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Weniger wäre mehr gewesenBarenboim mit Smetana in der Kölner Philharmonie

Lesezeit 4 Minuten
Barenboim

Der Dirigent Daniel Barenboim probt mit dem West-Eastern Divan Orchestra

  1. Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra spielten am 01. August in der Kölner Philharmonie
  2. Sie führten "Mein Vaterland" des tschechischen Komponisten Smetana auf
  3. Am 05. August werden Orchester und Dirigent gemeinsam mit Starpianist Lang Lang Stücke von Debussy, de Falla und Ravel spielen

Köln – Daniel Barenboim macht’s möglich: Noch hat die neue Saison nicht begonnen, und viele Leute sind in Urlaub. Trotzdem war – wann hat es das zuletzt gegeben? – die Kölner Philharmonie am Montagabend nahezu ausverkauft, auch im Block Z, der in den vergangenen Corona-Jahren regelmäßig einen horror vacui auszulösen vermochte.

Mehr als Lückenfüller des Sommerlochs

Freilich sind die Umstände auch für alle Beteiligten reizvoll genug – eine klassische Win-Win-Situation. Das von Barenboim gegründete und geleitete West-Eastern Divan Orchestra benötigt im Vorfeld seiner Europa-Tour einen geeigneten Probenraum. Philharmonie-Intendant Langevoort griff diesbezüglich bereits im vergangenen Jahr zu und bot sein Haus an, das in der ausgehenden Sommerferienzeit schließlich meistenteils leer steht. Dass Barenboim die Akustik der Philharmonie schätzt, hat er jüngst noch im Gespräch mit dieser Zeitung bekräftigt. Verbunden mit der zweiwöchigen Probensession sind zwei Konzerte am Ort, deren erstes das Publikum jetzt genießen konnte.

Zur Person

Daniel Barenboim, 1942 als Sohn osteuropäisch-jüdischer Einwanderer im argentinischen Buenos Aires geboren, gehört als Pianist und Dirigent zu den herausragenden Musikerpersönlichkeiten unserer Zeit. Mit seiner Familie wohnhaft in Berlin, amtiert er dort seit 1992 als Kapellmeister der Staatskapelle und Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden.

1999 gründete er zusammen mit dem palästinensischen Intellektuellen Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra, das zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern besteht und sich für friedliche Lösungen im Nahostkonflikt einsetzt.

Freilich war auch die Agenda geeignet, den Saal zu füllen: Smetanas sechsteiliger Zyklus Sinfonischer Dichtungen mit dem Titel „Mein Vaterland“ ist seit jeher eine sichere Bank – nicht nur wegen der legendären „Moldau“. Regelrecht aus dem Häuschen brachte der fast 80-jährige Barenboim, der mit minimalistischem Einsatz dirigiert (er weiß halt auch, auf wen er sich verlassen kann), das Publikum dann auch nicht mit diesem zweiten, sondern mit dem Schlussstück „Blaník“, das den düsteren Hussitenchoral des fünften („Tábor“) in einer erlösend-triumphalistischen Dur-Version bringt.

Ein Ausdruck nationalen Selbstbewusstseins

Es sei wichtig, hatte Barenboim im Interview gesagt, „zu wissen, woher man kommt“ – und insofern gehöre „Mein Vaterland“ nicht nur zur schönsten Orchestermusik, „die je geschrieben wurde“, sondern transportiere auch eine „politisch wichtige Aussage“. Tatsächlich ist „Má Vlast“ künstlerischer Ausdruck der tschechischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, und da gibt es unstrittig aktuelle Bezüge: Die Palästinenser, für deren legitime Interessen sich der Israeli Barenboim einsetzt, ringen seit Jahrzehnten genauso um eine staatlich gefasste nationale Identität, wie es gegenwärtig die Ukraine tut.

Gerade ein Stück wie „Blaník“ vermochte seinerzeit das nationalistische Feuer heiß zu entfachen – was ja in der Wirkung durchaus ambivalent sein konnte und kann: Nationalismus vermag bekanntlich gleichermaßen emanzipatorische und regressive Impulse zu triggern.

Smetanas Werk und Barenboims Beitrag

Solche Bedenken hat Barenboim aber offensichtlich nicht – er lässt sich nicht zum Jagen tragen, sondern voll zulangen. Die Klangopulenz, die sich da überwältigend entfaltete, war freilich auch der riesigen Besetzung geschuldet – bei 18 ersten Violinen und entsprechenden Stärken in den anderen Gruppen kommt halt keine vornehme Kammermusik heraus. Dabei war der Sound durchweg zumal in den Streichern, die immer wieder mit melodisch dichten und schön phrasierten Bögen glänzten, bemerkenswert flexibel und homogen. Und die Tiefenschärfe in der Darstellung der Partiturmotive gleich schon im anfänglichen „Vysehrad“ ließ bei aller Kraftentfaltung nie den Eindruck einer sinfonischen Dampfwalze aufkommen.

Dennoch wäre zuweilen weniger mehr gewesen. „Má Vlast“ ist schließlich nicht nur laut und bombastisch. So erheischt etwa die Klarinettenmelodie der Titelfigur in „Sarka“ – quasi einer dramatischen Ballade – kurz vor dem Amazonenmassaker an den schlafenden Rittern eine Atmosphäre des Unheimlichen, der bevorstehenden Katastrophe, die aber im ganz Leisen realisiert werden muss. War das hier etwa der Fall? Auch die „Moldau“ floss diesmal von Anfang an, noch in ihrem Quellbereich, breit wie der Amazonas einher (berückend geriet allerdings die Flussnymphen-Szene). Und die obstinaten Attacken von Blech und Pauken gingen dann irgendwann doch auf die Ohren.

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Hinterließ das erste Konzert also insgesamt einen gemischten Eindruck, so darf man auf das zweite am Freitag erst recht gespannt sein: Ravel und Debussy erfordern eine ganz andere Klangästhetik als Smetana, und Lang Lang als Klaviersolist stattet es noch mit einer Anziehungskraft eigener Qualität aus.