Mit Andrés Orozco-Estrada steht der Nachfolger von François-Xavier Roth als Leiter des Gürzenich-Orchesters fest. Im Interview verrät der neue Generalmusikdirektor, was er am Kölner Orchester schätzt.
Interview mit Andrés Orozco-Estrada„Diesmal passt halt alles“
Herr Orozco-Estrada, hatten Sie schon Gelegenheit, sich in Ihrer zukünftigen Wirkungsstätte umzusehen – außerhalb der Philharmonie?
Nicht so viel, aber das kommt noch. Auf der Fahrt vom Flughafen zur Philharmonie habe ich den Taxifahrer gebeten, mal ums Opernhaus herumzufahren, das ja im kommenden Jahr wiedereröffnet werden soll. Von außen sieht es ganz toll aus, und ich freue mich schon sehr. Grundsätzlich hängt meine Beziehung zu einer Stadt für mich ganz stark davon ab, ob mir die Menschen, denen ich dort begegne, guttun. Das ist in Köln der Fall. Die Kölner, die ich kenne, erlebe ich als offen und freundlich.
Sie waren bereits vor zehn Jahren der Wunschkandidat des Orchesters. Damals lehnten sie ab. Bewahrheitet sich nun die alte Weisheit, dass man im Leben einander immer zweimal trifft?
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So ist das. Und da war Beharrlichkeit auf beiden Seiten am Werk. Als ich hörte, dass François-Xavier Roth Köln verlässt – er hat dem Orchester übrigens sehr gutgetan –, habe ich schon begonnen darüber nachzudenken. Und diesmal passt halt alles.
Das schätzt Andrés Orozco-Estrada am Kölner Gürzenich-Orchester
Was finden Sie an dem Orchester so toll, dass Sie es als Generalmusikdirektor – von 2025 an – leiten wollen?
Es gibt viele Faktoren, künstlerische und außerkünstlerische. Mich hat damals schon, vor zehn Jahren, und jetzt wieder beim Konzert im vergangenen November, jenseits des hervorragenden Spielniveaus die Offenheit begeistert, die Bereitschaft und das Interesse der Musiker, die Vorstellungen des Dirigenten umzusetzen. Diese Offenheit trifft man auch bei guten Orchestern nicht immer an.
Sie sprechen aus eigener Erfahrung? Ihr Vertrag bei den Wiener Symphonikern wurde 2022 nach nur zwei Jahren wegen schwerwiegender Dissense aufgelöst.
Ja, ich habe da einen Schnitt gemacht, aber das hatte mehrere Gründe. Ich schaue lieber in die Zukunft und freue mich auf Köln. Was mich übrigens auch für Köln eingenommen hat, das ist dieser wunderbare Konzertsaal, der akustisch nicht einfach ist, der aber auf jeden Fall eine unverwechselbare Aura hat.
Können Sie sich noch an den Augenblick erinnern, in dem Sie dachten: Gürzenich und ich – das könnte was werden?
Ja, das war, wie gesagt, vor zehn Jahren, als wir Rachmaninows „Sinfonische Tänze“ probten. Das ist ein besonderes Werk und nicht immer leicht. Die Tempi zum Beispiel. Aber da habe ich gemerkt: Die gehen sofort mit, das funktioniert ganz schnell. Das November-Konzert hat diese Erfahrung bestätigt.
Der Nachfolger von François-Xavier Roth leitete das hr-Sinfonieorchester
Sowohl Roth als auch Sie waren Chefs von Rundfunk-Sinfonieorchestern, die gelten als Spitzen der Szene. Da kann das Gürzenich-Orchester also offensichtlich mithalten ...
Auf jeden Fall, es mischt sehr wohl in dieser Liga mit. Der Unterschied ist natürlich stets, dass ein kommunales Orchester noch einmal ganz anders in der jeweiligen Stadtgesellschaft verwurzelt ist als eine Rundfunk-Formation.
Dem Gürzenich-Orchester wird ein deutsch-romantischer Grundklang nachgesagt. Rutscht eine solche Behauptung angesichts der kulturellen Globalisierung nicht ins Imaginäre?
