Soul-Sängerin Joy Denalane ist die erste deutsche Musikerin überhaupt, die ihr neues Album „Let yourself be loved“ bei dem legendären Soul-Label Motown veröffentlicht.
Im Interview spricht sie über die Arbeit an dem neuen Album, die Liebe zu ihrem Ehemann Max Herre und ihren persönlichen Herausforderungen in der Corona-Krise.
Sie spricht aber auch über den Tod von George Floyd, ihre eigenen Erfahrungen mit Rassismus und den gewaltigen Sexismus im Musik-Business.
2020 ist nicht nur wegen der Corona-Krise außergewöhnlich – sondern auch wegen der Black Lives Matter-Bewegung, die aus den USA nach Deutschland geschwappt ist. Wie ging es Ihnen, als Sie vom Tod von George Floyd erfahren haben?
Ich war schockiert und erschüttert. Sein Tod war der Höhepunkt einer Abfolge von Unmöglichkeiten und Gewalt in Amerika. Dass der Vorfall in einer Zeit stattfand, in der die Welt den Atem anhält wegen einer Pandemie, mit der wir nicht umzugehen wissen, hat zu einer unwahrscheinlichen Energie geführt, die einmal um die Welt gegangen ist. Ich finde das gut. Und gut finde ich auch, dass es mittlerweile so viel Forschung zu Rassismus gibt. Erst dadurch haben wir – auch in Deutschland – ein Vokabular, das uns hilft, die Phänomene von Rassismus zu benennen. Nur wenn man ein Problem benennen kann, lassen sich Lösungen finden. Denn dann redet man nicht nur über Emotionen und fiese Ungerechtigkeiten, sondern über Strukturen, die Gewalt ermöglichen. Vor zwanzig Jahren, als ich zum ersten Mal öffentlich über Rassismus gesprochen habe, waren wir noch längst nicht soweit. Dabei gibt es natürlich auch in Deutschland Institutionen, die Rassismus mittragen.
Innenminister Seehofer hat kürzlich eine Rassismus-Studie für die Polizei abgelehnt mit der Begründung, Rassismus bei der Polizei sei ja gar nicht erlaubt. Ihr Kommentar dazu?
Das ist völlig absurd. Seehofer trägt ein wahnsinnige Verantwortung – und zwar nicht nur den Behörden und Kollegen gegenüber, sondern auch der Gesellschaft. Die nimmt er nicht wahr. Seine Haltung sendet kein gutes Signal in dieser aufgeriebenen Zeit. Ob eine Gesellschaft einen Status Quo anerkennt, ist immer stark abhängig von der Bereitschaft der politischen Ebene, Dinge klar zu benennen. Um das mal an einem Beispiel deutlich zu machen: Noch vor einigen Jahren habe ich im Fernsehen mit Politikern diskutiert, die sich geweigert haben, Deutschland als Einwanderungsland zu sehen. Es gab unglaublichen Widerstand, obwohl alle Fakten dafür sprachen. Dann hat Angela Merkel endlich irgendwann gesagt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Ihre Aussage hat der Gesellschaft sehr geholfen, das zu verstehen und mehr oder weniger anzuerkennen.
In Ihrer Biografie heißt es, dass Ihre Mutter Sie und Ihre Geschwister stets perfekt frisiert hat. Mit der Begründung, dass Sie besser sein müssen sein als die anderen, um Ihr Anderssein auszugleichen. Verfolgt Sie dieser Druck bis heute?
Auf jeden Fall. Und ich fühle mich bis heute sehr ambivalent damit. Einerseits verstehe ich die Beweggründe meiner Eltern und finde es wichtig, Kinder darauf vorzubereiten, was ihnen begegnen wird. Ihnen Instrumente an die Hand zu geben, um unangenehme Situationen zu bewältigen – in diesem Fall durch Leistung und eine ordentliche äußere Erscheinung. Dieser Realitäts-Check war wichtig, zumal einige Befürchtungen ja eingetroffen sind. Andererseits finde ich es furchtbar, mit der Vorstellung durch die Welt zu gehen, mehr Leistung bringen zu müssen, nur weil man anders aussieht.
In Ihrer Biografie ist von Verletzungen und Zurückweisungen die Rede. Würden Sie die näher beschreiben?
