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Willibert Pauels zu Woelki„Ich wünschte, er hätte die innere Freiheit zurückzutreten“

Lesezeit 8 Minuten
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Willibert Pauels

  1. Willibert Pauels ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter, ist Diakon i.R. und im Karneval als „ne bergische Jung“ unterwegs.
  2. Im Interview spricht er über sein neues Buch, die Kirche und den Karneval.

KölnHerr Pauels, Sie gehen an Krücken, was ist passiert? Nach einer Athroskopie vor einigen Wochen hat sich mein Knie stark entzündet, deshalb kann ich gerade kaum laufen. Im Moment ist das Bein fast steif. Aber sonst geht es mir sehr gut.

Sie haben ein Buch geschrieben. Zwölf Kurzgeschichten, dazwischen kleine Stücke über die Historie Ihrer Familie. Es geht um Trost. Hat das mit der Pandemie zu tun?

Nein. Die Pandemie verstärkt nur eine Wahrheit. In meiner Jugend hat man mich mit Sexualmoral gequält. Das war schon pathologisch. Leider hat unsere katholische Kirche solche Züge immer noch. Das fällt ihr jetzt auf die Füße, das nimmt ja keiner mehr Ernst. Ich hätte jetzt fast gesagt: Gott sei Dank! Kirche wird in der Jetzt-Zeit verbunden mit einer Moralpriorität. Herbert Grönemeyer singt: „Religionen sind zu schonen, sie sind für Moral gemacht.“ Ein schönes Lied, aber völlig falsch. Religionen sind nicht für Moral gemacht. Heute ist da nicht mehr die Sexual-, sondern die Sozialmoral. Ein gutes Anliegen, aber das sollen die Profis machen. Nicht ein Bischof, sondern Greta Thunberg, oder der BUND.

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Was sollte denn Priorität haben?

Die eigentliche Aufgabe von Religion, ihr innerstes Wesen, ist Trost. Auf die Fragen und Sehnsüchte der Menschen eine Antwort zu wagen, die Greta oder BUND nicht geben können. Was ist, wenn wir uns vergeblich bemühen? Was ist, wenn wir scheitern? Was ist die Welt, was unsere Existenz? Haben die Atheisten recht, dass das Leben nur Materie ist, ein kurzes, zufälliges Aufglühen in einem völlig gleichgültigen Universum?

Sie zitieren in Ihrem Buch Gregor Gysi, der bekennender Atheist ist, aber sagt, nichts sei schlimmer als eine gottlose Welt.

Genau. Weil er die Religionen als Sozial-Institution sieht. Aber seit der Aufklärung kümmern sich alle Menschen guten Willens um Sozialappelle, das ist kein Vorrecht der Kirche mehr. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Kirche aus Furcht, ihre Kernkompetenz anzugehen, aus Furcht, hinterherzulaufen, immer und immer wieder Sozialappelle in den Mittelpunkt stellt. Nur 20 Prozent bischöflicher Appelle beschäftigen sich mit dem Kern, dem Glauben an Gott. Dass alles Leben eben mehr ist als Biochemie. Wir nennen das traditionell Seele. Der Mensch sehnt sich unendlich danach, mehr als nur Materie zu sein. Liebe ist mehr als eine biochemische Reaktion im limbischen Gehirnlappen als Trick der Evolution zwecks Erhaltung der Art.

Das Leben als Atheist ist also sinnfrei?

Ja. Ein Weiterleben der Seele ist nicht plausibel? Mein Lieblingssatz von Eugen Drewermann lautet: „Der plausibelste Grund zu glauben, dass es Wasser wirklich gibt, ist der Durst.“ Diesen inneren Durst haben Menschen, seit es Menschen gibt. Den Trost, dass es eine Seele gibt. Darüber habe ich das Buch geschrieben.

Der Durst ist in der Pandemie schwer zu stillen. Man kann sich nicht in den Arm nehmen, selbst wenn Menschen sterben. Man kann nicht feiern, auch keinen Karneval.

Die Corona-Zeit ist ja nur auszuhalten, weil man immer wieder sagt: Es wird vorbeigehen! Nähe ist ja nur die kleine Tochter der Liebe. Aber die Sehnsucht danach bestätigt, dass es Sie gibt. Liebe ist das Wesen aller Religionen, wenn sie nicht politisch, verbrecherisch missbraucht werden. Immer, wenn Religion in die Angst führt, moralisiert, ist das ein Verbrechen.

Zumal die Kirche gerade bei diesen Moralgeschichten permanent über sich selber stolpert.

Weil sie sich über Jahrhunderte als der Leuchtturm der Moral verkauft hat, ist das Zusammenbrechen des Leuchtturms besonders skandalös.

Wenn man Sie googelt, also nach Bildern sucht, kommt als erstes ein Foto von Kardinal Woelki.

(lacht laut) So kann der Schuß nach hinten losgehen. Der Kardinal. Ich bete jeden Tag für meinen jungen Bischof. Ich bete: „Lass die österliche Freiheit in ihm explodieren.“ Ich wünschte, er hätte die innere Freiheit, zurückzutreten. Nicht als Schuldeingeständnis – das werden die Untersuchungen klären (hier lesen Sie mehr). Sondern damit jeder erkennt, dass er nicht an dem Posten Kardinal hängt. Wenn er meint, er muss das treu durchhalten, ist das eine Loose-Loose-Situation. Mit der österlichen Perspektive könnte er sie wenden in eine Win-Win-Situation. Ich bin überzeugt davon, dass ihm selber das unglaublich gut tun würde. Er könnte sich befreien von dieser unglaublichen Last, die Tag für Tag schwerer wird. Das hält doch keine Sau aus. Es sollte zurücktreten als Zeichen eines Neu-Anfangs. Er könnte einen Job als Priester überall in der Kirche finden. Befreit. Als Christ. Diese innere Freiheit würde ich ihm wünschen.

