Kölner Zugbegleiter berichten über gestresste Schwarzfahrer, wann es gefährlich wird, und über tolle Begegnungen mit schottischen EM-Fans.
Zwischen Schwarzfahrern und EM-FansZugbegleiter in der Kölner S-Bahn berichten: „Der wollte sich einfach auskotzen“
Wenn alle Fahrgäste so friedlich und fröhlich wären. Ja, vielleicht auch so ein bisschen bierselig wie schottische Fußballfans in der S 12 auf der Fahrt vom Kölner Hauptbahnhof nach Weiden-West – Nicole Arnold (50) würde ihren Job als Zugbegleiterin auch nach 33 Jahren in vollen Zügen genießen.
Frisch aus dem Urlaub und rein ins Getümmel. Schon Stunden vor dem Spiel gegen die Schweiz am Donnerstagabend im Rhein-Energie-Stadion sind die S-Bahnen voll und die Ticketkontrolle wird zur Nebensache. Es geht vor allem darum, das Ein- und Aussteigen zu organisieren, um einigermaßen pünktlich zu sein. „Ich brauche meine Menschen, mit denen ich mal rumdiskutiere, auch mal rummeckere, aber vor allem auch viel lache“, sagt Arnold. „Ich war immer Zugbegleiterin und will eigentlich auch gar nichts anderes machen.“
Das passt in diesem Moment. Bei den Schotten gibt es rein gar nichts zu meckern. Doch es geht nun mal nicht jeden Tag so ausgelassen zu wie bei einer Europameisterschaft – eine S-Bahn wird auf kurzer Strecke zum Party-Zug; aber ohne im Anschluss völlig verdreckt und verwüstet in der Instandhaltung in Nippes wieder auf Vordermann gebracht werden zu müssen. In Weiden-West sind die Wagen schon wieder nahezu menschenleer, die Fahrt Richtung Horrem geht weiter, als sei nichts gewesen.
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Für wenige Halte wird die S-Bahn zum Party-Zug, in Weiden-West ist sie fast wieder menschenleer
Wir treffen Nicole Arnold und ihren Kollegen Jalal Youssef (30) am Tag nach dem zweiten EM-Spiel in Köln. Youssef ist noch neu im Geschäft. Im November hat er auf Empfehlung mehrerer Freunde, die sich von dem passionierten Hobbyfriseur regelmäßig die Haare schneiden lassen, der Post den Rücken gekehrt und bei DB Regio NRW angeheuert. Seine Freunde und die Tatsache, dass die Bahn auf seine Bewerbung schon nach zwei Tagen geantwortet habe, hätten ihn überzeugt. Nicole Arnold hat ihn ausgebildet, „die Einweisung gefahren“, wie man bei der Bahn sagt. „Ich habe gleich gemerkt. Mit dem kannst du arbeiten. Seither sind wir ein Team.“
So weit, so harmonisch. Mit Blick auf ihre jahrzehntelange Berufserfahrung muss Nicole Arnold aber feststellen, dass Aggressivität und Gewalt zunehmen. „Vor allem seit der Corona-Pandemie. Wir merken, dass die Menschen weniger Geld zur Verfügung haben. Wenn sie bei uns 60 Euro bezahlen müssen, weil sie kein Ticket haben, ist die Stimmung sehr schnell gereizt. Die Züge sind wieder voller, der Stressfaktor höher. Ich hatte erst gestern wieder den Fall, dass mir jemand sein Ticket nicht zeigen wollte, weil der Zug, in dem er vorher saß, zu spät war. Der wollte sich einfach auskotzen. Ich bin die Kundenbetreuerin und muss das irgendwie abfedern. Wir müssen uns schon viel anhören.“
Die rote Linie ist für Nicole Arnold überschritten, „wenn ich persönlich beleidigt werde. In solchen Fällen mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch und fordere den Fahrgast zum Aussteigen auf.“ Und die Deutsche Bahn fordert in solchen Fällen das Zugpersonal dazu auf, grundsätzlich Anzeige zu erstatten.
Bodycams – auf freiwilliger Basis
Nachdem das Sicherheitspersonal zur Fußball-EM aufgestockt wurde, hat sich das Unternehmen der vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) und Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) initiierten Allianz #mehrAchtung angeschlossen. Zusätzlich ruft die DB in allen Zügen, die an Spieltagen die EM-Stadien und Fanmeilen anfahren, in Lautsprecheransagen zum fairen Verhalten gegenüber dem Bahnpersonal auf.
