Köln – Gerd Köster dampft. White Lion bläst er mit seiner E-Zigarette ins Ladenlokal von High End Smoke an der Severinstraße 95 b. „Ming Dampferbud“, wie Köster die Niederlassung der Dresdner Dampfgeräte Manufaktur nennt. Im schwarzen Club-Sessel sitzt er neben Geschäftsführer Dirk Richter. Der dampft ein sogenanntes Liquid mit der Geschmacksrichtung Kokosmakrone, Köster eins mit Vanille-Note. „Kein Grand Cru, wenn es ein Wein wäre“, beschreibt der Sänger und Hörbuchsprecher, „eher ein süffiger Tropfen.“
Endlich wieder Luft bekommen
Ab und zu verbringt Köster hier ein bis zwei Stunden, sagt er. „Das ist eine Begegnungsstätte, ein Info-Pool“, findet er. „Dirk berät klasse, der schwatzt einem nix auf. Und man ist mit Fremden total schnell im Thema“: Der E-Zigarette, die laut Köster einen viel zu schlechten Ruf habe. „Jeder Hausarzt müsste seinen rauchenden Patienten E-Zigaretten verschreiben“, überspitzt er. Wobei – er meint das zumindest ein bisschen ernst: schon wegen seiner eigenen Raucher-Biografie.
„30 Schwarzer Krauser habe ich früher am Tag geraucht“, sagt der 57-Jährige und schwärmt noch heute vom würzigen Tabak zum Selberdrehen. Drei Jahre habe er mal aufgehört, sei aber rückfällig geworden. „Erst an dem Tag, als mein E-Zigaretten-Starter-Set in der Post war“, sagt er, „habe ich es von jetzt auf gleich geschafft.“ Ein paar Tage habe er gemerkt, wie viel leichter es ihm falle, Luft zu bekommen. Ungefähr zwei Wochen später sei sein Geschmackssinn aus dem Raucherwahn erwacht. „Ich hätte nie gedacht, dass es möglich ist, das Rauchen mit Genuss aufzugeben“, betont Köster und dampft ein bisschen weiter. „Hätte ich gewusst, dass das geht, hätte ich es früher getan.“
Auch Gerardo D’Ambrosio kennt die Geschichte. Er hat vor 18 Jahren das Café Sur am Martin-Luther-Platz mit seinem Bruder gegründet, Kösters Lieblings-Café. „Wenn du so was auf der Ecke hast“, sagt er, „das ist Veedel.“ Das Café ist in der Kaffeehauskultur Argentiniens gehalten – mit Kaffee Cortado im Angebot, leiser Gitarrenmusik im Hintergrund und einer Enge im Raum, die zum Miteinander über den eigenen Tischrand hinweg einlädt.
D’Ambrosio serviert, grüßt, lacht mit den Gästen. Oder er fachsimpelt mit ihnen über sein Lieblingsthema: Fußball. Mit Köster hat er zum Beispiel das WM-Finale im vergangenen Jahr geschaut. Mario Götzes 1:0 gegen Argentinien hatte der deutschen Elf in der Verlängerung den vierten Weltmeistertitel gebracht. „Das hättet ihr aber auch gewinnen können“, gesteht Köster D’Ambrosio zu. „Ja, das war eng“, pflichtet der Vize-Weltmeister bei. „Aber übers Turnier gesehen war das Ergebnis gerecht“, resümiert Köster, und D’Ambrosio nickt. Sie gehen die Schlüsselszenen des Spiels nochmal durch. Dann verabschiedet sich Köster.
Er hat selbst zehn Jahre lang Fußball gespielt. Köster war Torwart bei Grün-Weiß Nippes, ist in der C-Jugend in die Mittelrheinauswahl gekommen – für die besonders talentierten Zwölf- bis Vierzehnjährigen. Eine schöne Zeit für Familie Köster. „Mein Vater“, erinnert sich der Sohn, „hat immer davon geträumt, dass ich mal Fußballer werde.“ Dass die Musik aber den Sport ersetzen würde, das hätte der Vater nie so recht verwunden. Und auch Kösters Mutter hätte sich einen anderen Beruf für das einzige Kind gewünscht. „Wir wohnten damals in Nippes, und ich war der erste in unserem Block, der Abitur gemacht hat. Darum wollte meine Mutter immer, dass ich mal studiere und Arzt werde oder Anwalt.“
Stattdessen hat Köster während des Zivildienstes in den Riehler Heimstätten eine Ausbildung zum Altenpfleger absolviert. „Das einzige, was ich in meinem Leben je gelernt habe“, scherzt er, als er bei einem Abstecher aus der Südstadt hinüber nach Riehl im Café des Seniorenzentrums sitzt. Hier kehrt er ein, wenn er seine Mutter besucht. „Neulich Samstag war hier ein Alleinunterhalter“, berichtet Köster, „mein Standesbeamter Günter Stommel.“ Das ist der Kult-Beamte, der in seiner Dienstzeit neben Köster auch Wolfgang Niedecken, Peter Brings und Ralph Giordano getraut hatte.
