Der Kreis Euskirchen hat einen Wiederaufbau-Botschafter. Franz Schockert aus Gemünd soll die Menschen ermutigen, Wiederaufbauanträge zu stellen.
Wiederaufbau-BotschafterSo will der Kreis Euskirchen Flutopfer erreichen
23.08 Uhr – die Uhrzeit wird Franz Schockert nie vergessen. „Das war der Moment, als in Gemünd der Strom weg war, buchstäblich die Lichter ausgegangen sind“, erinnert sich der 72-Jährige. Der Moment, die Ereignisse vom 14. Juli 2021, haben sich eingebrannt. In die Seele, ins Herz, ins Gedächtnis.
Und noch eine Zahl ist ihm in Erinnerung geblieben. 1,84 Meter – so hoch stand in seinem Geschäft an der Dreiborner Straße und in seiner Wohnung, die direkt an den Juwelierladen grenzt, das Wasser. Vor wenigen Tagen hat er nach eigenem Bekunden mal mehr als sechs Stunden geschlafen. Verarbeitet ist die Flutkatastrophe nicht.
Franz Schockert ist ein Glücksfall für den Kreis und für alle Flutbetroffene
Trotz professioneller Hilfe, die er und seine Frau sich geholt haben – fünf Wochen waren sie sogar in Therapie. Und obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – er die Flut nicht vergessen kann, will er helfen.
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Schockert ist Eifeler, Schockert ist Gemünder. Die Menschen kennen ihn, er kennt die Menschen. Und deshalb hat der Kreis ihn als Botschafter gewinnen können. „Wir haben ihn zum Wiederaufbauhilfe-Botschafter gemacht“, sagt Achim Blindert, Allgemeiner Vertreter des Landrats und Wiederaufbaukoordinator beim Kreis.
Es ist der erste Botschafter in einer der betroffenen Flutkommunen. Geht es nach Blindert, folgen in Bad Münstereifel, Euskirchen, Kall oder Weilerswist weitere. Für den Kreis – und damit für die Menschen – sei Schockert ein Glücksfall, sagt Blindert.
Kreis Euskirchen: Viele Menschen haben noch keinen Wiederaufbauantrag gestellt
Und dieser „Glücksfall“ will helfen. „Viele haben hier seit der Flut nicht mehr gelächelt“, sagt Schockert. Doch ein Lächeln ins Gesicht zaubern ist nicht die Hauptaufgabe des 72-Jährigen. Er soll vielmehr am Puls sein, ein offenes Ohr haben und die Menschen ermuntern, einen Wiederaufbauantrag zu stellen – wenn sie das bisher noch nicht getan haben.
„Davon gibt es einige. Die Gründe sind unterschiedlich“, sagt Schockert: „Ich will den Leuten die Angst nehmen, einen Antrag zu stellen. Es ist nichts Schlimmes dabei, Geld vom Staat zu nehmen, wenn man alles verloren hat.“ Es wisse aus eigener Erfahrung nur zu gut, dass die Flut ganze Existenzen zerstört hat. Und selbst, wenn das Wasser „nur“ im Keller gestanden habe und nicht 1,84 Meter durchs Wohnzimmer geflossen sei, könne man die Hilfe annehmen, so der Wiederaufbau-Botschafter.
Wiederaufbauberater in Gemünd: „Ich plane meist zwei Stunden ein, weil die Menschen reden wollen.“
Bis Anfang Juni 2023 hat es nach Angaben des Kreises mehr als 7640 Beratungen rund um den Wiederaufbau von Privatbetroffenen gegeben – nicht eingerechnet sind dabei die Beratungen im Flutmobil zu Beginn der Wiederaufbauanträge.
In Gemünd kümmert sich Karl-Georg Hardy um die Menschen, die Hilfe bei der Antragsstellung benötigen. „Ich plane meistens für ein Gespräch zwei Stunden ein. Die Leute wollen reden“, sagt er. Einen Tag in der Woche sitzt Hardy im Hilfszentrum Schleidener Tal in Gemünd und unterstützt bei den Wiederaufbauanträgen. Auch in Euskirchen, Bad Münstereifel und Weilerswist berät der Kreis Euskirchen noch in Sachen Wiederaufbauanträge.
„Die Mitarbeiter sind zu 90 Prozent ausgelastet“, sagt Heike Schneider, Leiterin der Stabsstelle Wiederaufbau beim Kreis. Das zeige, dass der Bedarf noch vorhanden und in den vergangenen Wochen sogar wieder gestiegen sei.