Ja, vom Klang her gibt es nicht mehr diese ganz großen Unterschiede – obwohl wir sie uns immer wünschen. Es gibt aber sehr wohl diese innere Kraft, die die Menschen in einem Orchester verbindet. Und die ist schon unterschiedlich ausgeprägt. Ein Opernorchester spielt eine Partitur auch anders als ein reines Konzertorchester.
Sie wurden musikalisch in Wien sozialisiert, wo Sie Ihren Lebensmittelpunkt haben, stammen aber aus Kolumbien. Was macht diese kulturelle Diversität mit Ihnen?
Vorausschicken muss ich: Ich wurde mit der großen Tradition der Wiener Musik und zumal mit der Wiener Klassik nicht in Wien, sondern bereits sehr früh in einer Musikschule meiner Heimat bekannt – die sehr europäisch ausgerichtet war. Ich war also, als ich mit 19 nach Wien kam, musikalisch vorbereitet. Aber klar, den letzten „Schliff“ als Künstler bekam ich dort.
Der kolumbianische Dirigent zehrt von verschiedenen Prägungen
Sie stammen aus Medellín, einer Stadt, die Europäer leicht mit Drogenkartellen assoziieren. Wie gehen Sie damit um?
Ich gehe damit relativ entspannt um. Ich kenne natürlich die Stadt, auch wenn ich jetzt seit 20 Jahren woanders lebe, und ich kenne die Menschen. Die sind warmherzig, lebendig und kreativ – wobei diese Kreativität und Energie leider auch mal in eine böse Richtung geht. Tatsächlich aber hat sich in Medellín in den vergangenen Jahren sozial und kulturell viel getan – die Situation ist nicht mehr die der 90er Jahre. Medellín hat sogar Preise als schönste Stadt Südamerikas bekommen.
Wie hat Sie Ihr Heimatland musikalisch geprägt – jenseits der erwähnten Schule?
Es gibt in Kolumbien eine starke und vitale Volksmusik-Szene, die ich ebenfalls voll mitbekommen habe – ich habe da sogar in einer Gruppe meines Onkels mitgespielt. Ginastera, Villa-Lobos, Piazzolla – mit diesen Namen verbindet sich die Integration der Volks- in die Kunstmusik. Deren rhythmischer Impulsivität fühle ich mich auf jeden Fall sehr nahe.
Kommt das auch dann zur Geltung, wenn Sie Beethoven dirigieren?
Intellektuell sicher nicht. Was meine grundsätzliche Art angelangt, Musik zu erleben und zu machen – ja, vielleicht schon, aber das ist völlig unbewusst. Es ist am Ende des Tages so oder so schwierig, genau zu sagen, welcher Aspekt einer Persönlichkeit woher kommt.
Sie werden in Köln Ihre eigene Handschrift einbringen. Worauf haben sich die hiesigen Musikfreunde einzustellen?
Wir sitzen dran, aber ich werde Ihnen das noch nicht erzählen. Was die Oper anbelangt, so ist das deutsche Repertoire – Mozart, Wagner, Strauss – genauso wichtig wie das italienische. Auch im Konzert wird es in verschiedene Richtungen gehen: deutsches Repertoire – wie Mendelssohn, Brahms, Mahler –, dann aber vor allem die Vorstellung der jungen Komponisten- und Künstlergeneration. Und die angelaufenen Bürgerprojekte will ich unbedingt fortsetzen und weiterentwickeln. Dass das Gürzenich-Orchester ein städtisches Orchester ist, das in den urbanen Raum hineinwirkt und -wirken muss, ist mir sehr bewusst und wichtig.
Auf Südamerika wollen Sie keinen Fokus legen?
Wohl eher nicht.
Nennen Sie uns zum Abschluss eine fundamentale Erfahrung, die Sie immer wieder mit Musik machen.
Dass man das angestrebte Ideal meistens nicht erreicht. Das, was ich höre, ist nicht hundertprozentig das, was ich mir vorstelle, es gibt immer noch Luft nach oben.