Köln – Wer Nadine Taprogge (40) begegnet, der begegnet einem Menschen der Ausgeglichenheit ausstrahlt. Die innere Ruhe, die von ihr ausgeht, ist eine Ressource, die im Ehrenfelder Theo-Burauen-Haus, dem Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt (Awo) wie in allen anderen Kölner Pflegeheimen derzeit die wichtigste ist. „Es ist zentral, dass wir jetzt Sicherheit und Stabilität ausstrahlen – für unsere Bewohner“, sagt sie. Obwohl sie und ihre Kolleginnen jeden Tag mental und physisch an die Grenzen gehen müssen.
Für die Pflegeheime ist das Coronavirus eine nie dagewesene Herausforderung, manchmal tagt der Krisenstab zwei bis dreimal täglich, um die nächsten Schritte zu planen. Im Hintergrund werden Isolierstationen und Schleusen gebaut, damit Bewohner separiert werden können, wenn der erste Corona-Fall auftritt.
Mitarbeiter müssen Bewohner selbst versorgen
„Wir müssen immer einen Schritt weiter sein als die Tagesrealität“, schildert Einrichtungsleiterin Elisabeth Römisch, die auch Fachbereichsleiterin für Stationäre Pflege der Awo Köln ist. Es werde schon jetzt geplant, welche Kollegen freiwillig mit in die Isolationsstation gehen, wenn die ersten Corona-Fälle im Heim auftreten.
Wer jetzt Symptome entwickele, dürfe nicht ins Krankenhaus gebracht werden, sondern müsse hier bleibe, um die Kliniken zu entlasten. Erst bei hohem Fieber und bei Atemproblemen sei ein stationärer Aufenthalt möglich. In den Pflegeheimen wohnen die Menschen, die das höchste Risiko haben, schwer zu erkranken. „Ein Coronavirus in einer Einrichtung würde einen Flächenbrand auslösen“, befürchtet der Chef des Deutschen Pflegeverbandes Rolf Höfert. Und der Kölner Caritas-Chef Peter Krücker appellierte an alle Angehörigen, sich zwingend an die Besuchsvorgaben zu halten.
Besuch darf nur eine Stunde am Tag kommen
Schon jetzt sind die Pfleger mit dem Leid konfrontiert, das dieses Virus für die hilfsbedürftigen Hochbetagten bedeutet. Quasi ohne Unterbrechung rufen Angehörige an, für die die strenge Besuchsregelung – einmal am Tag für eine Stunde eine einzige Person auf dem Zimmer – eine emotionale Herausforderung ist. Gerade wenn es dem Angehörigen nicht gut geht, er schwerst pflegebedürftig, krank oder stark dement ist. Und keiner weiß, ob das das letzte Wort ist: In anderen Einrichtungen dürfen Angehörige nur noch zu Sterbenden vorgelassen werden. Auch wenn das Virus – Stand jetzt – noch nicht im Heim angekommen ist, so ist es überall spürbar: „Viele Bewohner, gerade solche mit Demenz, reagieren mit innerer Unruhe auf die Situation. Sie seien teilweise sehr durcheinander, weil sie spüren, dass sich Dinge verändern, dass ihre Angehörigen nicht mehr so kommen oder das Angebote wegfallen.“ Die erzwungene Langeweile macht die Ängste größer. Es gibt Menschen, die mit Fluchttendenzen reagieren, andere machen den Tag zur Nacht. Ziel ist, irgendwie noch so etwas wie Struktur für die Bewohner aufrechtzuerhalten.
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All das werde hier im Heim von den Mitarbeitern großartig aufgefangen, sagt Bewohnerin Uta Brueckner (77). Sie selbst tut als ehemalige Erzieherin auch, was sie kann. Sie versucht andere Bewohner zu beruhigen, ihnen ein Gefühl von Normalität zu vermitteln. „Es ist gut, dass ich mit dem, was ich gut kann, hier jetzt etwas Sinnvolles tun kann“, sagt sie. Sie wolle jetzt stark sein und auch für die anderen Bewohner. „Ich bete viel, aber ich muss auch zugeben: Ich esse sehr viel mehr Schokolade.“
Mitarbeiter sollen im Ruheraum abschalten können
Dass hier alle in den nächsten Wochen und womöglich Monaten täglich über sich hinaus wachsen müssen, ist ihnen klar und die Angst sitzt allen im Nacken. „Wir richten jetzt als kleine Oase einen Ruheraum für die Mitarbeiter ein, in denen sie zwischendurch mal für zehn Minuten durchatmen können“, berichtet Einrichtungsleiterin Römisch. Besonders die alleinerziehenden Mütter stünden angesichts der täglichen Zerreißprobe unter großem Stress. Für die Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern gibt es derzeit viel Anerkennung. Gibt es die auch für sie? Von den Bewohnern komme sehr viel Dankbarkeit zurück, sagt Taprogge. Sie setzt darauf, dass die Kölner auch für sie und ihre Kollegen abends applaudieren. „Meine Eltern und all die, die ermessen können, was wir hier täglich tun, sind stolz auf uns.“