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Veedels-CheckMerkenich – der von Industrie umzingelte Kölner Stadtteil

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Die Kirche St. Amandus in Rheinkassel

Köln-Merkenich – Es ist ein schweres Versehen, dass der Stadt irgendwann unterlaufen ist. Für die Betroffenen ist es gar unverzeihlich: „Merkenich“ meint aus Sicht der Stadt nämlich nicht nur das Viertel südlich der Leverkusener Brücke mit gleichem Namen, sondern auch die drei Rheindörfer im Norden. „Darüber können wir uns richtig ärgern“, sagt der scheidende Vorsitzende des Bürgervereins Rheinkassel-Langel-Kasselberg, Dieter Metz.

Die Kollegen in Merkenich können es etwas gelassener nehmen, doch auch für sie ist klar, dass hier etwas zwangsvereint wurde, was eigenständig existiert.

Vielleicht geht diese Vereinigung auf die Zeit zurück, in der die Stadt alle Dörfer entlang der alten römischen Heerstraße Richtung Norden platt machen wollte, um Raum für ein zusammenhängendes, großes Gewerbegebiet zu schaffen. Es gab sogar Befürworter für den Bau eines Atomkraftwerks am Rhein. Die Bürger wehrten sich – und so verschwand in den 1970er Jahren „nur“ das Bauerndorf Feldkassel.

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Merkenich ist von Industrie umgeben.

Die Merkenicher wollten weiter von Industrie umzingelt am Rheinufer leben. Ford, ein großes Chemiewerk, der Ölhafen und das Heizkraftwerk – der Ort an der wunderschönen Rheinaue muss einiges aushalten. Nun kommt die Großbaustelle Leverkusener Brücke dazu, die hier die Lebensqualität über Jahre einschränken wird.

Fenster besser geschlossen halten

Doch es war auch schon mal schlimmer: In seiner Kindheit habe man in Merkenich kein Fenster aufmachen können, erinnert sich der 49-jährige Thomas Schmidt, der sich im Merkenicher Bürgerverein engagiert. Das sei heute anders. „Diese Belastungen sind in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen.“

Dem Veedel rund um die Kirche St. Brictius, die wahrscheinlich auf dem Fundament eines römischen Wachturms gebaut wurde, kann man seine bäuerliche Vergangenheit immer noch ansehen. Beeindruckende Hofanlagen haben nicht das Schicksal von so vielen anderen alten Höfen in der Stadt erlitten, die zu exklusiven Wohnanlagen umgebaut wurden.

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Das Vereinsleben ist rege, auch wenn – wie überall – das ehrenamtliche Engagement schwächer wird. In Merkenich braucht der Karnevalszug mittlerweile nur noch eine Viertelstunde, um an einem vorbei zu ziehen. Gründe zum Feiern gibt es aber noch genug, egal ob im Fastelovend, beim Schützen- oder Glühweinfest.

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Ruhe findet man in den Rheinauen von Langel bis Merkenich.

Richtig ländlich wird es, wenn man sich unter der Zufahrt der Leverkusener Brücke weiter Richtung Norden aufmacht. Vorbei an großen Erdbeer-, Mais- oder Spargelfeldern, dem kleinen Kasselberg – das bei Hochwasser zur Insel wird – und einer Schonung für Weihnachtsbäume erreicht man Rheinkassel und schließlich Langel, wo eine Fähre nach Leverkusen-Hitdorf schippert. Weil es hier keine Industriebetriebe mehr gibt und man nicht auf die Bayer-Werke schaut, ist die Rheinaue noch schöner als in Merkenich.

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Die Leverkusener Brücke wird zur Belastung für den Stadtteil.

Mit „Großstadt“ hat das alles nichts mehr zu tun. Man findet eine dörfliche Idylle in Traumlage. Ein Damm, über den ein Rad- und Fußweg führt, trennt die Felder und Wiesen am Rhein von der Wohnbebauung. Bei Niedrigwasser öffnen sich riesige Strände; in Langel sind es sogar Sandstrände.

Die Anwohner sind nicht sonderlich daran interessiert, dass Reklame für dieses Angebot zur Naherholung im Naturschutzgebiet in der Zeitung steht. Schon jetzt ist es an sommerlichen Wochenenden ziemlich voll, findet Bürgervereinsvorsitzender Metz. Zu viele würden ihren Müll liegen lassen. Nicht nur in dieser Angelegenheit wünschen sich die Merkenicher dies- und jenseits der Brückenrampe mehr Engagement der Stadt.

Überraschende Forderung

Alle Viertel plagt das Verschwinden von Einzelhandel, Kneipen und das schlechte Angebot zur Nahversorgung. Metz überrascht mit einer Forderung, die man sonst wohl nirgendwo in Köln hört: „Wir würden gerne wachsen.“ Während sich sonst allerorts in Köln Bürger und Initiativen gegen Verdichtung und neue Wohngebiete wehren, wären sie hier willkommen. Mit dem Wunsch verbindet sich die Hoffnung, dass sich dadurch die Infrastruktur und vielleicht auch die Nahverkehrsanbindung verbessern würde.