KommentarVier gute Gründe, Jan Böhmermann nicht zu mögen
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Niemand scheint derzeit mehr Bock auf Stress zu haben und ist selbst in Abwesenheit lauter, bunter und vor allem schlauer als Jan Böhmermann. Damit setzt der Show-Mann und zuletzt gelobte Schmähsatiriker sich deutlich ab von den anderen, grauen öffentlich-rechtlichen Medien-Menschen in Deutschland. So weit, so klar.
International groß
Bereits mit seinem Clip "Be Deutsch“ war Böhmermann in aller Munde. Wenig später folgte der Angriff auf Erdogan und die Kiste ging hoch — aber so was von. International wurde über Böhmermann berichtet, es ging um Meinungs- und Kunstfreiheit, das ganz große Spiel, Deutschland gegen Türkei, die Guten gegen einen Autokraten. Böhmermann hatte ein Stück inszeniert, ein "Schmähgedicht“ vorgetragen, dessen Folge Auseinandersetzungen waren, die er nur gewinnen konnte.
Entweder es wird deutlich, wie gut das System funktioniert, das heißt der Rechtsstaat in Merkel-Deutschland oder eben nicht. Entlarvend. Genial! Die Inhaltsebene des "Gedichts“ war nicht wichtig, die Metaebene zählte, also der Umgang mit der Sache. Wer das nicht versteht, hat keine Ahnung von Presse- und Redefreiheit! Das ungefähr war der Ton, den die meisten deutschen Kommentatoren, Facebook- und Twitter-User anschlugen. Dabei gibt es auch viele Gründe, Böhmermann nicht zu mögen.
Böhmermanns Clips sind gut umgesetzt, das Gegenteil dessen wird niemand behaupten. Der Mann gibt sich Mühe, keine Wackelbilder, keine Amateure — in Zeiten von Snapchat und Periscope ist das hervorzuheben. Zudem: Es gibt ein Ziel, nämlich die Dynamiken und dunklen Untiefen des aufgeregten Medienbetriebs offenzulegen. Das gelingt Böhmermann. Schon "Varoufake“, die Posse um den damaligen griechischen Finanzminister Varoufakis, hat das gezeigt. Am Ende wusste niemand mehr, was eigentlich passiert war, und es war auch nicht mehr wichtig. Die Metaebene, klar.
Allerdings schlägt Böhmermann immer wieder in dieselbe Bresche: "We are Germans“. Das, was bei "Varoufake“ oder dem Laugengebäck-Song ein Nebenschauplatz war, wurde bei "Be Deutsch“ zum Leitmotiv. Da war keine Ironie oder kritische Selbstbespiegelung mehr, selbstgefälliger geht es kaum. Das Fremdschämen fiel nicht schwer, das Mitschämen wäre für viele angemessener gewesen, und zwar für diejenigen, die in sozialen Netzwerken den Clip mit dem Zusatz "Geil“ oder "Richtig so!“ geteilt haben.
Es ist ein Nationalgefühl durch die Hintertür, das Böhmermann bedient, ob nun gewollt oder nicht. Trotzdem gilt: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.“ Böhmermann macht jene Denke für die aufgeklärten Kartoffeldeutschen salonfähig. Was dem AfD-Wähler ein Dieter Nuhr ist, ist ihnen Jan Böhmermann. Das wenigstens ist ironisch.
Böhmermann ist ein Mainstream-Provinzler
Gebildet, hyperaktiv, karrierebewusst — und provinziell. Auch das ist Böhmermann. Der Moderator ist ein Streber, er hat den Charme des ewigen Abiturienten: Er weiß immer alles besser, er ist ein Rechthaber, der meistens tatsächlich recht hat. Das nervt gewaltig.
Böhmermann hat aus einer spießigen deutschen Wohlstandsposition heraus recht. Gegen die Message von "Be Deutsch“ ist nichts einzuwenden. Soll doch jeder nach seiner Fasson selig werden! Am Ende jedoch ist es das kleine, blonde Mädchen, das klug Kant zitiert. Die "Beutedeutschen“, die Migranten, sind weiterhin nur im Hintergrund. Böhmermann ist jenes Mädchen. Er freut sich über die „neuen“ Deutschen, gehört aber nicht zu ihnen.
Es sind Provinzler-Akademiker aus Bielefeld, Koblenz oder Wanne-Eickel, für die Böhmermann steht und die gerne Laugencroissants essen. "Be Deutsch“, aber auch das Schmähgedicht zeigen, wie weit weg Böhmermann von der Lebensrealität eines Deutsch-Türken oder eines Expats in Berlin-Mitte ist. Diejenigen sind es nämlich nicht, die seine Clips teilen.
