Die lettische Organistin Iveta Apkalna ist die Königin ihres Fachs. Das sagt sie vor ihrem Auftritt in Köln über Putin und ihr Instrument.
Iveta Apkalna„Die Orgel ist metaphysisch und sakral und hebt uns nach oben“
Sie spielt beruflich die Königin der Instrumente – und ist selbst eine Königin der Königin: Die lettische Künstlerin bestieg vor etlichen Jahren schon den Olymp der internationalen Organistenszene, und wer heute unter halbwegs informierten Klassikfreunden nach der derzeitigen Besetzung dieser Spitzenposition fragt, dürfte wohl eine ziemlich einhellige Antwort bekommen: Iveta Apkalna. In dieser Saison gehört die 47-Jährige zu den Porträtkünstlern der Kölner Philharmonie, am Sonntag, 18 Uhr, steigt sie in ihre Folge aus vier Konzerten ein mit Francis Poulencs Orgelkonzert, einem neoklassizistischen Werk, das sich stilistisch teils an Bach anlehnt und doch ganz eigene Wege geht, etwa in der begleitenden Instrumentation.
Da treten zu den Streichern ausgerechnet Pauken. Apkalna findet diese Kombi „einfach toll“: Orgel plus Trompete etwa sei ja sehr gebräuchlich, aber die Pauke als Partnerin? Das Poulenc-Konzert ist für sie jedenfalls „eine der besten Kompositionen für Orgel und Orchester überhaupt, eines meiner absoluten Lieblingsstücke“. Sie mag das Oszillieren „zwischen Sentimentalität und Sensibilität, Lächeln und Weinen“. Dabei sei es „nie kitschig“.
Apkalna sprudelt in nahezu akzentfreiem Deutsch ihre Begeisterung für die Orgel und ihren Beruf heraus, ist dabei kaum zu bremsen: „Die Orgel ist so facettenreich wie kein anderes Instrument, und diese Facetten zu zeigen, ist immer wieder eine riesige Freude.“ Tatsächlich ist ja in diesem Metier kein Instrument wie das andere und jedes in sich selbst durch die Vielfalt der Registrierungsmöglichkeiten immer wieder „anders“. Hinzu kommen die unterschiedlichen Raumverhältnisse und, selbstredend, die stark differenten Personalprofile der Interpreten. Aber auch die wandeln sich mit der Zeit: „Ich merke das, wenn ich dasselbe Stück nach einigen Jahren neu und eben anders einregistriere. Da haben sich meine Klangfarbenvorstellungen verändert.“
Alles zum Thema Kölner Philharmonie
- Mao Fujita in Köln Ein Spektakel, aber bei Mozart konnte man misstrauisch werden
- Sarah Wegener und Götz Payer in der Philharmonie Ein breites Spektrum an Glückszuständen
- Gürzenich-Konzert Eine Sternstunde dank Michael Sanderling und Gil Shaham
- Rudolf Buchbinder in Köln Eine Brahms-Aufführung von herausragender Qualität
- Philharmonie Köln Zentralwerke der slawischen Romantik
- „Musik der Zeit“ in der Kölner Philharmonie In der Küche des Menschenfressers
- Midori in der Philharmonie Ein Spiel, das bei sich bleibt und aufgesucht werden will
Das heilige Köln ist, Apkalna weiß es, mit Kirchen und also auch mit Orgeln reich gesegnet. Sie kennt – und das sind schon sehr kontrastive Erlebnisse – die große Domorgel und die Klais-Orgel in der Philharmonie, an der sie seit 2006 regelmäßig konzertiert. Wo spielt sie lieber? „Das sind komplett andere Welten, die kann man kaum vergleichen. Was ist besser: ein Lambhorgini oder ein Maserati?“ Weil „Klarheit bei großem Nachhall selten zu erreichen ist“, sei für sie ein philharmonischer Saal besser. Die „Aura“ aber sei in der Kathedrale unübertrefflich. Also ein Unentschieden: „Ich fühle mich immer da am wohlsten, wo ich gerade bin.“
Über die Philharmonie-Orgel wurde unter Experten immer mal wieder gelästert – was Apkalna nicht nachvollziehen kann: „Klar, die Orgel kam spät in den Raum und hatte dann nicht so viel Platz, das war schon eine große Herausforderung.“ Aber alles, was sie selbst dort spielen wollte, „klingt in diesem Saal wunderbar.“ Man müsse als Spieler einfach „den Klang und den Raum verstehen“. „Wissen Sie: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.“
Hat sie denn, die sie ihr Instrument schließlich nicht wie eine Geigerin unter den Arm packen kann, eine Lieblingsorgel auf dieser Welt? Für nahezu ideal hält sie immerhin die Orgel der Hamburger Elbphilharmonie, deren Titularorganistin sie ist: „An ihr kann man alles machen.“ Ihr Ehrgeiz sei es aber, aus jedem Instrument die schönsten und besten Seiten herauszuholen: „Jede ist eine Superorgel, und davon will ich unbedingt auch das Publikum überzeugen.“ Zu den Unbequemlichkeiten ihres Berufs gehört übrigens das nächtliche Üben im Konzertsaal: „Ich hasse es, aber es geht nicht anders – tagsüber sind die Säle belegt.“
Die Elphi-Orgel ist ebenfalls eine Arbeit des Bonner Orgelbauers Klais – genauso wie die im Eifelkloster Himmerod, wo Apkalna vor Jahren eine Doppel-CD mit Werken von Bach und Philip Glass einspielte: „Das war super, da habe ich eine Woche lang ohne Mobilfunk im Kloster gelebt.“ Tatsächlich hat sie zu Klais eine gute und enge Beziehung: „Ich spiele viele Klais-Orgeln, die bauen ja jetzt in vierter Generation. Jetzt ist Philipp Klais dran, der eine ganz andere Klangästhetik als sein Vater oder Großvater hat.“ Am Entwurf der Disposition von zwei Klais-Orgeln war sie sogar stark beteiligt.
