Köln/ Niederkassel – Ein Wels glotzt in die Kamera; drei Delfine schwimmen dem Betrachter entgegen; ein Seepferdchen, ein Hecht und ein Barsch wechseln sich auf dem Bildschirm ab, gefolgt von einem Rotfeuerfisch und Blauhaien. Am groteskesten mutet ein Wesen mit schlankem, langgezogenem Körper an, das zu gut einem Drittel aus einem röhrenartigen Kopfteil besteht, der in einer Art Schweineschnauze endet: ein Trompetenfisch.
„Es gibt Tiere, da denkt man: Wer hat dich denn gemacht?“, sagt Patrick Neumann, der die Fotos auf seinem Laptop zeigt. Alle hat er selbst gemacht, ebenso die Bilder, die nun auftauchen: Babys unter Wasser. Weit mehr als die Tiere, die der 43-Jährige mal im Indischen Ozean, mal im Roten Meer oder im Fühlinger See aufgenommen hat, sorgt menschlicher Nachwuchs dafür, dass er sein Auskommen hat.
Aus dem Beruf ausgestiegen
Es gab eine Zeit, in der sich Patrick Neumann um den Lebensunterhalt keine Gedanken machen musste. Eine Zeit mit „toller Wohnung und tollem Auto“, wie der Unterwasserfotograf sagt. Er ist froh, diese Zeit hinter sich gelassen zu haben.
Während er davon erzählt, liegt neben ihm auf dem Tisch sein Arbeitsgerät: eine 16.000 Euro teure, schwergewichtige Kamera. Ihre markantesten Teile sind die Arme mit Unterwasserblitzen und der „Domport“, eine vor dem Objektiv befestigte Fassung mit runder Glasscheibe, deren Wölbung die Verengung des Blickwinkels unter Wasser ausgleicht, ähnlich wie ein Fischauge.
„Ich war latent unglücklich“, sagt Neumann über die Zeit, als er für einen großen Versicherungskonzern tätig war, wo er als „Key Account Manager“ Großkunden betreute, die mehr als eine halbe Million Euro Prämie brachten. Der Entschluss reifte, aus dem Beruf auszusteigen. „Was kann ich noch?“, fragte er sich und besann sich darauf, dass er durch seinen Vater, einen Tauchlehrer, früh mit dem Tauchen in Berührung gekommen war.
Tauchlehrer-Ausbildung in Ägypten
Den ersten Tauchgang absolvierte er als Siebenjähriger im Fühlinger See. Im Laufe der Jahre brachte er es bis zur vierten Qualifikationsstufe, dem „Dive Master“. Nachdem er im März 2006 im Thailand-Urlaub zum ersten Mal unter Wasser fotografiert hatte, machte er im Sommer in Ägypten eine Tauchlehrer-Ausbildung. Die Auszeit, um die er bei der Arbeit bat, verweigerte ihm der Chef. Also kündigte Neumann.
Zwei Jahre lang war er auf einem Tauchsafariboot in ostasiatischen Gewässern unterwegs, begleitete Rucksacktouristen zu Tauchplätzen und machte unter Wasser Bilder. Anfang 2009 kehrte er zurück nach Deutschland und überlegte, wie es weitergehen könne. Vom Startkapital, mit dem er aus dem Versicherungsberuf ausgestiegen war, waren nur noch 1500 Euro übrig.
„Von 500 Euro habe ich mir einen gebrauchten Fiat Panda gekauft und die restlichen 1000 Euro in einen Wettbewerb investiert.“ Die Aufgabe war, ein Schiffswrack zu fotografieren, das auf dem Meeresgrund vor Zypern lag: die 1980 gesunkene schwedische Fähre „Zenobia“. Neumann ging in der Profiklasse als Sieger hervor; neben dem Renommee waren ihm 5000 Euro Preisgeld sicher.
