Wiesbaden/Berlin – Die Veröffentlichung mutmaßlicher Geheimakten des hessischen Verfassungsschutzes zum NSU auf der Plattform „Frag den Staat“ und bei „ZDF Magazin Royale“ von Jan Böhmermann sorgt für politischen Wirbel. Aus Sicht der Linken kann sich die Öffentlichkeit damit ein eigenes Bild vom Umgang des Verfassungsschutzes mit dem rechten Terror machen. Die CDU warf Böhmermann dagegen vor, die Pressefreiheit überschritten zu haben.
Bei dem seit Freitag abrufbaren Dokument handelt es sich laut Deckblatt um einen Abschlussbericht zur Aktenprüfung im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen im Jahr 2012. Der Bericht ist auf den 20. November 2014 datiert. Zunächst gab es keine offizielle Bestätigung für die Echtheit der Dokumente vom hessischen Innenministerium oder Verfassungsschutz.
NSU-Bericht: „Wir glauben, die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, was in jenen Dokumenten steht“
„Wir glauben, die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, was genau in jenen Dokumenten steht, die ursprünglich für mehr als ein Jahrhundert geheim bleiben sollten“, heißt es auf der dazu eingerichteten Webseite von „Frag den Staat“ und „ZDF Magazin Royale“. Um die Quellen zu schützen, seien die Akten komplett abgetippt und ein neues Dokument erstellt worden, um keine digitalen Spuren zu hinterlassen, schrieb Böhmermann auf Twitter.
Das LfV teilte mit, es prüfe die veröffentlichten Dokumente. Bei daraus folgenden erforderlichen Maßnahmen, vor allem „im Hinblick auf enthaltene personenbezogene Daten und tangierte Staatswohlbelange“, stehe man „im Austausch mit den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden“.
Nach Einschätzung der hessischen Linken entsprechen die Dokumente offenkundig dem Original. „Sie scheinen vollständig und inhaltsgleich transkribiert worden zu sein“, sagte der innenpolitische Sprecher im Landtag, Torsten Felstehausen. Man habe die Texte nebeneinander gelegt und verglichen. Die Abgeordneten hätten im Untersuchungsausschuss Zugang zu den Originalakten gehabt.
Linke begrüßte Veröffentlichung von NSU-Bericht: „Dafür haben wir Jahre gekämpft“
Die Linke begrüßte die Veröffentlichung. „Dafür haben wir Jahre gekämpft“, sagte die Bundesvorsitzende Janine Wissler. „Endlich kann die Öffentlichkeit sich ein eigenes Bild davon machen, wie der sogenannte Verfassungsschutz über Jahre mit Hinweisen auf rechten Terror umgegangen ist.“
Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im hessischen Landtag, Holger Bellino, warf Böhmermann vor, die Pressefreiheit überschritten zu haben. „Es ist nicht auszuschließen, dass Extremisten durch die Verknüpfung dieser Informationen aus anderen Dokumenten Rückschlüsse auf Arbeitsweise und Informanten der Sicherheitsbehörden ziehen können.“ Dadurch könnten „Menschenleben gefährdet und die Arbeit der Sicherheitsbehörden nachhaltig erschwert werden“.
Der „Nationalsozialistische Untergrund“ hatte über Jahre unerkannt mordend durch Deutschland ziehen können. Die Opfer der Rechtsterroristen waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft und eine deutsche Polizistin.
Jahrelanger Streit um NSU-Akten
Die sogenannten NSU-Akten des hessischen Verfassungsschutzes sind Ergebnis einer Prüfung, bei der die Behörde eigene Akten und Dokumente zum Rechtsextremismus auf mögliche Bezüge zum NSU untersucht hatte. Um sie gibt es seit Jahren Streit. Die Akten waren zunächst für 120 Jahre als geheim eingestuft worden, später wurde die Zeit auf 30 Jahre verringert. Mehr als 130 000 Personen hatten in einer Petition die Veröffentlichung gefordert.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im hessischen Landtag, Mathias Wagner, erklärte, die Schlussfolgerungen, die das „ZDF Magazin Royale“ aus dem als „NSU-Akten“ bezeichneten Bericht gezogen hätten, deckten sich mit den Bewertungen, „die bislang aus unserer Sicht alle gezogen haben, die die Akten gelesen haben“.
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Die Unterlagen zeichneten ein desolates Bild über den Zustand des Verfassungsschutzes in den damaligen Jahren, erklärte Wagner unter dem Vorbehalt, dass die Dokumente echt sind. Neue Bezüge zum NSU könnten allerdings nach bisherigen Erkenntnissen nicht hergestellt werden.
Die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags für den Verfassungsschutz habe einen Sonderermittler mit der erneuten Sichtung der Akten beauftragt, erklärte Wagner. Dabei solle auch den in der Petition zur Freigabe der Akten aufgeworfenen Fragen erneut nachgegangen werden.Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Günter Rudolph, teilte am Sonntag mit, die Öffnung der Akten würde einen wichtigen Beitrag leisten, Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen. (dpa)