Expertinnen und Experten sind optimistisch: Das vierte Jahr mit dem Virus könnte besser werden als alle zuvor – unter einer Bedingung.
Ein Jahresausblick auf 2023Wie wird das vierte Jahr mit Corona?
Kaum zu glauben, aber mit 2023 beginnt schon das vierte Jahr mit dem Coronavirus in Deutschland. Zurzeit ist die Lage recht entspannt, verglichen mit den Vorjahren. Die gefürchtete Winterwelle ist bisher ausgeblieben. Es gibt zwar durchaus Infektionen mit dem Erreger, ganz verschwunden ist er nicht, aber in den meisten Fällen sorgt er nicht mehr für schwere Krankheitsverläufe. Wenngleich zur Wahrheit auch gehört, dass immer noch Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 versterben oder mit Spätfolgen, Long Covid genannt, zu kämpfen haben.
Wie geht es nun weiter? Was bringt das neue Jahr? Kann die Weltgesundheitsorganisation den globalen pandemischen Gesundheitsnotstand endlich für beendet erklären? Seine Hoffnung sei, in 2023 sagen zu können: „Dies ist keine Pandemie mehr“, hatte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus vor wenigen Wochen gesagt. Aber wird dieser Wunsch in Erfüllung gehen? Oder droht doch noch mal eine große Infektionswelle, und damit eine enorme Belastung für die Krankenhäuser?
Ganz genau vorhersagen, kann das natürlich niemand. Das Infektionsgeschehen hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, sodass es unmöglich ist, heute schon eine Prognose für das ganze Jahr 2023 zu stellen. Und dennoch: Seit Beginn der Pandemie gab es keinen Jahreswechsel, der mit Blick auf die Corona-Lage mit so viel Optimismus verbunden war.
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Christian Drosten: Pandemie ist vorbei
Es ist erst wenige Tage her, als Christian Drosten plötzlich von einem Ende der Pandemie sprach. „Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-CoV-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei“, sagte der Leiter der Virologie an der Berliner Universitätsklinik Charité im Interview mit dem „Tagesspiegel“.
Die Pandemie vorbei? Für viele Menschen, allen voran Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), waren Drostens Worte der Startschuss zurück in die lang herbeigesehnte Normalität. Getreu nach dem Motto: Wenn Drosten, der in den vergangenen Jahren zu „den vorsichtigsten Wissenschaftlern“ gehörte, schon sagt, die Pandemie ist vorbei, dann ist sie auch vorbei. Also sollten in der Konsequenz alle restlichen Corona-Maßnahmen beendet werden, forderte Buschmann auf Twitter. Ungeachtet dessen, dass es neben Sars-CoV-2 noch andere Erreger wie Influenzaviren gibt, die gerade viele Menschen krank machen und bei denen die Maßnahmen ebenfalls helfen würden.
Coronavirus wird zur „regulären Plage“
Nichtsdestotrotz: Der Übergang von der Pandemie zur Endemie, den wir jetzt erleben, ist etwas Gutes. Denn er zeigt, dass ein großer Teil der Bevölkerung eine robuste Immunität gegen das Coronavirus aufgebaut hat. „Das bedeutet nicht, dass man sich nicht mehr anstecken kann oder die Infektion unbemerkt abliefe“, stellt Virologe Marco Binder klar, „aber, dass es in den meisten Fällen keine wirklich ernsten Krankheitsverläufe mehr gibt, die eine ärztliche Behandlung erforderlich machen würden.“
Als endemischer Erreger werde Sars-CoV-2 nun zu einer „regulären Plage“, so Binder, der am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zu Sars-CoV-2 forscht. Das bedeutet: Das Coronavirus wird nicht wieder verschwinden, sondern regelmäßig in der Bevölkerung zirkulieren. „Im Frühjahr und Sommer dürfte uns das Virus keine nennenswerten Probleme mehr bereiten, und selbst im Herbst und Winter rechne ich nicht mehr mit Bedingungen, die breit angelegte Eindämmungsmaßnahmen erfordern würden.“ Saisonale Infektionswellen sind auch von anderen Atemwegskrankheiten wie der Grippe bekannt.