Nur von der Unterwasser-Fotografie zu leben, ging nicht
Bei aller Könnerschaft erwies es sich als unmöglich, allein davon zu leben, Aufnahmen an Magazine wie „Tauchen“, „National Geographic“ und „Unterwasser“ oder an Agenturen zu verkaufen. Ein zweites Standbein war nötig. Neumann fand es, als er für einen Freund Bilder von dessen Sohn beim Babyschwimmen machte. Seitdem lichtet er Säuglinge unter Wasser ab; von den 5000 Euro Preisgeld schaffte er sich unter anderem einen PC an und ließ sich eine geschäftliche Internetseite einrichten.
Mit der Zeit habe die Zahl der Eltern zugenommen, die ihre Babys beim Schwimmen fotografieren lassen, sagt Neumann; auch die Konkurrenz sei gewachsen. Die Babys haben keinen Schaden davon, dafür sorgt der Atemschutzreflex, der allerdings nach acht bis zehn Monaten verschwindet. Damit die Säuglinge die Scheu vor der Kamera, die Neumann mit einer Krake vergleicht, verlieren, hat er auf die Sonnenblende über dem „Domport“ eine gelbe Gummiente als ablenkenden Blickfang gesetzt.
Das Geld, das er in Schwimmbädern oder bei der Physiotherapie verdient, trägt während acht Monaten im Jahr zum nötigen „Grundrauschen“ bei, wie er es nennt; ein weiterer Teil seines regelmäßigen Einkommens stammt aus der Arbeit auf Messen als Berater für Unterwasser-Kameragehäuse.
Die übrigen vier Monate verbringt Neumann mit Tauchtouren; er betreut Touristen und macht, vielfach mit Preisen ausgezeichnet, in einer Tiefe von bis zu 40 Metern Bilder, ob in Ägypten, Indonesien, Papua-Neuguinea oder vor den Azoren.
Fühlinger See hat viel zu bieten
Unfälle gab es noch nicht. Und Neumann wird nicht müde, den Fühlinger See zu erkunden. Den Rhein meidet er; die Strömung sei zu stark, und es gebe zu wenig zu sehen. Die Fotos abzusetzen werde immer schwieriger. „Das Internet ist der große Feind“, weil dort üppiges Bildmaterial kostenlos angeboten werde. Zurzeit hat der 43-Jährige wieder „Babypause“ in Deutschland.
Für das nächste Jahr plant er, mit seiner Freundin, mit der er in Niederkassel wohnt, nach Westaustralien zu reisen und sich den Wunsch zu erfüllen, Buckelwale in freier Natur zu fotografieren. In einer Natur, die er im Niedergang weiß: „Kinder, die heute fünf sind, werden das alles nicht mehr sehen können, es wird alles wegbrechen“. Paradebeispiel: das Great Barrier Reef vor der ostaustralischen Küste. Das größte Korallenriff der Erde ist von der globalen Erwärmung in seiner Existenz bedroht und zu großen Teilen bereits abgestorben.
Seine Fotos hätten auch den Zweck, deutlich zu machen, was mit der Umweltschädigung – etwa durch gigantische Massen von Plastikmüll in den Meeren – alles verloren gehe, sagt Neumann. Manch einer werde sich vielleicht sagen: „Was interessiert’s mich, wenn Seepferdchen verschwinden.“ Doch von der Gesundheit der Gewässer hängt die Existenz der Menschheit ab.
Etwa zwei Drittel des auf der Erde freigesetzten Sauerstoffs stammen aus der Photosynthese von Algen und Plankton; und Fische sind als Nahrungsmittel für unzählige Menschen unverzichtbar. Kurzum: „Wenn das Meer stirbt, stirbt der Mensch“, sagt der Fotograf.
Persönlich jedenfalls scheint er mit dem Berufsausstieg sein Glück gefunden zu haben: „Ich bereue keinen einzigen Tag.“ Er stehe auf und freue sich auf das „Babyshooting“, einschließlich der Bildbearbeitung. Auf den Reisen ist er erst recht in seinem Element: „Wenn ich tauchen kann, bin ich der glücklichste Mensch.“