Dass die Fristen für die Wiederaufbauanträge bis zum 30. Juni 2026 verlängert worden sind, freut Blindert. Er fügt aber an: „Wir haben leider immer noch keine Förderrichtlinien. Das finde ich unglücklich, weil es noch viele Menschen gibt, die keinen Antrag gestellt haben. Deshalb müssen wir uns auf die politischen Aussagen verlassen.“
Ältere Flutopfer mit nicht zeitgemäßen Preisvorstellungen
Mit welchen Fragen und Sorgen kommen die Menschen zu Hardy? „Das ist ganz unterschiedlich“, sagt er. Gerade seien es vor allem ältere Menschen, die ihm gegenübersitzen. Teilweise mit nicht mehr zeitgemäßen Vorstellungen von Handwerker- und Materialkosten.
„Einige sitzen hier und sagen, dass eine neue Heizung ja sicherlich nicht mehr als 4000 Euro kostet. Und eine komplette Elektroinstallation bekomme man ja für 1000 Euro“, berichtet der Wiederaufbauantragsexperte. Diese Illusion müsse er ihnen schnell nehmen. Bei der Frage nach einer neuen Heizung komme die Verunsicherung hinzu, die das geplante neue Gesetz mit sich bringe.
Und was fällt auf? „Fotos wecken Erinnerungen“, antwortet Hardy: „Das drückt sofort die Stimmung. Am besten nimmt man die Bilder, scannt sie ein und lässt sie wieder in der Tasche verschwinden“, so der Eifeler. Mittlerweile machen laut Hardy auch viele Flutbetroffene einen Termin bei ihm, obwohl sie versichert gewesen seien. „Das liegt einfach daran, dass die Versicherungen nicht alles übernehmen. Beispielsweise, weil Schäden im Garten nicht bezahlt werden“, erklärt Hardy.
Es sei möglich, diese Summe über die Wiederaufbauhilfe zu erhalten. Er weist darauf hin, dass vor allem Rechnungen und Fotos mitzubringen sind. Auch ein Gutachten sei immer ratsam, zumal die Kosten für ein Gutachten zu 100 Prozent von der Wiederaufbauhilfe übernommen werden. „Die Wartezeiten für einen Gutachter haben sich deutlich reduziert“, versichert Hardy.
Starkregenkarten für den Kreis Euskirchen sind bald fertig
Es sei ein großer Vorteil, dass er als Wiederaufbauberater im Hilfszentrum an der Kölner Straße sitze, wo auch andere Organisationen ihre Büros haben. „Da lässt sich leichter schon mal etwas auf dem kleinen Dienstweg klären oder ein anderes Unterstützungsangebot realisieren“, so Hardy. Dem kann Stabsstellenleiterin Heike Schneider nur beipflichten: „Wir sind auch in Euskirchen mittlerweile mit dem ASB in einem Gebäude. Auch dort stellen wir die Synergieeffekte fest.“
Wichtig sei, dass die Wiederaufbauberater nicht nur für die Betroffenen in der jeweiligen Kommune zuständig seien. „In Weilerswist kommen beispielsweise Menschen aus dem Rhein-Erft-Kreis zu uns. Und im Kreis Euskirchen haben wir gar keine Grenzen – allein schon, weil wir in Euskirchen tägliche Beratungen anbieten“, sagt Schneider: „Wir haben auch festgestellt, dass die Betroffenen an ihrem Wiederaufbauberater hängen, ein echtes Vertrauensverhältnis aufgebaut haben.“
Nach Angaben von Achim Blindert werden wohl zum zweiten Jahrestag der Hochwasserkatastrophe die Starkregenkarten fertig. Knapp eineinhalb Jahre hat Sarah Nolting daran gearbeitet. „Wir wollen mit den Karten die Basis schaffen, um zu sehen, welche Bereiche wirklich gefährdet sind“, so Nolting. Mithilfe der nun zu erstellenden Grundlage sollen künftige Schutzmaßnahmen umgesetzt werden. Jeder Starkregen, jedes Hochwasser sei anders.
Hochwasser-Mobil in Dahlem, Nettersheim und Blankenheim
Das Hochwasser Kompetenz Centrum (HKC) kommt wieder in den Kreis und berät rund um das Thema Hochwasserschutz. Es gibt Expertentipps, aber auch konkrete Expertisen, was präventiv getan werden kann, um das eigene Haus zu schützen.
Am Mittwoch, 14. Juni, steht das Beratungsmobil von 11 bis 15 Uhr auf dem Marktplatz in Dahlem. Bei Regen findet die Beratung im Vereinshaus statt. Am Samstag, 17. Juni, ist das Info-Mobil am Bahnhof in Nettersheim, Zutendaalplatz.
Am Mittwoch, 21. Juni, sind die Vereinsmitglieder schließlich in Blankenheim am Parkplatz „Am Schwanenweiher“ zu finden. Bei Regen wird ins Foyer des Rathauses ausgewichen. Auch diese beiden Termine finden jeweils von 11 bis 15 Uhr statt. (tom)