In der endemischen Phase würde das Coronavirus zudem fortwährend gehäuft in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Region auftreten. „Aufgrund der Erfahrungen der letzten drei Jahre ist davon auszugehen, dass auch weiterhin insbesondere ältere Menschen durch das Virus gefährdet sein werden“, erklärt Reinhold Förster, Immunologe von der Medizinischen Hochschule Hannover. Für sie könnten weitere Auffrischungsimpfungen infrage kommen – idealerweise mit aktualisierten Impfstoffen. Es wäre das gleiche Impfprinzip wie bei der Grippe. Auch da gibt es jedes Jahr Auffrischungsimpfungen für Risikogruppen.
Risiko der Virusevolution bleibt
Das Ende der Pandemie, ein endemischer, vergleichsweise harmloser Erreger, eine schützende Immunität – es klingt nach einem entspannten Jahr. Wäre da nicht diese eine Unwägbarkeit: die Evolution des Coronavirus. Denn wie sich der Erreger entwickelt, welche zufälligen Mutationen er ausbildet, die bei seiner Mission, sich zu vermehren, von Vorteil sein könnten, das bleibt auch nach drei Jahren ein Rätsel.
Expertinnen und Experten bleibt nichts anderes übrig, als die Entwicklung des Virus mithilfe von Probensequenzierungen genau zu verfolgen und so potenziell gefährliche Varianten bestenfalls frühzeitig zu erkennen.
Kommen neue Corona-Varianten aus China?
Dabei blicken sie derzeit besonders nach China. Das Land hat sich von seiner Null-Covid-Politik mit strengen Lockdowns, Quarantänen und täglichen Testungen verabschiedet. In der Folge stecken sich nun zahlreiche Menschen mit dem Coronavirus an, Krankenhäuser sind überfüllt, Medikamente fehlen. Wieder wird China zum Corona-Hotspot. „Aufgrund des extrem hohen Infektionsgeschehens birgt dies die Gefahr, dass neue Varianten auftreten, die auch uns wieder gefährlich werden könnten“, warnt Immunologe Förster.
Je mehr Menschen sich mit dem Virus infizieren, desto mehr Möglichkeiten für Mutationen gibt es. Sollte dabei eine Virusvariante entstehen, die in hohem Maße die Immunantworten unterlaufen kann, „besteht die Gefahr, dass es auch bei uns zu neuen Infektionswellen kommt“. Bislang sei das jedoch „eher unwahrscheinlich als wahrscheinlich“.
Virologe: kein gefährlicheres Virus zu erwarten
Die Evolution des Coronavirus ist in jedem Fall noch nicht zu Ende. Es werde mit Sicherheit weitere Varianten geben, ist Ulf Dittmer überzeugt. „Allerdings sind die genetischen Veränderungen jetzt nicht mehr so groß“, sagt der Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen. „Es ist also nicht damit zu rechnen, dass das Virus noch mal wieder viel gefährlicher wird.“
Aus Angst vor einer neuen Virusvariante haben einige europäische Länder bereits Testpflichten für Reisende aus China etabliert. Richard Neher, der am Biozentrum der Universität Basel (Schweiz) die Evolution des Coronavirus erforscht, beobachtet die Situation in der Volksrepublik genau. Er gibt Entwarnung: „Derzeit gibt es keine Hinweise auf einen schon erfolgten Sprung, also eine größere genetische Veränderung des Virus, die dazu führen würde, dass unser inzwischen vorhandener Immunschutz durch Impfungen und Infektionen dramatisch reduziert würde“, sagte er dem „Spiegel“. „Ich halte solch ein Szenario auch für unwahrscheinlich.“
Immunologe blickt „relativ beruhigt“ auf 2023
Gerade sind es vor allem Abkömmlinge der Omikron-Variante, die in den Laborproben neu auftauchen. Da wären etwa BA.5, BQ.1, BA.2.75.2, BF.7 oder XBB. Sie hätten zwar einen Übertragungsvorteil, aber keine grundlegend anderen Eigenschaften, sagte Neher. Im Dezember 2021 dominierte Omikron erstmals das Infektionsgeschehen in Deutschland.
Seitdem hat es keine andere Variante geschafft, sich gegen sie durchzusetzen. Für Immunologe Förster steht fest: „Wenn das weiterhin so bleibt, können wir, was Covid-19 betrifft, relativ beruhigt auf das Jahr 2023 blicken.“