AboAbonnieren

Rheinische IndustriekulturWarum das Bonner LVR-Landesmuseum das Bild eines rotwangigen Knaben kauft

Lesezeit 3 Minuten
Ein blonder Junge schaut aus dem Fenster auf eine Eiusenbahn.

Conrad Felixmüllers „Kind vor Hochofen“ (1927) wurde vom LVR-Landesmuseum Bonn gekauft

Conrad Felixmüllers „Kind vor Hochofen“ zeigt das Ruhrgebiet nicht als Verhängnis, sondern als kollektive Utopie der Weimarer Republik.

Wer einen zweijährigen Aufenthalt in Rom gegen die gleiche Zeit im Ruhrgebiet eintauscht, muss wohl eine Abneigung gegen das offensichtlich Schöne haben. Als der Dresdner Maler Conrad Felixmüller 1920 den Sächsischen Staatspreis erhielt, lockte ihn jedenfalls nicht die Aussicht auf eine klassische Bildungsreise – er wollte lieber das westdeutsche Arbeitermilieu studieren. Für einen sozialistisch gestimmten Vertreter der expressionistischen Malerei war das eine ebenso naheliegende wie pflichtschuldige Entscheidung. Urlaub vom Klassenkampf gönnte sich Felixmüller nicht.

Mit „Kind vor Hochofen“ erwarb das LVR-Landesmuseum ein vielsagendes Übergangswerk

Eines der Gemälde, das infolge dieser Arbeitsreise entstanden, wurde nun vom Bonner LVR-Landesmuseum für die eigene Sammlung angekauft. Es zeigt einen rotwangigen Knaben, der aus dem Fenster seines Elternhauses auf die „Hasper Hütte“ bei Hagen blickt. Allerdings hatte das riesige Walz- und Hochofenwerk im Jahr 1927 seinen expressionistischen Schrecken für Felixmüller bereits verloren. Er malte keinen Moloch, der Welt und Kind zu verschlingen oder wenigstens zu entzünden droht. Sondern eine Welt im farbigen Licht einer hoffnungsvollen Zukunft.

Mit „Kind vor Hochofen“ erwarb das LVR-Landesmuseum ein vielsagendes Übergangswerk. Es zeigt Felixmüller auf halbem Weg zwischen seiner expressionistischen und neusachlichen Phase und eine gewandelte Sicht aufs Ruhrgebiet. Mitte der 1920er Jahre erlebte die Weimarer Republik einen wirtschaftlichen Aufschwung, der die großen Industrien des Ruhrgebiets weniger als Verhängnis des Einzelnen denn als kollektive Utopie erscheinen ließ. Die hohlwangigen Menschen auf Felixmüllers frühen Werken waren vom Schicksal der andauernden industriellen Revolution buchstäblich gezeichnet; der rosige Knabe, Sohn von Felixmüllers Gastfamilie, ahnt von diesem Unglück nichts.

Das Stahlwerk ist bei Conrad Felixmüller keine Kathedrale einer höheren Ordnung

Im altrömischen Sinne schön erscheint die „Hasper Hütte“ allerdings auch wieder nicht. „Man muss schon ein überpersönlich fühlender Maler sein, um Haspe oder Essen zu lieben und gern dahinziehen zu wollen“, schrieb Felixmüller an seine Gastgeber. Zur „überpersönlichen“ Perspektive vieler neusachlicher Maler mochte er sich aber offenbar nicht bekehren. Das Stahlwerk ist bei ihm keine Kathedrale einer höheren, von Ingenieuren entworfenen Ordnung. Es bleibt von dieser Welt.

Gleichzeitig ist dies keine Welt, in der den sechsjährigen Ludwig Wulf, so hieß der abgebildete Junge, ein Leben im Ausbeuterbetrieb erwartet. Alles ist imposant, ohne bedrohlich zu wirken, die Farben binden Groß und Klein, Stahlwerk und Häuschen zusammen. Am deutlichsten zeigt sich die Harmonie in den Rauchfahnen des Gemäldes: Die Schornsteine von Haus, Lokomotive und Hochofen dampfen im selben Takt, der Himmel leuchtet im wolkigen Glanz segensreicher Produktivität.

In den 1970er Jahren erwarb Ludwig Wulf das Gemälde von Felixmüller, der 1977 in Berlin starb. Aus Familienbesitz kommt das „Kind vor Hochofen“ nun ins Bonner LVR-Landesmuseum, das zwar nicht mitten im Ruhrgebiet liegt, das Werk aber stellvertretend für Nordrhein-Westfalen erwarb. Als bedeutendes Zeugnis der rheinischen Industriekultur ist es ab sofort in der Sammlungspräsentation zu sehen.