Seine Frau lernte Köster kennen, als er mit Cousine Gaby Köster in der Südstadt-Kneipe Out hinter der Theke stand. Seine spätere Frau war die Chefin dort. Als ihr erster gemeinsamer Sohn Florian zur Welt kam, lebte die Familie in Esch. „Das war uns aber zu weit draußen. Und als wir dann die Wohnung in der Südstadt fanden, dachten wir gleich: Die ist es.“ Und sie ist es geblieben – seit 30 Jahren wohnen sie nun da. Sohn Johnny ist dort aufgewachsen, ein Nachzügler, zwölf Jahre jünger als sein Bruder. Beide Söhne hat Köster im Kinderwagen durch den Volksgarten geschoben, den 125 Jahre alten Park auf dem Gelände des ehemaligen Fort IV. „Und wenn ich mal einen Jogging-Anfall habe, bin ich hier auch unterwegs. Ich finde, das ist ein unheimlich schöner Park mit seinen Hügelchen und dem Spielplatz.“ Mit dem Ruf des Grünspechts und dem Plätschern der Fontäne auf dem Boots-Weiher.
Wein und Dampf
Der Park ist aber auch beruflich für Köster wichtig. Im Rosengarten an der südöstlichen Ecke des Geländes zur Vorgebirgstraße hin lernt er seine Texte. „Im Gehen kriege ich die am besten in den Kopf“, sagt er. „Wenn ich lerne, laufe ich immer schön in einer Acht. Das sieht bestimmt bescheuert aus, ich gestikuliere ja auch dabei. Aber so klappt es halt am besten.“
Das sei immer so gewesen, schon zu Beginn seiner Karriere, als er ganz plötzlich Frontmann der Anarcho-Rock-Theater-Band Schroeder Roadshow wurde; der eigentliche Sänger war fünf Tage vor Tour-Start krank geworden. Köster sprang ein und lief mit den Texten genauso umher, wie er später mit denen von The Piano Has Been Drinking spazieren ging – die Band, für die er Tom-Waits-Songs ins Kölsche übersetzte. Heute ist er im Rosengarten unterwegs mit den Texten zu seinen Blues- und Rock-Songs und natürlich den Krätzjen. Die bringt er mit Gitarrist Frank Hocker auf die Bühne. Die beiden haben der kölschen Art des Bänkelgesangs neue Themen und Klänge verpasst, sie runderneuert.
Weit weniger Lauf-Arbeit als die Konzerte bereiten Köster seine Lesungen. Mit Bestseller-Autoren wie Dan Brown („Sakrileg“), John Irving („Bis ich dich finde“) und mit T. C. Boyle („Riven Rock“) hat er schon auf der Bühne gestanden. „Was ein wenig absurd ist, denn ich bin so gar kein Bücherwurm“, gesteht Köster. „Meine Eltern waren sehr literaturfern. Ich habe erst durch unsere Kinder zum Vorlesen gefunden, wenn ich da abends gesessen und überlegt habe: Will ich es jetzt noch was spannend für sie machen? Oder sollen sie lieber schnell einschlafen?“
Unterhaltsam werden soll es auf alle Fälle am 13. März, dann liest Köster mit „Commitments“-Autor Roddy Doyle in der Nippeser Kulturkirche. Ein Programmpunkt der lit.Cologne, Kölns Literaturfestival, über das sich Köster austauscht mit Buchhändlerin Hildegund Laaff in der Lengfeld’schen Buchhandlung am Kolpingplatz. „Läden wie diesen find’ ich klasse“, stellt er fest. „Hier gibt es bei Lesungen sogar manchmal Rotwein“, frohlockt Köster. Und dampfen darf er ab und zu auch.