen - Frauen, Kinder und wenige Männer und die Katze Milka - sind am Donnerstag in der Flüchtlingsunterkunft an der Sinnersdorfer Straße in Köln-Worringen angekommen. „Es ist unglaublich schön, an einem Ort zu sein, an dem keine Bomben fallen“, sagte eine Frau bei der Ankunft.
Gegen 13.30 Uhr erreichte der Bus der Rheinland-Touristik die Flüchtlingsunterkunft. Zuvor hatten viele der Flüchtlinge an der polnisch-ukrainischen Grenze tagelang ausgeharrt. Wegen zehntausender Menschen, die aus der Ukraine nach Polen drängten, waren die Grenzbehörden offenbar völlig überlastet. Am Dienstag sollen sogar die Computersysteme über Stunden ausgefallen sein.
Kölner Verein Blau-Gelbes Kreuz empfängt ukrainische Flüchtlinge
In der Flüchtlingsunterkunft wurden die Menschen von Helfern des deutsch-ukrainischen Vereins Blau-Gelbes Kreuz, der die Fahrt organisiert hatte, und vom Deutschen Roten Kreuz empfangen. Dolmetscher beantworteten Fragen, zudem wurden die Geflüchteten verpflegt. Nachdem die Personalien aufgenommen wurden, blieben manche in der Unterkunft. Andere wurden schon nach kurzer Zeit von Verwandten abgeholt.
So wie Shamin Ahamed. Der 50-Jährige, der ursprünglich aus Bangladesch kommt, lebt seit mehr als 25 Jahren in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, wo er ein Import-Export-Geschäft betreibt. Zunächst hatte er nicht aus dem Land fliehen wollen, die Sorge um seinen Sohn wurde nach den ersten Angriffen aber dann so groß, dass er sich zur Flucht entschloss. Irgendwie hörte er von dem Bus, der ins Rheinland fuhr und es gelang ihm tatsächlich, an Bord zu gelangen.
In Köln wird er von seinem Neffen Mohsin Reja abgeholt. Auch Elisabeth Gruber hat erst kurzfristig am Mittwochabend erfahren, dass es ein Teil ihrer Familie aus der Ukraine herausgeschafft hat. Nun holen sie Oma Anastasia Wirt, ihre Tochter Tatjana und deren Kinder Victoria und Sebastian ab und fahren mit ihnen nach Hause nach Kleve.
Ekaterina Tischenko ist kurz vor dem Reisebus in der Flüchtlingsunterkunft in Worringen angekommen. Sie ist mit ihrer Mutter und ihren drei kleinen Kindern seit Donnerstag unterwegs, mit dem Auto sind sie mehr als 2000 Kilometer gefahren. Zwei Tage steckten sie an der ukrainisch-polnischen Grenze fest. Ein Leben zwischen Hoffnung und Sorge. „Wir sind sofort am Donnerstag losgefahren, ich wollte nichts riskieren und noch länger in Kiew bleiben. Meine Kinder brauchen Sicherheit“, sagt Tischenka. Von Kiew fuhren sie ins westukrainische Lwiw, um ihre 74-jährige Mutter Dina Nesterova abzuholen.
„Als Ekaterina mich angerufen hat und gesagt hat, dass Russland uns angegriffen hat und wir zeitnah fliehen müssen, konnte ich das erstmal nicht glauben“, sagt Nesterova. „Nachdem wir zwei Tage an der polnisch-ukrainische Grenze standen, mussten wir noch zweimal übernachten: in Polen und in Berlin.“ Andere hatten weniger Glück, sagte sie. „Als Russland die Fernsehtürme in Kiew bombardiert hat, rief meine Tochter sofort ihre beste Freundin an. Sie hat geschrien: Kristina, du muss sofort fliehen, die Situation ist gefährlich.” Die niederschmetternde Antwort sei gewesen: „Wir können nicht mehr, Kiew ist eingekreist, es gibt keinen Ausgang mehr.“
Für Nesterova ist die Situation besonders schmerzhaft. Sie wurde von einer Familie mit russischen Wurzeln als Kind adoptiert, ihr Mann kommt auch aus Russland. Jetzt zerstören russischen Soldaten ihre Heimat: „Ich liebe die russische Kultur, Musik und besonders Literatur. Dostojewski hat „Der Idiot“ geschrieben und ich denke, dass das die russische Regierung momentan am besten beschreibt“, sagt sie mit einem kleinen, sorgenvollen Lächeln auf dem Gesicht.
In den kommenden Tagen werden noch weitere Flüchtlinge aus der Ukraine erwartet. Noch harren aber viele an der polnisch-ukrainischen Grenze aus. Die Lage dort sei einigermaßen unübersichtlich, sagt der Kölner Unternehmer Nils Neumann dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Man erreicht den Gründer der Hilfsorganisation Helpbus am Telefon im polnisch-ukrainischem Grenzgebiet. Seit Montagnacht hilft er, Flüchtlinge, die es über die Grenze geschafft haben, mit Bussen in Unterkünfte vor allem in Polen zu bringen. Er klingt aufgewühlt, emotional von der Situation angefasst, hat in den vergangenen zwei Tagen kaum geschlafen.
Hunderte, manchmal auch Tausende von Menschen kämen über den Grenzübergang. Während die Menschen auf der polnischen Seite mit Essenspaketen versorgt würden, hätten die Ukrainer mehr Probleme, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Es kommen Familien, die der Krieg aus ihrem normalen Leben gerissen hat, es kommen traumatisierte Menschen. „Das alles ist sehr schlimm.“ Neumann macht sich Gedanken, was passiert, wenn noch mehr Flüchtlinge kommen.
Die Flüchtlinge, die in Köln ankommen und nicht bei Freunden und Verwandten unterkommen, finden in den städtischen Unterkünften Zuflucht. Die Stadt hat die sogenannte Unterkunftsreserve mit 1500 Plätzen für die ukrainischen Flüchtlinge aktiviert.