Der lettische Dirigent gastierte beim WDR Sinfonieorchester. Unsere Kritik.
Andris Poga in der Kölner PhilharmonieAls Schostakowitsch Stalin keinen Triumph gönnen wollte
Andris Poga ist beim WDR Sinfonieorchester regelmäßig zu Gast. Der lettische Dirigent ist nicht unbedingt ein Mann der klanglichen Raffinesse, des ziselierten Details. Aber wenn es darum geht, weite sinfonische Konstruktionen abzurollen, großflächige Sinneinheiten zu formen, dann ist auf den 1980 in Riga geborenen Musiker jederzeit Verlass. Als Autorität in Sachen Schostakowitsch hatte er sich bereits vor zwei Jahren mit der 15. Sinfonie erwiesen, nun stand in der gut besuchten Philharmonie die 1943 vollendete Nummer 8 auf dem Programm.
Nach dem triumphalen Erfolg seiner siebten Sinfonie („Leningrader“) hatte sich der Komponist mit diesem dunkel-abgründigen Werk gehörig in die Nesseln gesetzt: Die sowjetischen Kulturfunktionäre erwarteten nach dem Sieg von Stalingrad eine Hymne auf die Leistungen der vaterländischen Armee. Stattdessen bekamen sie ein langes, schwer überschaubares, über weite Strecken quälend gedehntes Werk, das eher von Reflexion als von Tatkraft bestimmt wird und sich an keiner Stelle zu affirmativen Festklängen durchringen kann.
Das WDR Sinfonieorchester zeigte sich glänzend disponiert
Die eher episodisch geknüpfte Großstruktur bot dem WDR Sinfonieorchester die Gelegenheit, sich in allen Gruppen glänzend disponiert zu zeigen: Wenn die Geigen minimal vibrierend in lichten Pianissimo-Höhen schwebten, dann lag eine atemlose Spannung im Saal; beim riesigen Englischhorn-Solo im Kopfsatz hing man gebannt an den Lippen des exzellenten Spielers. Der Maestro ließ auch erkennen, dass da noch viel Tschaikowsky-Erbe in der Musik ist; breite Cello-Kantilenen fluteten durch den Raum, das schwere Blech leuchtete intensiv aus der Mitte, selbst der große Ausbruch im Finale blieb ohne schmerzhafte Verhärtung.
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Im vorangegangenen Klavierkonzert fis-Moll von Alexander Skrjabin konnte das Orchester nicht vergleichbar punkten: Das Frühwerk des großen russischen Musik-Mystikers ist ähnlich pastos und pauschal instrumentiert wie die Chopin-Konzerte, die ihm als Vorbild dienten. Das Orchester saß dem Solisten Bertrand Chamayou denn streckenweise auch massiv im Nacken; der Franzose ließ sich davon aber nicht beirren, spielte mit einer trennscharfen, klassizistischen Durchsichtigkeit, wie man sie bei dieser romantisch schwärmenden Musik nicht unbedingt erwartet.
So interessant die stilistische Mesalliance auch war - man hatte doch den Eindruck, dass sich Chamayou bei der Ravel-Zugabe („Pavane pour une infante défunte“) künstlerisch eher zu Hause fühlte. Das licht und unsentimental gespielte Stück mochte eine Reverenz an die früh verstorbene Lili Boulanger sein, deren „Frühlingsmorgen“ den Abend eröffnet hatte - ein kurzes Stimmungsbild, dessen delikate Farben und moussierende Textur bestens zur Geltung kamen.