- In der Bonner Bundeskunsthalle ist jetzt zu sehen, was der deutsche Staat die letzten Jahre sammeln ließ
An zeitgenössischer Kunst können sich Politiker eigentlich nur die Finger verbrennen. Unter Experten stehen sie mit unbedachten Äußerungen oder gar Ankäufen rasch als Kunstbanause da und unter Laien machen sie sich grundsätzlich der Verschwendung von Steuergeld verdächtig. Als sich Willy Brandt 1971 von Georg Meistermann dazu überreden ließ, eine staatliche Sammlung zeitgenössischer Kunst anzulegen, überließ er die Auswahl bewusst dem Künstlerbund; heute schickt der deutsche Staat jeweils fünf gestandene Museumsdirektoren für fünf Jahre auf verschiedene Messen, um alles in allem zwei Millionen Euro in junge Kunst zu stecken. Mittlerweile umfasst die Sammlung mehr als 1600 Werke, die vor allem einen Schluss zulassen: Soll sich die Investition rechnen, darf man sich für nichts zu schade sein.
In den letzten fünf Jahren gehörte Stephan Berg, Direktor des Bonner Kunstmuseums, zu den staatlich bestellten Spürnasen; die Ausstellung in der benachbarten Bundeskunsthalle ist für ihn so etwas wie ein Rechenschaftsbericht. 150 Werke von 80 Künstlern sind in "Deutschland ist keine Insel" zu sehen, insgesamt haben Berg und seine Kollegen (darunter Susanne Gaensheimer von der Kunstsammlung NRW) 170 Arbeiten angekauft, ohne Konzept und Vorgaben, wie Berg betont, außer dass die Werke von Künstler stammen sollten, die in Deutschland arbeiten und leben; deutsche Ausweispapiere waren hingegen ausdrücklich nicht vonnöten.
Im Laufe der Arbeit haben sich dann laut Berg einige Fluchtpunkte ergeben: Internet-Kunst, gesellschaftliche Relevanz - und das sporadische Füllen von Sammlungslücken. Um Werke von Sigmar Polke oder Anselm Kiefer anzuschaffen, ist es freilich zu spät. Da hatten einige Vorgänger offenbar Skrupel, die den Kuratoren heute zu Recht peinlich sind.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Qualität des aktuellen Fünfjahresertrags frühestens in einigen Jahrzehnten ermessen lässt. Aber immerhin wird deutlich, dass die Auswahl in den künstlerischen und gesellschaftspolitischen Zeitgeist passt. Zwei Ozeanbilder der Biennale-Gewinnerin Anne Imhof wurden bereits 2015 angekauft, als ihre wogenden Kratzer auf blauem und rotem Lack noch Geheimtipps waren; die aktuelle Wolfgang-Hahn-Preisträgerin Haegue Yang ist mit Collagen aus gemusterten Briefumschlägen vertreten und der internationale Shooting Star Hito Steyerl mit einem Video, auf dem sie einen Flachbildschirm mit einem Schlag zum Zerspringen und so die technische Grundlage unserer Medienwahrnehmung zum Vorschein bringt.
Beinahe von selbst stellen sich die aktuellen Bezüge zum Zeitgeschehen ein. Am Eingang der Ausstellung wird der Besucher vom Klang der fremdelnden deutschen Nationalhymne begrüßt, einem Kanon afrikanischer Dialekte, den Emeka Okboh mit in Berlin lebenden Migranten aufgenommen hat.
Erik van Lieshout skizzierte die deutsche Willkommenskultur unter anderem mit dem Porträt einer vollmundigen Angela Merkel und für ihre krakeligen Metallskulpturen nahm Flaka Haliti an Selbstporträts von Schülerinnen aus der Elfenbeinküste Maß. So fügt sich eins zum anderen, bis selbst Jörg Herolds giftige Autobahn-Nostalgie nicht mehr darüber hinwegtäuschen kann, dass Deutschland in der Kunst ein Einwanderungsland ist - und schon immer war.
Auch ohne staatliche Anordnung zeigt die Bonner Ausstellung ein buntes Deutschland: mit rotem Ozean, einem Schuss Ostalgie, einem "Affentanz" aus Lederjacken, prall gefüllten Ikea-Taschen - und das alles im Schatten einer verchromten Palme.
Zur Ausstellung
"Deutschland ist keine Insel - Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland, Ankäufe von 2012 bis 2016", Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4, Bonn, Di.-Mi. 10-21 Uhr, Do.-So. 10-19 Uhr, bis 27. Mai.
Der Katalog zur Ausstellung kostet 29 Euro.