Die Auseinandersetzung zwischen der „Bild” und dem Virologen Christian Drosten hat Letzterer gewonnen. Die Boulevardzeitung wurde für ihre Arbeitsweise mit Kritik überhäuft.
Woran man allerdings auch erinnern muss: Wer wie Drosten bewusst die Arena des öffentlichen Auftritts sucht, muss auch mit Gegenwind rechnen – und sogar dem aggressiven Versuch, ihm Fehler zu unterstellen. Denn das gehört zur pluralen Gesellschaft dazu.
Ein Kommentar.
Böse Zungen behaupten, es sei verletzter Eitelkeit geschuldet, dass ein Fernsehkoch wie der Kultveganer Attila Hildmann gerade durch wilde Verschwörungstheorien auf sich aufmerksam macht. Hildmann sei einfach neidisch auf die Virologen, die ihm den Rang abgelaufen hätten! Ob das stimmt? Richtig ist jedenfalls, dass viele Fachleute für Epidemiologie seit Beginn der Corona-Krise eine ungeahnte Revision ihres Berufsalltags erleben: Raus aus der Abgeschiedenheit der Labore und mitten hinein ins Scheinwerferlicht von Talkshows und Nachrichtensendungen. Virologen sind die neuen Autoritäten, und wie das mit Autoritäten in demokratischen Gesellschaften so ist, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem sie angezweifelt werden.
Für Christian Drosten, Chef der Virologie der Berliner Charité, war dieser Punkt spätestens dann erreicht, als ihn eine Aufforderung der „Bild“-Zeitung erreichte, binnen einer Stunde Stellung zu einem Forschungsergebnis zu beziehen. Das kann man als Ultimatum empfinden, und Drosten lehnte es ab, im Rahmen dieser Frist eine Studie über das Infektionsgeschehen im Hinblick auf Kinder zu erläutern. Stattdessen stellte er das Ansinnen der „Bild“-Redaktion online und ließ damit die Sozialen Medien von der Leine. Seitdem herrscht Krieg.
Allerdings ein Krieg, der für „Bild“ sehr schnell einen schlechten Verlauf nahm, nicht nur, weil die Umstände der Veröffentlichung wie der auf Drosten ausgeübte Zeitdruck ein bezeichnendes Licht auf die Arbeitsweise der Redaktion warf. Vor allem distanzierte sich ein Kronzeuge nach dem anderen von der Behauptung, Drostens Studie über die Ansteckungsgefahr durch Kinder sei „grob falsch“. Die Erregungskulisse, die das Boulevardblatt rund um die Reizfigur Christian Drosten aufgebaut hatte, fiel äußerst rasch in sich zusammen.
Woran man allerdings auch erinnern muss, auch wenn es angesichts der Zerstörungsmacht, die „Bild“ ausüben will, schwerfällt: Wer wie Christian Drosten bewusst die Arena des öffentlichen Auftritts sucht, wer selbst dazu neigt, seine Botschaft mit den Mitteln medialer Breitenwirkung unter die Leute zu bringen – in bester Absicht, um zum Beispiel mit einem Podcast über die Mechanismen der Pandemie aufzuklären und ihr entgegen zu wirken –, wer sich also nicht scheut, seine Meinung weithin vernehmbar zu artikulieren, der muss mit Gegenstimmen, Neid, Widerspruch und sogar dem Versuch rechnen, dass man ihm aggressiv Fehler unterstellt. Auch das gehört zur Wirklichkeit unserer offenen, pluralen Gesellschaft.
Im Zuge der Corona-Krise haben sich Experten wie Drosten – und viele andere wie Melanie Brinkmann oder Alexander Kekulé – aus der Schutzzone ihrer gewohnten Forschungsumgebung herausgewagt. Zum Glück, denn ohne sie hätte die deutsche Politik nicht so schnell und effektiv gehandelt wie es geschehen ist. Forscher haben einen Rollenwechsel erlebt, sie haben das Mahnen und Warnen gelernt, und während man einem Politiker wie Karl Lauterbach noch unterstellen kann, dass bei ihm auch Parteikalkül im Spiel ist, so darf man den Virologen glauben, dass ihre Motivation vor allem in gesellschaftlicher Verantwortung begründet liegt. Aber ein Mediendiskurs ist etwas anderes als ein wissenschaftlicher Diskurs, auch das mussten sie lernen.
Die Medien sind schnell, manchmal zu schnell, sie wollen klare Ergebnisse. Die Wissenschaft ist bedächtig, sie beharrt auf der Überprüfung von Ergebnissen und hält dafür auch Widersprüche und Gegensätze aus. Doch auch unter Forschern wird gestritten – was aber, so sollte es sich die „Bild“-Zeitung ein für alle Mal hinter die Ohren schreiben, nichts mit Ehekrach oder Zerwürfnis zu tun hat, sondern in erster Linie mit dem Ringen um den richtigen Weg. So wie die Wissenschaft aus der Corona-Krise den Schluss ziehen kann, dass es zwar geboten, aber nicht ungefährlich sein kann, den Weg in die Medienöffentlichkeit zu suchen, so sollte die Öffentlichkeit ein wenig von der Bedächtigkeit seriöser Forschung in sich aufnehmen.
In diesem Zusammenhang werden rasch Internet und Soziale Medien an den Pranger gestellt, weil sie die ultraschnelle Desinformation nur befördern und Verschwörungstheorien Vorschub leisten. Dieser Vorwurf hat seine Berechtigung. Andererseits, auch das zeigt der Fall Drosten, können Soziale Medien als Korrektiv zu einer „Bild“-Kampagne dienen. Verschwörungstheoretiker finden sich in allen Lagern. Ihnen begegnet man allein mit Verantwortung.