„Das ist hinterhältig“Christian Drosten beklagt in „NDR Talk Show“ eine „Umdeutung“ der Pandemie

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Der Virologe Christian Drosten stellte in der „NDR Talk Show“ sein neues Buch vor und blickte auf die Pandemie zurück. (Bild: NDR)

Der Virologe Christian Drosten stellte in der „NDR Talk Show“ sein neues Buch vor und blickte auf die Pandemie zurück.

Christian Drosten war das Gesicht der Corona-Pandemie. In der „NDR Talk Show“ kommt der Wissenschaftler am Freitagabend zu einer ernüchternden Aussage.

Er trinkt in der Kneipe wieder aus dem Glas. Davor hatte er zu Beginn der Corona-Pandemie noch gewarnt. Und auch heute, nachdem wir die Corona-Krise überwunden haben, sagt er: „Man sollte sich einen Kopf machen über die Spülbecken in den Kneipen. Wenn einen das ekelt, kann man auch Bier aus der Flasche trinken.“

Christian Drosten ist Professor, Lehrstuhlinhaber und Institutsdirektor an der Charité in Berlin. Er kannte sich schon mit Corona aus, als nur wenige Wissenschaftler davon gehört hatten. Im Jahr 2003 gehörte er zu den Entdeckern des Corona-Virus. 17 Jahre lang forschte er hinter verschlossenen Türen. Das ändert sich 2020.

Christian Drosten: „Mikrobiologisch sehr liberal“

In Deutschland beginnt das Corona-Virus zu wüten. Und Drosten ist plötzlich der meistgenannte Wissenschaftler in der deutschen Presse. Er wird zum „Gesicht“ der Wissenschaftler in der Pandemie, ist ständiger Gast in Talkshows, macht mit dem NDR einen der meistgehörten Podcasts. Liedermacher Bodo Wartke („Barbaras Rhabarberbar“) widmet ihm einen Song.

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Die Situation damals war für viele Menschen eine harte Umstellung. Händeschütteln war gefährlich, Umarmungen gingen gar nicht. Das hat sich für Christian Drosten inzwischen wieder geändert. Er schüttelt wieder Hände, sagt er. „Ich bin jemand, der mikrobiologisch sehr liberal ist.“

Diesen Eindruck hatten die meisten Menschen in der Corona-Zeit nicht. Drosten setzte auf Vorsicht, besonders bei vulnerablen Gruppen, bei älteren Menschen und chronisch Kranken. So hat er vielleicht manche Corona-Infektion verhindert, die sonst tödlich ausgegangen wäre. Doch nicht alle Menschen haben seine Warnungen ernst genommen.

So manchen Shitstorm hat er in den sozialen Medien hinnehmen müssen, bei einigen Journalisten und bestimmten politischen Parteien wird Drosten einer der bestgehassten Wissenschaftler. Er hat das nicht so gemerkt, sagt er heute. Dafür sei die Arbeit zu intensiv gewesen. „Für mich war die Motivation, Informationen zu liefern. Ich dachte mir, ich habe 20 Jahre lang steuerfinanzierte Forschung gemacht, jetzt muss ich was zurückgeben, wenn grade das Thema für jeden zum Problem wird.“

Christian Drosten: Buch „Alles überstanden?“ ist vor wenigen Wochen erschienen

Das habe gut funktioniert, sagt Drosten in der Rückschau. Viele Menschen haben seiner Ansicht nach die Probleme verstanden, mitgemacht, sich mit engagiert. Ihnen sei klar gewesen: Corona ist kein Soloproblem. Man muss auch auf andere Menschen Rücksicht nehmen. „Das ist auch ein bisschen der Grund, warum ich nach so einer langen Pause noch einmal mit einem Buch komme: Weil mich sehr geärgert hat, was sich nach einem oder anderthalb Jahren in der Gesellschaft aufbaut, diese Umdeutung des Geschehens im Nachhinein, zu behaupten, die Maßnahmen wären alle nicht nötig gewesen.“

Es sei „hinterhältig“, den vielen Leuten, die sich engagiert hätten, jetzt weiszumachen, sie hätten sich umsonst engagiert. „Das ist natürlich Unsinn. Und das muss man auch klarstellen“, sagt Drosten. Sein Buch „Alles überstanden?“ ist vor wenigen Wochen erschienen.

Christian Drosten: Auf die nächste Pandemie nicht gut vorbereitet

Am Ende des Interviews fragt Moderatorin Bettina Tietjen den Virologen, ob wir beim nächsten Virus denn alles richtig machen würden?

Die Antwort Drostens ist ernüchternd: „Ich glaube nicht.“ In vielen Punkten sei man nicht weiter, in einigen sogar zurückgefallen. Das gelte vor allem für die Frage, wie Informationen weitergegeben und aufgenommen werden und wie man Wissenschaft bewertet. Verbesserungen habe es dagegen international gegeben, vor allem bei der Weltgesundheitsorganisation, die das Problem verstanden habe.

Vor allem die problematische Situation der Länder auf der südlichen Erdhalbkugel seien erkannt worden. Gerade in diesem Bereich werde jetzt viel Geld in die Sicherheit gesteckt.

Doch offenbar ist noch viel zu tun, weiß Drosten. Sein Fazit: „Die Antwort bei dieser Diskussion, die man jetzt auf so vielen Ebenen führt, ist: Bildung. Die Antwort ist Bildung.“ (tsch)