Das Konzert in der Philharmonie entwickelte einen Sog, dem sich so leicht niemand im Saal entziehen konnte.
Gürzenich-Konzert mit Markus StenzWer Trübsal bläst, hat eh schon verloren
Ein schwungvoller Start ins neue Jahr und zugleich eine Rückkehr in alte Zeiten – das war das Extra-Konzert des Gürzenich-Orchesters in der Kölner Philharmonie. Gerade weil es überall stürmt und pfeift und die Zukunft unsicherer denn je ist, hat die Wiederbegegnung mit Bekanntem etwas Anheimelndes und Tröstendes.
Markus Stenz also, Gürzenich-Kapellmeister von 2003 bis 2014, gab sich die Ehre am Pult, und es war so, als wäre er nie weg gewesen. Ein Heimspiel für den Ex-Chef, das von großer Zustimmung und Begeisterung im Orchester (wo das Personal mit den Jahren zweifellos stark gewechselt hat) wie vom Publikum in der nahezu ausverkauften Philharmonie getragen wurde.
Nostalgische Rührung ließ Stenz nicht aufkommen
Indes, ins Nachdenken kommen konnte man dabei in der Tat auch: Als Stenz seinen Kölner Posten verließ, gab es noch keinen Ukraine-Krieg, keinen Möchtegern-Autokraten im Weißen Haus, keine starke demokratiefeindliche Partei im Bundestag. Zeiten vor der Zeitenwende fürwahr!
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Nostalgische Rührung ließ Stenz in seinen Zwischenmoderationen, mit denen er die Umbauten auf dem Podium während der kleinteiligen Soiree überbrückte, allerdings nicht aufkommen. Der Mann verströmt wie eh und je auf sympathische, zuweilen etwas fahrige Weise Energie, Tatendrang und Optimismus. All das kondensierte sich bereits im Konzertmotto: „Und los!“ Wer Trübsal bläst, hat eh schon verloren – das war sozusagen die „Innenschrift“, die man dem Abend ablesen konnte.
Leichte Allusionen ans Wiener Neujahrskonzert vermittelte das auch klangbildnerisch-spieltechnisch souverän absolvierte Programm – warum auch soll man sie krampfhaft meiden? Da erklangen der Delirienwalzer von Josef Strauss und als Zugabe der unsterbliche Donauwalzer, beide bemerkenswert wienerisch herausgespielt mit lasziv-sentimentalen Rubati und dem im Rhythmus charakteristisch verschliffenen Dreiertakt. Walzer und Marsch, Dreier und Zweier bzw. Vierer im Wechsel – das war die Dramaturgie, die das Heterogene ziemlich überzeugend zusammenhielt.
Ein köstlich-animierender Streifzug durch die europäische Musikkultur
Chabriers „Fete polonaise“, Kurt Weills „Silbersee“-Ouvertüre, Berlioz´ Rákóczi-Marsch, Bernd Alois Zimmermanns köstlich destruktive Rheinischen Kirmestänze und William Waltons „Crown Imperial“-Marsch, der leider seinem Modell, Elgars „Pomp and Circumstance“ Nr. 1, nicht ganz das Wasser reichen kann – solchermaßen formierte sich im Binnenraum der Agenda ein köstlich-animierender Streifzug durch jene reichhaltigen Gefilde, in denen sich die klassische europäische Musikkultur zwischen 19. und 20. Jahrhundert ohne Niveauverlust der Unterhaltsamkeit öffnet.
Ein Janusgesicht zeigten indes die gewichtigen Programmpunkte an den Flanken des Programms: Richard Strauss´ „Eulenspiegel“ mit seinen Gassenhauern vom Jahrmarkt ist sicher auch unterhaltsam, aber eben nicht nur. Zum Schluss geht es dem Spaßmacher buchstäblich an den Kragen, und das wehmütige Nachspiel rückt das Ganze in eine unwirkliche Märchenferne. Vor allem aber: Musikalisch sind die Exaltationen des Werks, seine Überreizungen, sein „Nervenkontrapunkt“ Moderne mit Aplomb.
Auf diesem Terrain ist, und das merkte man, Stenz seit jeher zu Hause. Er lässt nicht dick und fett auftragen, sondern erreicht gestisch-szenisch große Transparenz, Agilität und Vitalität. Immer wieder dünnt er kammermusikalisch aus, sodass man einander überkreuzende Gegenstimmen und, vor allem, in der Tiefe der Partitur immer wieder das unsterbliche Eulenspiegel-Motiv hört.
Am Schluss dann Ravels „Boléro“. Auch er ist eine Ikone der Klassik, deren populäre Vertrautheit leicht darüber hinwegtäuscht, dass das Stück im Steigerungsrausch des Repetitiven auch so etwas wie komponierter Wahnsinn ist. Aber wenn es Wahnsinn ist, dann einer mit Methode. Die führten Formation (inklusive der ausgezeichneten Solisten) und Dirigent mit nachdrücklicher Konsequenz vor; da entstand ein Sog, dem sich so leicht niemand im Saal entziehen konnte.