Klar. Ich bin schon oft diskriminiert worden wegen meiner Hautfarbe. Das ist eine Verletzung, an die man sich niemals gewöhnt. Meine Erfahrungen haben mich sehr skeptisch gemacht. Ich betrete nicht einfach unvoreingenommen einen Raum, sondern frage mich jedes Mal: Wer ist da? Wie kann ein Gespräch verlaufen? Wird im Gespräch ein Satz fallen, den ich unangebracht oder verletzend finde? Diese Skepsis schützt mich. Ich bin ein sehr zurückgezogener Mensch. Das liegt nicht nur daran, dass ich in der Öffentlichkeit stehe, sondern dass ich keine Lust auf Gespräche habe, die in die falsche Richtung abrutschen.
Zur Person
Joy Denalane ist mit fünf Geschwistern als Tochter eines Südafrikaners und einer Deutschen in Berlin aufgewachsen. Ihren Mann Max Herre lernte die Sängerin kennen, als dessen Band Freundeskreis Ende der 90er-Jahre eine Sängerin für das Duett „Mit dir“ suchte. Ihr fünftes Studioalbum „Let yourself be Loved“ erscheint am 4. September.
Gibt es Übergriffe, die Ihnen besonders schmerzlich in Erinnerung bleiben werden?
Da gibt es einige. Aber ich möchte sie lieber nicht nennen. Ich habe es mir abgewöhnt, öffentlich zu erzählen, was mir konkret passiert ist. Ich halte es für hilfreicher, dass wir uns mit der Struktur von Rassismus auseinandersetzen und nicht mit Einzelschicksalen.
Sie kritisieren auch die Strukturen in der Musik-Industrie. Seit 2019 sind Sie Botschafterin für Keychange, einer Initiative, die sich für mehr Gleichberechtigung in der Musikbranche einsetzt. Wie werden Musikerinnen benachteiligt?
Zunächst sind in dem Business fast alle Entscheider-Positionen männlich besetzt. Und das liegt – wie anderswo auch – nicht daran, dass Männer so viel intelligenter sind, sondern an der Struktur. Die Unternehmen haben in meinen Augen eine Verantwortung, bei sich im Haus zu prüfen, wie sie Seilschaften unterbinden und Frauen fördern. Das tun sie aber noch nicht genug. Und dann die Festivals: Viele buchen zu achtzig Prozent Männer. Achtzig Prozent! Wie kann das sein?
Mädchen lernen von klein auf, sich mit Filmhelden oder Musikern zu identifizieren. Bringen Männer umgekehrt deutlich weniger die Bereitschaft mit sich, Künstlerinnen zu feiern?
Für meine Fans kann ich das nicht bestätigen. Aber es gibt eindeutig weniger weibliche Role Models, an denen Frauen sich orientieren können – und damit wird das Problem immer weitergeführt. Denn es braucht diese Identifikation, damit sich mehr junge Frauen ermutigt fühlen, auf Bühnen zu gehen. Aber es ist natürlich schwierig, wenn man dann gegen Mühlen rennt, nicht reingebucht wird auf Festivals oder erst gar keinen Vertrag bekommt.
Sie sind seit 25 Jahren im Geschäft. Welchen Sexismus haben Sie erlebt?
Mit wurde häufig geraten, mich auf der Bühne etwas weiblicher zu geben, kleinere Bewegungen zu machen, nicht so laut zu sprechen. Meine angeblich burschikose Attitüde wurde kritisiert. Das habe ich richtig oft gehört, was mich immer sehr beleidigt hat. Natürlich kamen diese tollen Ratschläge ausschließlich von Männern. Oder der Tipp, doch ein bisschen engere Kleidung zu tragen. Nichts gegen enge Kleidung, aber so etwas lasse ich mir von einem Mann nicht sagen.
Sie sind die erste deutsche Musikerin, die ein Album bei dem legendären Soul-Label Motown veröffentlicht. Was kann nach diesem Ritterschlag noch kommen?
Ich will doch schwer hoffen, dass ich noch ein paar weitere Alben in meinem Leben machen darf. Diese Arbeit macht mir nämlich Spaß. Aber natürlich bin ich sehr stolz auf den Motown-Deal und freue mich, das Unmögliche möglich gemacht zu haben. Zumal ich darauf gar nicht vorbereitet war.
Kam eines Tages plötzlich ein Anruf aus Amerika?
Nein, das lief anders. Als ich das fertige Album zum ersten Mal meiner Plattenfirma (Universal, Anm. der Red.) vorgestellt habe, war einer in dem Meeting so begeistert, dass er vorschlug, die Platte während seines nächsten Amerika-Trips bei Motown vorzuzustellen. Ob ich damit einverstanden wäre? Ich fand die Frage völlig absurd und hätte niemals gedacht, dass von Motown überhaupt eine Reaktion kommt. Kurz darauf kam dann die Nachricht, dass sie die Platte unbedingt wollen.
