Köln – „Wer ein Ziel hat, soll im Auto sitzen und wer keins hat, ist ein Spaziergänger und gehört schleunigst in den nächsten Park“, schrieb die Westberliner Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen in einer Broschüre 1957 zur autogerechten Stadt. Die autogerechte Stadt, das war auch die verkehrsplanerische Handlungsmaxime im Köln der 1950er und 1960er Jahre, die bis in die 1970er hineinreichte. Alles sollte sich dem motorisierten Individualverkehr unterordnen, Radfahren und vor allem zu Fuß gehen wurde in der autogerechten Stadt konsequent als nachrangige Art der Fortbewegung betrachtet. Eine nach heutigem Wissen fatale Philosophie, deren Auswirkungen die Stadtentwicklung noch bis weit in die Zukunft beschäftigen wird.
Auch die großen Rheinbrücken, ihrem Wesen nach Inbegriff des Verbindenden, stellen Fußgänger vor harte Prüfungen. Sie müssen mitunter überhaupt erst einmal den Weg auf die Querungen hinauf finden, um sich dann, oben angekommen, oft vom Verkehr umtosen zu lassen. „Fußgänger werden oft vergessen“, sagt Gunda Wienke vom Fachverband Fuß e.V., die auch für die Linke als sachkundige Einwohnerin im Verkehrsausschuss sitzt. Ein Rundgang über die großen Brücken aus Fußgängersicht.
Kölner Hohenzollernbrücke: „Schön, aber auch gefährlich“
Der Zugang auf die Eisenbahnbrücke über den Heinrich-Böll-Platz am Museum Ludwig ist inzwischen entschärft, das Problem der lockeren Pflastersteine vorerst gelöst. „Es fehlt aber ein Zugang von dort zu Gleis 1 im Hauptbahnhof“, sagt Wienke. Den gab es sogar einmal, aber schon seit längerer Zeit müssen Bahnreisende zu Fuß einen beschwerlichen Weg hinab in die Bahnhofshalle und dann wieder hinauf auf die Domplatte nehmen, um auf die Brücke zu kommen.
Auf der Brücke selbst erblicken sie dann die abertausenden Liebesschlösser. „Schön, aber auch gefährlich“, sagt Wienke. Besonders dicke Schlösser, vor allem aber mit Namen von Liebespaaren gravierte scharfkantige Bleche ragen in den Fußweg hinein. Das gefährde nicht nur Fußgänger, sondern auch Radler, besonders wenn auf den Wegen der Brücke viel los ist. „Radler sollten hier schieben müssen“, findet Wienke. Auf der rechten Rheinseite muss man schon ein Ortskenner sein, um den barrierefreien Weg von der Brückenrampe zum Rheinboulevard zu finden. Er ist eng, dunkel und wird überdies gern von Radlern mitgenutzt.
Deutzer Brücke: kein Platz für Radler
Auf jeder Seite dürfen Radler ihren jeweiligen Fahrstreifen in beide Richtungen nutzen. Da der Radweg aber schmal ist, weichen einige von ihnen auf den Fußweg aus, wenn ihnen jemand entgegenradelt. Dabei müssen sie oft die Laternen umkurven. „Die Laternen müssten nach außen versetzt werden, damit die Radler mehr Platz haben, um nicht auf den Fußweg ausweichen zu müssen“, fordert Wienke. Oder der gesamte Fußgänger- und Radbereich müsse verbreitert werden – zulasten der Autospuren. Die Zuwege zur Brücke sind für Fußgänger auf beiden Seiten „unübersichtlich“. Wer nicht über die Wendeltreppen nach oben gelangen will, weil er zum Beispiel im Rollstuhl sitzt, muss über mitunter verschlungene Pfade und Parkplätze seinen Weg auf die Brücke suchen.
Auf der Deutzer Seite steht am Ende der Brücke ein Trafo-Häuschen, dass Radlern und Fußgängern die Sicht aufeinander versperrt. Und wer gleich hinter der Brücke weiter Richtung Deutzer Freiheit möchte, muss zunächst sehen, wie die Gleise im Bereich U-Bahn zu überwinden sind. „Haltestelle und Tunnelmund schneiden Deutz ab“, sagt Wienke. Auf der linksrheinischen Seite sind vor allem die Fußgängerverbindungen unterhalb der Brücke vor dem Maritim-Hotel problematisch. Auf Grund einiger Baustellen ist es „extrem unübersichtlich“, urteilt Wienke. Absperrbaken verengen die ohnehin schmalen Wege.