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Haben sie diese innere Freiheit gefunden?

Ich habe mich ja voll belasten lassen bis 2013, als ich wegen meiner Depressionen in die Klinik ging. Weil ich dachte: Du musst treu sein! Du musst das aushalten mit den 200, 300 Auftritten. Quatsch, hat mein Arzt gesagt, nicht aushalten, sondern sich selber frei machen. Über den Dingen stehen. Die haben mich dann in einer Klinik aufgepeppelt. Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

Sie haben sich die Freiheit genommen, die Sie dem Kardinal wünschen?

Genau. Und der würde sich wundern, wie gut im das tut. Nehmen Sie Margot Käsmann: Die hatte ihren Super-GAU, wurde besoffen beim Autofahren erwischt. Sie hat nicht an ihrem Posten geklebt. „Man kann nicht tiefer Fallen als in die Hand Gottes“, hat sie sich gesagt und ist zurück getreten. Und ist heute eine der meistgeschätzten Persönlichkeiten der christlichen Community in Deutschland.

Wie geht es Ihnen heute?

Wunderbar. Außer vielleicht in der Kindheit war ich nie glücklicher. Seit ich raus bin aus der Hardcore-Mühle, dem Karneval und all den anderen Lasten, die ich mir auferlegt habe. Romano Gardini sagt: „Wir sind nur aus einem Grund auf der Welt: Dass einer dem anderen so viel Freude bereitet, wie es möglich ist.“

Das war ja immer ihr Ansinnen auf der Bühne.

Ansinnen ja, aber ich wurde nicht froh dabei. Der Jürgen Becker hat mich damals in der Klinik besucht und gesagt (intoniert Becker): „Willibert, du kannst nur anderen Freude bereiten, wenn du selber froh bist.“ Mein Rekord waren 312 Auftritte in einer Session. Wahnsinn.

Vom Diakon-Job waren sie aber freigestellt?

Ja, während der Session schon. Der Kardinal Meisner war ja ein heimlicher Fan von mir. Das hat mir sein Leibarzt – würde man bei Zaren sagen, und Meisner war ja von seinem Selbstverständnis ein kirchlicher Zar - später mal gestanden. Der Putin des Bistums hatte ein ultra-konservatives Kirchenbild. Über ihm gab es nur noch zwei – den Papst und Gott.

Jetzt schreiben Sie Kurzgeschichten.

Ja, das Narrative liegt mir, das war schon beim Predigen so. Mit Geschichten kann ich mein Anliegen besser verkaufen. Ich bin überzeugt, das Armin Laschet neulich beim CDU-Parteitag gegen Wirtschafts-Moralprediger Merz nur gewonnen hat, weil er die Geschichte von seinem Vater, dem Bergarbeiter, erzählt hat. Das hat die Leute berührt. Sie wollen Geschichten hören. Das war schon bei Jesus so.

Was machen Sie zur Zeit?

Ich bin seit 1. September Rentner. Diakon i.R., das iR steht für „in Rufbereitschaft“. Ich bin Subsidiar, beerdige, taufe, predige. Immer samstags nehme ich ein Wort zum Sonntag auf Video auf. Ins Gemeindeleben bin ich bis zum letzten Atemzug eingebunden. Aber stressfrei.

Und die Bühne fehlt nicht?

Ich hätte so etwa dreißig Auftritte gehabt, Pfarrsitzungen, Flüstersitzungen, aber die sind alle abgesagt. Eine Rede ist fertig, die ergibt sich – jede Zeit hat ihre Themen. Da unterscheidet sich die Bütt kaum von der Kanzel. Und der Humor ist die angenehmste Form des Trostes. Wie sagt der Kollege Becker: „Kabarett ist schön und gut, aber man muss auch mal einen Witz erzählen.“

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Wie sehen Sie den Karneval heute?

Karneval ist was Feines. Ich liebe die Musik, Fööss, Brings, die sind fantastisch. Ansonsten bevorzuge ich den selbstgemachten Karneval. Die Sitzung des Müttercafes in Engelskirchen etwa ist besser, weil authentischer, als jede professionelle Sitzung in Köln. Der Karneval hat durch Corona die Chance, wieder leisere Töne zu finden. Dass es ein Dreigestirn gibt, finde ich richtig. Die Queen dankt ja auch nicht ab, weil es ein Virus gibt.

Kommt die Gesellschaft verändert aus der Pandemie?

Eher nein. Jetzt werde ich moralisch. Aber Moral hat nur dann einen Sinn, wenn sie die Liebe spiegelt. Noch ist Deutschland eine der reichsten Nationen der Erde. Deswegen haben wir die Pflicht, all denen zu helfen, die am Rande des Ruins stehen. Mit der Bazooka, da dürfen wir nicht kleckern, da müssen wir klotzen. Die Leute dürfen nicht im Riss gelassen werden. Deswegen unterstütze ich auch die Aktion des Festkomitees für Betroffene aus dem Karneval.

Was fehlt ihnen persönlich in der Pandemie am meisten?

Menschen. Und irgendwann würde ich gerne wieder eine Reise machen.