Die Klimaaktivistin Greta Thunberg hat mit ihrem Schulstreik die internationale Bewegung „Fridays for Future“ losgetreten.
Von Anhängern wird sie als Lichtgestalt gefeiert, andere sehen in ihr die Verkörperung des Öko-Populismus.
Warum die 16-Jährige so polarisiert und warum es so schwer für uns ist, unser Verhalten zu ändern.
Köln – Welches Rollenvorbild könnte besser zu Greta Thunberg passen als das Kind aus Hans Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“? Darin geht der Herrscher zwei Betrügern auf den Leim, die behaupten, einen ganz besonderen Stoff zu weben – sichtbar nur für Privilegierte. Dass der Kaiser tatsächlich nackt dasteht, dies auszusprechen traut sich eben allein das Kind, woraufhin auch das Volk wagt, die Wahrheit der Illusion vorzuziehen.
Eine 16-Jährige, die Massen bewegt
Kein anderer Text wird so häufig zitiert wie Andersens Märchen über die Verblendungen der Macht, wenn es um die Klimaaktivistin geht. Sie, die fast noch ein Kind ist, tritt aus der Masse hervor und formuliert mit unbewegtem Gesicht und monotoner Stimme, was alle anderen zumindest verschweigen oder gar verdrängen, dass nämlich der Raubbau an der Natur massive Folgen für den Planeten hat – dass uns also nichts anderes übrig bleibt, als Rainer Maria Rilkes Imperativ im Angesicht einer schockhaften Erkenntnis zu folgen: „Du musst Dein Leben ändern.“ Andernfalls wird die Welt untergehen.
Aber musste tatsächlich erst Greta Thunberg kommen und sich auch die sozialen Medien zur Hilfe nehmen, um die Menschen aufzurütteln – und alle Konsequenzen auf sich nehmen, die mit der Radikalität ihrer Botschaft einhergehen: dass die einen sie verehren wie eine Predigerin und die anderen sie hassen wie eine Verräterin? Schon 1972 legte schließlich der Club of Rome seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ vor, der eindringlich vor den Begleiterscheinungen der Industrialisierung warnte und dem Schutz der Ökosysteme höchste Priorität zuwies. Im Jahr darauf erhielt der Club of Rome sogar den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für seine mahnenden Worte.
Zahlreiche renommierte Wissenschaftler und seriöse Politiker folgten seinem Beispiel, mit den Grünen verschrieb sich in Deutschland eine eigene Partei dem Schutz der Umwelt und fand Nachahmer in anderen Ländern rund um den Globus, doch Greta Thunberg scheint sie alle in den Schatten zu stellen. Ihr Segeltörn von Südengland quer über den Atlantik nach New York ist ein weltweites Medienereignis, und wieder spaltet sie die Öffentlichkeit in Bewunderer und erbitterte Kritiker – schon wird ihr vorgerechnet, dass ein Flug viel umweltfreundlicher gewesen wäre, weil die Jacht von fünf Seglern wieder nach Europa zurück gebracht werde, die dafür zunächst nach New York fliegen müssen. Zudem sei das Schiff aus umweltschädlichen Materialien hergestellt.
Ein internationaler Star - egal aus welchem Blickwinkel
Doch gleichgültig, ob man sie liebt oder beschimpft oder ihr gar den Tod wünscht, wie dies erschreckend häufig geschieht – die 16-jährige Schwedin ist ein internationaler Star. Sie hat Feinde, aber eben auch eine riesige Gefolgschaft, die unter anderem jeden Freitag auf die Straße geht und Klimasünden anprangert. Die sogenannten Eliten hingegen, also jene Wissenschaftler und Politiker, die wie Greta Thunberg vor unserem Umgang mit der Erde warnen, wirken wie an den Rand gedrängt. Schlimmer, sie werden verachtet, als inkompetent abgetan oder der Doppelmoral verdächtigt: War nicht einer der Initiatoren des Club of Rome der italienische Industrielle Aurelio Peccei, Mitglied der Firmenleitungen von Fiat und Olivetti sowie Präsident der Unternehmensberatung Italconsult und damit ein Repräsentant des Establishments?
Zweifellos wirft diese Perspektivenverschiebung kein gutes Licht auf unsere gesellschaftliche und demokratische Verfassung. Ja, dass ein Teenager wahlweise als Lichtgestalt oder als Dämon in Mädchengestalt auf der öffentlichen Bühne steht, während die etablierten Institutionen der Wissensvermehrung und -vermittlung marginalisiert und lächerlich gemacht werden, hat nicht wenig mit dem grassierenden Populismus zu tun. In gewisser Weise können sich Greta Thunberg und Donald Trump die Hand reichen, auch wenn die eine schon die Apokalypse nahen sieht, während der andere jeglichen Einfluss des Menschen aufs Klima leugnet. Worin sie sich treffen, ist das unerhörte Mobilisierungspotenzial ihrer Botschaften sowie die Neigung, die etablierte Politik als Feind zu betrachten.
Wobei kaum daran zu rütteln ist, dass der Kompromisskurs der Politik mit den Umweltsündern dieser Welt in Wahrheit Besitzstandssicherung auf Kosten anderer bedeutet. Diese Erfahrung macht gerade Bundesaußenminister Heiko Maas auf seiner Reise in den Norden Kanadas: dass dort keine Gletscher mehr vorhanden sind, ist wohl kaum die Schuld einheimischen Inuit, die sich ihrer Lebensgrundlagen beraubt sehen. Hier ist die Diskussion über Klimawandel keine theoretische Erörterung vom warmen Plätzchen aus, sondern eine Frage der Existenz.
Diese Frage treibt zweifellos auch Greta Thunberg um und alle, die in ihrem Sinn demonstrieren. Die „Fridays for Future“-Bewegung trägt in hohem Maß den Charakter einer Jugendrevolte, und zu einer solchen gehört eine Galionsfigur. Man darf gespannt sein, ob und wie sich der Protest ähnlich wie nach 1968 oder im Anschluss an die Friedensbewegung in die Institutionen kanalisiert. Allen, die für die Sache des Klimas streiten und nicht zuletzt Greta Thunberg selbst wäre zu wünschen, dass sich die irrationale Aufregung um ihre Person legt und auch die anderen Stimmen Gehör fänden. Damit wäre nicht allein dem Klima im naturwissenschaftlichen Sinne gedient, sondern vor allem auch dem Klima in der Gesellschaft.