Mit einer Soulplatte tritt man in gigantische Fußstapfen. Haben Ihnen die Vorbilder im Studio manchmal Angst gemacht?
Ich bin mit so viel Jazz, Funk und vor allem Soul aufgewachsen, ich kenne fast gar nichts anderes. Von daher gab es für mich nie die Frage, ob ich mich das jetzt trauen darf. Da war vor allem ein großes Gefühl der Vertrautheit mit dem Sound.
Öffnen sich jetzt als Mitglied der Motown-Familie bislang verschlossene Türen in Amerika für Sie?
Das hoffe ich sehr. Leider lässt sich wegen Covid-19 überhaupt nicht planen, wann und wie ich in Amerika auftrumpfen kann mit meiner Platte. Auch in Deutschland sind Live-Shows ja eine große Frage, vor der die gesamte kreative Branche steht.
Wenn es Corona nicht gäbe – was wäre Ihr großer Traum in Amerika?
Etwas mit Stevie Wonder machen!
Wenn Konzerte als Einnahmequelle für ein neues Album ausfallen: Müssen Sie sich finanziell Sorgen machen?
Auf Dauer schon, klar. Gerade geht es noch.
Was macht Ihnen in der Krise am meisten Angst?
Dass meinen Freunden oder meiner Familie etwas zustößt.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir eine zweite Welle abwenden können, wenn Sie durch Ihre Heimat Berlin laufen?
Ich fürchte, wir sind schon in der zweiten Welle. Es ist ja nicht so, dass Corona gerade Sommerpause hat. Ich gehe davon aus, dass die Zahlen im Herbst ansteigen werden. Dann wird es interessant, wie die Sicherheitsvorkehrungen aussehen.
„Let yourself be loved“ ist ein Album über die Liebe. Ihre mittlerweile über 20-jährige Beziehung zu dem Musiker Max Herre wurde – inklusive Tiefen – immer auch öffentlich thematisiert. Erhöht das die Herausforderungen, die eine Beziehung mit sich bringt?
Ich finde, wir sind relativ in Ruhe gelassen worden. Das liegt auch daran, dass wir trotz Trennung und einigen Dramen gar nicht so viel Fläche geboten haben. Wir sind kein Paar, dass sich in der Öffentlichkeit stark profiliert. Die Leute kommen uns auch nicht zu nah auf der Straße, weil wir vermutlich ausstrahlen, dass uns das nicht lieb wäre. Ich weiß allerdings gar nicht, wie meine Beziehung ohne diese Öffentlichkeit verlaufen wäre.
Wo Sie schon auf dem Album so viel über die Liebe singen: Wie lautet Ihr Rat für eine lange Beziehung?
Dem Partner Raum geben. Leider beobachte bei anderen Paaren häufiger egozentrische Momente, wo der eine dem anderen seinen großen Moment nicht gönnt. Missgunst ist ganz schlecht. Und diese Eifersuchts-Nummer, die sollte man auch sein lassen.
Besteht bei einem Künstlerpaar nicht auch die Gefahr, den Partner als Konkurrenten zu sehen?
Ich beobachte das bei anderen durchaus. Ich habe noch nie in Konkurrenz gedacht zu Max. Worin sollte die auch bestehen?
Im Vergleich der Charts-Platzierungen zum Beispiel.
Oh Gott, nein.
Welchen Fehler haben Sie in Ihrer Beziehung gemacht?
Wir haben sehr schnell zwei Kinder bekommen, dadurch war richtig viel los. Zusätzlich waren wir beide sehr viel unterwegs und haben uns in unserem Hamsterrädern aus den Augen verloren. Ich weiß nicht, ob ich das heute anders machen würde. Aber es ist wichtig, sich nicht nur mit sich selbst zu beschäftigen, sondern einen liebevollen Blick auf den Partner und das, was man zusammen hat, zu bewahren.
„I Believe“ heißt die erste Single auf Ihrem Album. Woran glauben Sie in diesem komischen Jahr 2020 ganz besonders?
Ich glaube immer noch an die Liebe. Und an Menschen, weil wir zu fantastischen Dingen in der Lage sind. Ich hoffe nur, dass wir einen Weg finden, uns besser zuzuhören. Das Potential ist da, nur mit der Ausführung klappt es nicht so. Weil wir als Gesellschaft angetrieben werden vom Leistungsdruck und der Selbstoptimierung.