Köln – Das Interview ist schon vorbei, die Studentin kommt noch einmal aus dem Seminarraum raus auf den Flur. Ein bisschen ist ihr die Bitte peinlich, sie muss sie aber doch äußern: „Bitte keine Einzelheiten zu meinem persönlichen Hintergrund in der Zeitung, auch nicht den Namen.“
Zum Interview war sie zwar bereit gewesen, hatte sich beim Reden aber anmerken lassen, dass sie ihre Worte vorsichtig abwog und stets im Hinterkopf hatte, dass sie besser nicht zu ausführlich erzählen sollte.
Die Vorsicht ist durchaus berechtigt: Da die Erdogan-Regierung Regimegegner zunehmend verfolgt, könnte sie nach der Rückkehr in die Türkei vielleicht tatsächlich Probleme mit der Obrigkeit bekommen.
Als türkischer Student nach Deutschland zu fliegen, um an einer Universität an einem „Demokratie-Camp“ teilzunehmen, bei dem es um die deutsch-türkischen Beziehungen geht, das bedeutet bereits Mut.
Trotzdem haben sechs Studentinnen der Bilgi-Universität in Istanbul die Reise gewagt und nehmen seit Montag an einem sogenannten Demokratie-Camp teil, das die Demokratiestiftung ausrichtet – die ist angesiedelt an der Juristischen Fakultät und veranstaltet alljährlich ein Camp zu einem aktuellen politischen Thema.
Nachdem bereits im vergangenen Jahr die Türkei im Mittelpunkt stand – damals wurde die Frage des EU-Beitritts debattiert – ist das Seminar nun betitelt mit „Deutschland und die Türkei – Zukunft einer Partnerschaft?“ Es geht um Fragen wie: Wird sich die Türkei weiter nach Europa orientieren? Kann man die jetzige Verfassung noch rechtsstaatlich nennen?
Die Stimmung in Istanbul sei gedrückt, berichtet die Studentin, die fließend Deutsch spricht. Obwohl die Bilgi-Universität keine staatliche Einrichtung ist, sondern sich in privater Trägerschaft befindet, sind in den vergangenen Monaten auch dort Hochschullehrer entlassen worden, nachdem sie Regimekritisches geäußert hatten.
Die Anspannung sei deutlich zu spüren, erzählt ihre Kommilitonin: „Es gibt viel Druck, wir können keine Diskussionen führen, Kommentare sind uns nicht erlaubt, Erdogan darf das, wir nicht.“ Umso größer sei ihr Interesse nun, bei dem Demokratie-Camp die Sichtweise der deutschen Studenten kennenzulernen: „Ich lese in Istanbul auch deutsche Zeitungen, möchte aber hier in Köln live erleben, welche Haltung die Deutschen haben.“
Bekannte Gäste und Politiker zu Gast
Eine ganze Woche bleibt die Gruppe zusammen – von Kölner Seite nehmen zehn Studenten teil, wie die Gäste aus der Türkei studieren auch sie Jura. Philipp (21) sagt: „Ich kann mir vorstellen, dass man für Erdogan Sympathien hegt, wenn das familiäre Umfeld so tickt, dann ist es schwer, sich daraus zu lösen.“ Sonia, viertes Semester: „Ich denke eigentlich schon, dass viele Leute in der Türkei unsere westlichen Werte teilen.“
Die Leitung des Demokratie-Camps hat Johanna Sahbatou. Als Einstieg ins Thema zeigte sie einen Dokumentarfilm der Kölner Fernsehjournalistin Jutta Pinzler. Darin werden zwei Deutschtürken porträtiert, wie man sie sich konträrer kaum vorstellen kann: Einen Youtuber, der als Erdoganfan aggressiv die Werbetrommel rührt, und eine Grünen-Politikerin aus Essen, die zum Nein-Lager gehört.
Es werden mehrere Experten referieren: Der Duisburger Politikwissenschaftler Burak Copur, Klaus Hänsch, ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, und Timo Güzelmansur von der Christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle (Cibedo) in Frankfurt. Zudem steht ein Besuch des türkischen Generalkonsulats in Hürth auf dem Programm. Bei einer öffentlichen Präsentation am kommenden Donnerstag um 15 Uhr stellen die Camp-Teilnehmer ihre Ergebnisse vor – in Form eines Rollenspiels. Externe Zuhörer sind willkommen, jedoch nur nach Anmeldung.