Organisten gelten gemeinhin als intellektuelle Musiker, als analytisch und reflektiert – weil sie in linear-stimmig angeordneten Partiturverläufen denken müssen. Ist da was dran? Apkalna möchte das für sich so nicht stehen lassen, weist indes auf den großen Unterschied zwischen Kirchenmusikern und Konzertorganisten hin – wobei sie halt zur zweiten Spezies zählt: „Ich muss mein Publikum wirklich packen wollen. Wenn ein Interpret seine Musik vorzugsweise denkt und nicht fühlt, dann ist der Hörer raus. Ich muss die Musik und mich selbst immer wieder neu empfinden.“
Damit will sie Kirchenmusiker nicht diffamieren, sie habe schließlich selbst früher viele Gottesdienste begleitet – darunter, als 16-Jährige, den Gottesdienst anlässlich des Besuchs von Papst Johannes Paul II. in Lettland: „Die Orgel ist metaphysisch und sakral - und hebt uns nach oben.“
Diese Einstellung hat auch mit ihrer persönlichen Biografie zu tun: Als sie, die als Fünfjährige mit dem Klavier begann und erst zur Orgel kam, als sie mit den Füßen das Pedal erreichen konnte – als sie also ihre frühe Laufbahn startete, herrschte in ihrer Heimat eine fundamentale politische Umbruchsituation. Die baltischen Staaten lösten sich damals aus dem Herrschaftsverband der UdSSR und wurden unabhängig. Damals kamen in Lettland auch die Kirchen, die in der atheistischen Sowjetzeit eine Existenz am Rand der Gesellschaft gefristet hatten, zu neuen Ehren. Was Folgen hatte auch für die „soziale“ Stellung der Orgel. Auf einmal wurde die wieder an den Konservatorien unterrichtet, schrieben Komponisten Stücke für sie. Ein Schlüsselmoment in Apkalnas Leben: 1991 hörte sie im Dom von Riga ihr erstes Orgelkonzert. Das „saß“, genauso wie die Ermunterung durch ihren Orgellehrer an der dortigen Musikakademie.
Naheliegend ist das aktuelle lettische Orgelschaffen ein Schwerpunkt in Apkalnas Arbeit – mehr zum Beispiel als Bach, der nach wie vor der Heilige etwa der deutschen Orgel-Tradition ist. Der Orgelmusik ihrer Heimat widmet sie ihr zweites Kölner Konzert am 13. Januar. Weiter geht es im Juni 2025 mit einem von Harald Schmidt moderierten Kinder-„Orgelkrimi“ und mit einem Orgel/Streichquartett-Abend. Da spielt sie mit anderen aktuellen Kölner Artists in Residence zusammen: dem Alinde-Quartett.
Apkalna lebt mit ihrem deutschen Ehemann und ihren beiden Kindern meistenteils in Berlin, aber auch in Riga. Auf jeden Fall versteht sie sich als „lettische Patriotin“. Als solche verfolgt sie aufmerksam den nationalistischen Expansionsdrang des russischen Diktators: „Man muss offene Augen und Ohren haben – offenere, als wir sie in den letzten 30 Jahren hatten. Geschichte kann sich leider wiederholen.“ Angst sei aber der falsche Ratgeber: „Wir müssen Angst vor der Angst haben. Der große Bär will ja, dass wir Angst haben.“