Element of Crime verabschiedeten den Sommer im Kölner Tanzbrunnen. Unsere Konzertkritik.
Element of Crime im TanzbrunnenWie Sven Regener in die falsche Kölner S-Bahn stieg
Sven Regener hat sich verfahren. Mit der S-Bahn, sagt er, und beklagt sich über die mangelnde Ausschilderung in Köln: „Einfach so ein kleines, buntes Bild in der Farbe der S-Bahn, mit der Nummer drin, das kann doch nicht so schwer sein.“ Und dann hat er auch noch vergessen, seine Brille zu putzen, bevor er auf die Tanzbrunnen-Bühne gegangen ist. Jetzt hätte er Fabrikfenster vor den Augen. „Anderseits: Wir sind ja hier in Deutz. Praktisch im Industriegebiet.“ Wenn Regener, Dichter, Sänger und Trompeter der Berliner Band Element of Crime, meckert, klingt das immer noch so freundlich, ja zärtlich, wie seine gegen den Strich gebürsteten Liebeslieder. In denen ist es immer irgendwie „Morgens um vier“.
So heißt das neue Album, das Element of Crime im Frühjahr veröffentlicht haben, und das sie jetzt mit den letzten Freiluft-Konzerten des Sommers bewerben wollen. Wie an diesem nur ein ganz klein wenig frischen Donnerstagabend im Schatten längst vergessener Bundesgartenschauen.
Es schlägt also, in Regeners Sehnsuchtsliedern, oft die Stunde des Wolfes, der Protagonist kann nicht schlafen, er ist entweder frisch verlassen worden, oder es hat ihn gerade die Minne gepackt. Jedenfalls wäre es eigentlich viel vernünftiger zu schlafen, stattdessen rotieren Bandwurmsätze wie dieser aus dem Titelsong der neuen Platte in seinem Kopf: „Die Straßenlaterne/vor meinem Fenster hätte ich gerne mal repariert/Erst fünf Sekunden orangenes Licht/Und das Fensterkreuz als Schattengesicht auf die Wand projiziert/Dann zehn Sekunden dunkel, so geht das seit Stunden/Bis einer wie ich den Verstand verliert.“
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Wie Regener das lässig krächzt, wie er sein Publikum von Zeilenumbruch zu Zeilenumbruch mitnimmt, das gibt es in der deutschsprachigen Musik kein zweites Mal. Und weil er diese Kunst nicht verlernt, höchstens noch verfeinert hat, und weil Element of Crime in der traumhaft selbstverständlichen Art von Menschen miteinander musizieren, die das seit bald 40 Jahren tun, müssen sie auch 2023 noch keine Golden-Oldies-Abende bestreiten. Ihre Songs sind der Zeit enthoben und heben, werden sie live vorgetragen, die Zuhörenden gleich mit in ihr kleines Zwischenreich, wo es immer nicht mehr Nacht, noch nicht Morgen ist.
Jakob Ilja spielt hübsch angejazzte Gitarrensoli
Schlagzeuger Richard Pappik gibt das leicht verstolperte Tempo vor, Jakob Ilja streichelt seine Gitarre mehr, als dass er sie spielt, und man freut sich schon, wenn er wieder zu einem seiner kurzen, hübsch angejazzten und stets songdienlichen Soli ansetzt. Das Schifferklavier ersetzt die Rhythmusgitarre und wenn Regener die Trompete ansetzt, klingt die exakt so schnoddrig und verloren wie seine Texte.
Neun der 24 Stücke auf der Setlist stammen vom neuen Album. Das mag man gewagt nennen für eine Band, deren Fans mit gealtert sind, die bestenfalls ihre Kinder mitbringen zum Konzert. Doch ob neu oder alt ist hier eben ziemlich egal. Gleich beim ersten Stück, „Unscharf mit Katze“, möchte man mitsingen, denkt sich vielleicht, oh, lange nicht mehr gehört, irgendwo liegt sicher noch die alte CD herum. Dabei ist das Stück noch keine fünf Monate in der Welt. In ihm kann man so eine Art Mantra der Band finden: „Wir haben keine Lösung/Wir haben Lieder“, singt Regener. Dass Lieder, zumindest seine Lieder, schon längst die Lösung sind, lässt er bescheiden aus. Aber sie sind es und für diese zwei Stunden im Tanzbrunnen gibt es keine Probleme, die sich nicht mit einem gelungenen Bild einfangen ließen.
In einer seiner launig-lakonischen Ansagen spricht Regener, weil er keine Überleitung findet, davon, dass man auch mal Kontraste zulassen müsse, frei nach dem Eisenstein’schen Montageprinzip und freut sich, dass er für diesen kleinen Bildungsbrocken Spontan-Applaus bekommt. Genau so funktionieren ja auch seine Songs, in denen Banales so verlässlich wie überraschend ins Herzzerreißende kippt. „Hinter Huchting ist ein Graben/Der in die Ochtum sich ergießt“, heißt es etwas in „Delmenhorst“: „Und dann kommt gleich ‚Getränke Hoffmann‘/Sag‘ Bescheid, wenn du mich liebst.“ Das Lied wird im Zugabenteil mit großem Hallo begrüßt. Jeder freut sich darauf, was jetzt kommt, jedem wird schon bei der Erwähnung von „Getränke Hoffmann“ ein wenig klamm ums Herz, es ist, als hörte man „Hoffnung“ statt „Hoffmann“, so funktioniert Sven Regeners Kunst.
So funktioniert sie schon immer, denkt man, und vergisst die Zeit, in der Regener noch kein Bestseller-Autor war („Herr Lehmann“ und andere) und Element of Crime eine völlig andere Band. Zum Glück spielen sie aber im Tanzbrunnen gleich zwei Songs aus ihrer englischsprachigen Jugend: „Moonlight“ vom Debüt „Basically Sad“ und „Nightmare“.
Eine persönliche Bemerkung: ich hätte wahnsinnig gern noch einmal „No God Anymore“ gehört, das war der große Hit, als ich die Band zum ersten Mal live erlebt habe, doch der Text klingt wie Bono, der just vom Glauben abgefallen ist, und das ist wohl sogar Regener peinlich, der mit Lust an der uncoolen Referenz Johannes Mario Simmel zitiert. „Nightmare“, sagt er, jetzt mit umgeschnallter E-Gitarre, hätten sie in Köln vielleicht zum letzten Mal 1989 im Luxor gespielt, aber das Stück holt auch 2023 noch alle ab, marschiert nervös und aufgekratzt voran wie eine der längeren Velvet-Underground-Improvisationen und das schroffe Post-Punk-Saxofon am Ende bringt noch einmal die Mauer zum Einsturz.
Wenn die Musiker noch im anschließenden Jubel zu „Weißes Papier“ ansetzen, ist das der schönste Moment des Abends. Weil er erzählt, wie sehr es sich lohnen kann, noch einmal neu anzufangen. Und immer wieder neu.