Böhmermann ist ein Bilderbuch-Spießer
Böhmermann ist der Satirikerder "Neon"- und "Nido"-Leser. Die teilen "Be Deutsch". Böhmermann ist ein Spießer ohne Brüche, wie es ihn kaum noch gibt. Dass er darauf festgenagelt werden könnte, dem beugt er vor. Er weiß darum und tritt deswegen regelmäßig die Flucht nach vorn an, bezeichnet sich als Spießer, geht spielerisch damit um: Er spricht über die Kita seiner Wahl, seine Erfahrungen beim Windelwechseln, er raucht nicht und trinkt nicht. Ein selbstoptimierender Spießer also. All das passt zu den Vorurteilen, die über diese Generation existieren, zu den "Millenials".
Ja, diese Generation ist spießig, sie ist angepasst. Gegen ein System zu sein, hat man den Idioten von der AfD überlassen, denjenigen, die auf Montagsmärsche gehen, den Sachsen und anderen. Böhmermann ist ein Teil des Systems und das gefällt, er bekommt Preise, Journalisten mögen ihn und seine Fans sind beinahe so leidenschaftlich wie St.-Pauli-Ultras. Wie könnte so jemand ein Rebell sein, gar ein Aufrührer? Nein, Böhmermann ist ein Komiker, mehr nicht - wenn auch ein sehr schlauer.
Selbstüberschätzung und Gejammer
In Sachen Schmähgedicht und Erdogan bleibt die Frage, inwieweit Böhmermann die Folgen seines Handelns abgeschätzt hat und bereit war, diese in Kauf zu nehmen. Angela Merkel habe ihn geopfert? So kritikwürdig die Position der Bundesregierung gegenüber der Türkei auch sein mag und so sehr es auch gerechtfertigt sein mag, Erdogan zu beleidigen (wen sonst?), Böhmermann greift zu hoch und schätzt seine Bedeutung falsch ein. Natürlich setzt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise eher auf das Wohlwollen eines Autokraten, als darauf, einen deutschen Satiriker zufrieden zu stellen. Das mag nicht jedem gefallen, aber das ist nun mal Realpolitik. Wen wundert's?
Fazit: Böhmermann müsste sich freuen
Die Bundesregierung hat das Ganze an die Judikative deligiert. Böhmermann müsste sich freuen, das System funktioniert. Dass Mitglieder der Bundesregierung juristische Einschätzungen abgeben, ist übrigens okay, wenn man Böhmermanns Schmähgedicht als Debattenbeitrag versteht. In einem deutschen Gefängnis wird er nicht landen, Böhmermann hat viele Akteure vorgeführt, ist bekannter und einflussreicher denn je. Trotzdem mimt er die beleidigte Leberwurst, das Opfer. „Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe“, sagte er und lehnte den Grimme-Preis ab. Geht es nicht etwas kleiner? An was hat er denn gegalubt? Daran, dass alles Handeln ohne Folgen bleibt?
Jeder bekommt den Satiriker, den er verdient
Und da ist er wieder, der deutsche Provinzler, die Mittelklasse. So wie viele Deutsche nicht fassen können, dass die Probleme der Welt auf einmal zu ihnen kommen in Gestalt von Flüchtlingen, die sie aus ihrer Wohlfühlzone reißen, so zeigt sich Böhmermann empört über etwas, das abzusehen war - zumindest wenn er nicht gerade seinen Lebtag in der Gemeinde Vegesack im eigenen Saft geschmort hätte. Jeder bekommt eben den Satiriker, den er verdient. Und die Deutschen kriegen mit Jan Böhmermann einen sehr guten, aber eben keinen Rebellen und keinen besonders selbstkritischen und widerständigen.
"Böhmermann und das Schmähgedicht“ sind zu einer Kulturfrage geworden, an dessen Antwort sich bemessen lässt, wer wie zu Kunst, Witz und freier Rede steht. "Pro-Böhmermann", das sind die offenen, irgendwie gebildeten, internetaffinen Mittzwanziger bis Mittdreißiger. Oft sind das dieselben Leute, die finden, antisemitische Karikaturen des israelischen Premierministers Netanjahu in großen deutschen Zeitungen seien schon okay.
Ist ja Kunst, darf ja alles, ist ja Deutschland hier. Erdogan ist laut Böhmermann ein "Ziegenficker“, und wie ist es zu bewerten, wenn ein AfD-Mitglied US-Präsident Obama einen "Quotenneger“ nennt? Geschmacklos, zweifelsohne. Aber der Absender ist wichtig, werden hier einige sagen. Böhmermann ist wichtig — und er ist überall. Das kann gewaltig nerven. Wir sind Exportweltmeister, wir sind Papst, wir sind Böhmermann.