Severinsbrücke: schlecht beleuchtet
Auch hier sind die barrierefreien Zuwege problematisch. Auf der linksrheinischen Seite verlassen die Radler auf einem Weg neben der Autofahrbahn die Brücke. Für Fußgänger gibt es – immerhin separat – eine Art Schlucht hinab. Die ist jedoch schlecht beleuchtet, der Belag ist ramponiert, zudem benutzen auch Radfahrer den engen Weg, hat Wienke beobachtet.
Mülheimer Brücke: Pylone sind Gefahrenquelle
Straßenbahn, Autos, Fahrräder, Fußgänger: Wie auf der Deutzer Brücke kommen hier alle Verkehrsmittel zusammen, jedoch ist sie mit 27,20 Meter rund vier Meter schmaler. Deshalb herrschen auf dem durch eine Linie getrennten Rad- und Fußweg verengte Verhältnisse. Die etwas verwegenen, aber nicht vermeidbaren Verschwenkungen um die Pylone sind fast schon legendär.
Wenn sich Radfahrer und Fußgänger auf Höhe der Pfeiler entgegen kommen, können sie sich nicht sehen, weshalb es immer wieder zu gefährlichen Begegnungen kommt. Die Sanierungsarbeiten verschärfen das Unsicherheitsgefühl zusätzlich, hat Wienke beobachtet. Die Wege auf die Brücke hinauf sind ihrer Meinung nach dagegen in Ordnung, die Treppen meist ausreichend breit, auch die barrierefreien Möglichkeiten den Umständen entsprechend gut.
Südbrücke: Bedeutungslos für Radfahrer und Fußgänger
Fußgänger müssen die gerade einmal gut zehn Meter breite Querung durch enge Treppenaufgänge in den neoromanischen Steinstützen erklimmen. Das ist nichts für Menschen mit Gehbehinderung. Oder auch Radfahrer. Entsprechend wenig wird der schmale Fußweg neben den Gleisen frequentiert, sie ist als Rheinüberweg für Fußgänger und Radfahrer annähernd bedeutungslos.
Rodenkirchener Brücke: Hier gibt es mehr Platz
Hier gibt es aus Sicht von Wienke gute Bedingungen für Fußgänger. Das Gefälle der Rampen ist nicht zu steil, eine Scheibe trennt Rad- und Fußweg von der Autobahn. Allerdings ist auch wenig Platz für Radler und Fußgänger, die sich hier auf wenigen Metern begegnen.
Leverkusener Brücke: Behinderungen wegen Bauarbeiten
Auch hier trennt eine Scheibe den nicht sonderlich breiten Rad- und Fußweg von der Autobahn. Immerhin. Neben der bestehenden Brücke wird derzeit eine neue Querung gebaut, weil die marode alte Brücke nicht mehr zu retten ist. Bei der Gelegenheit sollte auch mehr Platz für den Fuß- und Radverkehr entstehen. Unter anderem wegen dieser Bauarbeiten ist der nördliche Rad- und Fußweg vorerst nicht nutzbar, auch bei den rechtsrheinischen Zuwegen kommt es zu Behinderungen.
Alternativen zu den Kölner Brücken
Es liegt in der Natur von Brücken, dass sie etwas überwinden. Dafür muss man nun mal in der Regel nach oben, was Fußgänger über Treppen, Aufzüge oder Rampen erledigen können. Aber vielleicht gibt es auch Möglichkeiten, ohne Brücken über den Rhein zu kommen. Die derzeit diskutierten Wasserbusse und Seilbahnen seien durchaus geeignet, sagt Wienke. Jedoch müsse die Infrastruktur konsequent fußgängergerecht sein. Das betreffe die Haltestellen wie die Wege zu den Stationen. Besonders die Fußverbindung zwischen Hauptbahnhof und Dom auf der linken Rheinseite und Bahnhof Deutz und die Messe auf der rechten könnten von alternativen Verkehrsmitteln über den Rhein enorm profitieren, sagt Wienke.
„Überhaupt würde Köln viel gewinnen, wenn man Fußgängerinnen und Fußgänger öfter zum Maßstab nähme.“ Sie wolle zwischen Rad- und Fußgängerverkehr „keine Front aufmachen“, sagt sie. Aber das Bestreben, Radfahren oder Micromobilität zu fördern, gehe oft zu Lasten der Raums für Fußgänger. Radnadeln, E-Scooter-Parkplätze, Abstellmöglichkeiten für Räder entstünden nicht nur auf Autoparkplätzen, sondern eben auch auf Bürgersteigen. „Und bei der Flächengerechtigkeit“, also dem verfügbaren öffentlichen Raum innerhalb der Stadt für eine bestimmte Gruppe, „stehen die Fußgänger ohnehin am schlechtesten da“, sagt Wienke.