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c/o Pop-AuftaktHanau als Erweckungsmoment für Rapper Apsilon

Lesezeit 4 Minuten
Das Bild zeigt den Rapper Apsilon beim Auftakt zum c/o Pop-Festival 2025.

Der Rapper Apsilon beim Auftakt zur diesjährigen c/o Pop im Kölner Schauspiel

Der Berliner Apsilon bestimmt wie kaum ein anderer den Deutschrap-Diskurs der letzten Jahre. Beim c/o Pop-Auftakt in Mülheim wird deutlich, warum.

Alle paar Jahre erscheint ein Künstler auf der Bildfläche, auf den die Öffentlichkeit gewartet zu haben scheint. Der das Puzzle neu zusammen fügt, der etwas Eigenes schafft. Arda Yolci ist ein solcher. Unter seinem Alias Apsilon hat der Berliner in den letzten Jahren Deutschrap geprägt, wie kaum jemand sonst. Sein Debüt „Haut wie Pelz“ gilt in Szenekreisen wie im Feuilleton als eines der besten Alben des vergangenen Jahres.

Am Vorabend der Eröffnung des c/o Pop-Festivals konnten sich die Besucherinnen und Besucher bei zwei Shows des Rappers im Schauspielhaus davon überzeugen, warum man den Sohn türkischer Gastarbeiter in den nächsten Jahren auf dem Schirm haben sollte.Die Kombination aus Spielstätte und Artist hätte dabei kaum gelungener ausfallen können.

Hanau als Erweckungsmoment einer Generation

„Wenn Deutschland mich wieder ansieht
Und sagt, mein Herz hat keinen Platz hier
Wenn die Wolken übers Land ziehen
Mein Nachbar keine Menschen, sondern nur sein Land liebt“

Die ersten Zeilen des Auftaktsongs „Koffer“ gehen hier in der Interimsstätte des Schauspiel Köln besonders unter die Haut. Die Keupstraße ist um die Ecke, jeder im Saal kennt sie, jeder weiß, was hier passiert ist. Apsilon wird den NSU-Bezug im Laufe des Abends erwähnen.Er wird über Hanau sprechen, den Erweckungsmoment seiner Generation. Viele der Ende der 1990er Jahre geborene Migranten wurden durch den rechtsextrem Anschlag mit Anfang 20 aufgerüttelt und politisiert.Deren schmerzhafte rassistischen Alltagserfahrungen, die sie da schon seit ihrer Geburt begleitet haben, sich in diesem Moment nicht nur vervielfachten, die vor allem das Versagen des Staates zum ersten Mal hautnah miterlebten. Als in der Keupstraße der Sprengsatz detonierte und mehr als 20 Menschen verletzte, Geschäfte und Autos verwüstete, seien sein Bruder und er noch zu klein gewesen, erklärte der Musiker.

Apsilon legt in seinen Texten die Sehnsucht einer ganzen Generation nach einer neuen Auseinandersetzung mit der eigenen migrantischen Biografie frei. Lebenswege beleuchtet er nicht nur anhand der obligatorischen Rassismuserfahrungen, die oft genug auch bei Künstlern mit migrantischen Wurzeln nicht über den Status eines Anti-Rassismus-Stückes als Solitär hinauskommen oder aber ins gegenteilige Extrem umschlagen: Dann bilden sie den roten, wichtigen, aber allzu offensichtlichen und oftmals eindimensionalen Faden, der sich durch das gesamte Werk zieht.

Der Ansatz des Mitte-Zwanzigjährigen ist ein anderer: wenn er in dem Stück „Baba“ davon singt, dass er sich wünscht, sein Vater könne Schwäche zeigen und auch er selbst besser seine Gefühle ausdrücken, spricht er Themen an, mit denen sich nicht nur migrantische, männliche Zuhörer identifizieren können. Doch vor allem für diese Gruppe ist das öffentliche Verhandeln von Emotionen Neuland – zumal im Deutschrap.„Ich hab das auch, Baba“ wiederholt Apsilon immer und immer wieder. er sitzt mittlerweile hinter dem Klavier, und jeder und jede im Saal scheinen sich angesprochen zu fühlen. Das Baba ist hier ersetzbar.

Wir müssen reden

Diese Generation will über Gefühle sprechen können: öffentlich und ohne Scham, über das Versagen der Eltern, über die Liebe zu ihnen. Die Auseinandersetzung mit Familie, mit Identität oder Geschlecht ist immer persönlich wie politisch – das ist keine Frage der Herkunft.Apsilon richtet seinen migrantischen Blick als Stellvertreter der eigenen Generation auf der Suche nach Antworten nach Innen, das hat es zuvor so noch nicht gegeben.

Dabei lässt der Künstler, das Außen keineswegs außer acht, er verknüpft vielmehr Erfahrungen mit Innenleben, Ursachen mit (Wechsel)Wirkung – etwa die von Kapitalismus und rassistischen Praktiken.

Immer wieder thematisiert er Vorurteile, die Straße, Polizeierfahrungen.In „Köfte“ erzählt er die Gastarbeitergeschichte seiner Großeltern, in „Lost in Berlin“ vom Verloren-Sein in der Stadt und in sich selbst, im Stück „BSR“ von dieser magischen Zeit in den frühen Morgenstunden draußen auf der Straße, die Nacht zurück, der nächste Tag noch steht noch bevor.

Das Bild zeigt den Rapper Apsilon beim Auftakt zum c/o Pop-Festival 2025

Für seinen Song Baba setzte sich Apsilon ans Klavier

Die Stärke Apsilons wäre nicht so kraftvoll, würde er dem ganzen „Grau“ nicht immer auch Hoffnung gegenüberstellen. Für vielleicht eine Stunde angesetzt, überzieht der Künstler, kommt frenetisch gefeiert für eine Zugabe zurück – draußen im Regen warten schon die Leute für die zweite Show des Rappers am heutigen Abend.