Zusätzlich werden die Zugbegleiter in Nordrhein-Westfalen auf freiwilliger Basis ab sofort mit Bodycams ausgestattet. Bis zu 800 dieser Kameras könnten es am Ende werden. Bei Pilotprojekten im Regionalverkehr in mehreren Bundesländern hat sich gezeigt, dass sie bei Konflikten deeskalierend wirken und den Strafverfolgungsbehörden notwendiges Beweismaterial liefern.
Jalal Youssef trägt eine Bodycam. Er will testen, ob sie im Ernstfall tatsächlich einen abschreckenden Effekt hat. „Ich war unsicher, ob nicht vielleicht das Gegenteil der Fall ist, dass ich sogar eher angegriffen werde, wenn ich im Konfliktfall auch noch ankündige, dass ich gleich die Kamera einschalte und das Geschehen aufzeichnen werde.“
Für das Namensschild an seiner Weste hat er ein Pseudonym gewählt. Das habe aber nichts mit dem Thema Sicherheit zu tun. Youssef spricht vier Sprachen. „Ich habe einen arabisch klingenden Namen, möchte im Zug bei Kontrollen aber nicht auf Arabisch angesprochen werden, weil ich glaube, dass das andere Fahrgäste irritieren könnte. Deshalb spreche ich grundsätzlich Deutsch.“
Gefährliche Körperverletzungen sind die Ausnahme
2023 gab es bundesweit 3144 verbale und tätliche Übergriffe gegen Bahnpersonal bei Fahrkartenkontrollen, der Durchsetzung des Hausrechts, am Rande von Fußballspielen, Großveranstaltungen und Volksfesten. 2022 waren es 3161, in den Jahren zuvor war die 3000er Marke bei weitem nicht erreicht worden. Knapp zwei Drittel der Angriffe betreffen das Zugpersonal im Regional- und S-Bahnverkehr. Mit einem Anteil von drei Prozent aller Angriffe sind gefährliche Körperverletzungen immer noch die Ausnahme.
„Die Sicherheit unserer Kolleginnen und Kollegen ist nicht verhandelbar“, sagt Evelyn Palla, die im Bahnvorstand für den Regionalverkehr verantwortlich ist. „Wir schützen unsere Mitarbeitenden unter anderem dadurch, dass wir sie in Trainings auf kritische Situationen vorbereiten und sie mit Bodycams ausstatten. Gerade die Bodycams bieten wirksamen Schutz vor Übergriffen.“ Palla betont aber auch, dass das Thema Sicherheit in den Verkehrsverträgen eine stärkere Rolle spielen müsse. „Wir werden mit den Aufgabenträgern und den Bundesländern, die den Regionalverkehr bestellen, über technische Lösungen, über mehr Personal und über eine nachhaltige Finanzierung sprechen.“
Zur Grundausstattung gehört auch Pfefferspray
Nicole Arnold wird künftig ebenfalls mit der Bodycam arbeiten. Es ist schon lange her, aber 2011 wurde auch sie Opfer einer Gewaltattacke. „Das war ein herber Übergriff. Danach war ich ein halbes Jahr krankgeschrieben und in Therapie. Alle zwei Jahre nehme ich an einem Deeskalationstraining teil.“ Pfefferspray gehört schon länger zu ihrer Grundausstattung. Zum Einsatz sei das – „glücklicherweise“, sagt sie – noch nie gekommen.
Sie habe das Gefühl, dass das Deutschlandticket auf Dauer zur Entspannung beitragen könne. „Die Kontrollen gehen schneller, selbst wenn man den Personalausweis vorzeigen muss. Egal aus welchem Bundesland man kommt, das Ticket ist immer gleich.“
Schotten als Fans der Herzen
Dann muss Nicole Arnold doch noch mal von den Schotten schwärmen, obwohl sie eigentlich gar kein Fußballfan ist. „Die sind Köln eingestiegen, waren zwar gut dabei, aber sehr lustig. Sie haben in einem durchgesungen. Ich finde die super.“
Die Tücken des Bahnverkehrs in Deutschland scheinen die Schotten auch gut zu kennen. Während zwischen Heumarkt und Neumarkt bei den Kölner Verkehrs-Betrieben am Donnerstagnachmittag eine Zeit lang gar nichts mehr ging, weil ein Zug liegengeblieben war, gab’s für die S-Bahn-Schotten keinen Grund gestresst zu sein. Man kann das Kölner Stadion eben auch via Müngersdorf Technologiepark oder Weiden-West bequem erreichen, muss halt nur ein paar Meter zu Fuß gehen.
Dieser vermaledeite Zug sei die einzige Panne bei der KVB gewesen, beteuert der Pressesprecher; ansonsten sei trotz der Menschenmassen alles reibungslos gelaufen.