Köln – Am Mittwochabend empfing Köln hohen Besuch aus dem Vatikan, und auch Kardinal Rainer Maria Woelki dürften diese Visitatoren hoch willkommen sein. In einer gut gesicherten Transportkiste brachten sie den in den Vatikanischen Bibliotheken aufbewahrten „Codex Theodosianus“ in die Stadt, eine Gesetzessammlung aus dem sechsten Jahrhundert, in der sich ein welthistorisches Dekret des römischen Kaisers Konstantin erhalten hat.
Im Jahr 321 verfasst, teilt Konstantin darin den Kölner Stadtvertretern mit, dass auch ihre jüdischen Mitbürger fortan in die Kurie, eine Art Stadtverwaltung, aufgenommen werden dürfen. Es ist somit der erste amtliche Nachweis für die Ansiedlung von Juden in Deutschland. Die vatikanische Leihgabe ist die älteste erhaltene Abschrift des Dekrets.
Sie wird ab dem 15. September in der Ausstellung „In die Weite – Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland“ zu sehen sein, die Kolumba, das Kunstmuseum des Kölner Erzbistums, gemeinsam mit dem Jüdischen Museum MiQua erarbeitet hat. Allerdings bleibt das Dokument nicht über die gesamte Ausstellungsdauer hinweg in Köln, sondern laut Erzbistum lediglich für fünf Wochen.
Wie das Leben der Juden in der römischen Provinzstadt Köln im Jahr 321 ausgesehen haben könnte, wissen wir heute nicht. Kein materielles Zeugnis belegt ihre Anwesenheit, und doch gilt als gewiss, dass sie Bürger der Colonia Claudia Ara Agrippinensium waren, und das vermutlich schon lange vor besagtem Datum.
321 aber wurde es amtlich, da brachte ein Dekret die Kölner ins reichsweite Gespräch, als Kaiser Konstantin an die Stadtvertreter schrieb, dass sie nun Juden in den Rat berufen dürften: Ein Brief, der sich im übertragenen Sinn an die Nachwelt richtete, denn durch dieses Gesetz haben wir Kenntnis vom 1700 Jahre zurückreichenden jüdischen Leben in der Stadt.
Was bedeutete das Dekret für die in Köln lebenden Juden?
Der Kaiser versäumte nicht hinzuzufügen, dass die neuen Würdenträger für ihre hinzugewonnene Verantwortung durchaus Trost verdienten. Mit der ehrenvollen Berufung in den Stadtrat war nämlich auch die Auflage verbunden, mit dem persönlichen Reichtum für die Steuerleistungen der Stadt zu bürgen.
Vermögende Juden durfte jetzt also als Sponsoren der Stadtgeschäfte auftreten, was in wirtschaftlich guten Zeiten einer lohnenden Investition in Geld und Renommee gleichkam. Im Jahr 321 ging die römische Provinz jedoch durch eine tiefe finanzielle Krise – die scheinbare Gleichstellung der Juden war also eher eine Zwangsverpflichtung.
War es schwierig, die Leihgabe nach Köln zu bringen?
Das Schriftstück ist höchst empfindlich, weshalb es aus konservatorischen Gründen nicht reisen sollte. Es wird daher nur in absoluten Ausnahmefällen ausgeliehen. Laut Auskunft des Erzbistums Köln ist die Leihe das Ergebnis langer Verhandlungen: „Mit dem nachdrücklichen Eintreten des Kölner Erzbischofes, Rainer Maria Kardinal Woelki“, heißt es, „ist es gelungen, dieses einzigartige Dokument nach Köln zu holen.“
Wie begeht Köln das Festjahr 1700 Jahre Jüdisches Leben?
Konstantins Schreiben datiert vom 11. Dezember 321, die Jubiläumsfeierlichkeiten aber ziehen sich durchs ganze Jahr 2021 und begannen mit einem Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Kölner Synagoge in der Roonstraße. Es war der Auftakt eines gesamtdeutschen Gedenkjahrs, an dem sich zahlreiche Institutionen und Initiativen mit Ausstellungen und Projekten beteiligen.
Wo wird die jüdische Geschichte in Köln gezeigt?
Momentan gibt es keinen zentralen Ort dafür. Aber dieser entsteht gerade vor dem Kölner Rathausplatz, exakt an jener Stelle, an der zwischen 1953 und 1956 archäologische Reste einer Synagoge und Mikwe, dem rituellen Bad, und damit Belege aus der Frühzeit des Judentums in Deutschland gefunden wurden.
Die Entstehung des Jüdischen Museums an dieser Stelle weist Köln im Jubiläumsjahr eine besondere Rolle zu. Mit offiziellem Namen heißt das neue Haus „MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln“.
Es wächst über der Archäologischen Zone empor und wird die antiken und mittelalterlichen Funde im Untergrund mit der auf großzügige Etagen verteilten Ausstellung verbinden.
Wie sah das Leben der Juden im mittelalterlichen Köln aus?
Was ihre Größe betraf, wird die Kölner Gemeinde vergleichbar mit der in anderen großen römischen Siedlungen in Deutschland gewesen sein, zudem war Köln ein bedeutendes Wirtschaftszentrum. In welchem Spannungsverhältnis sich das jüdische Leben im mittelalterlichen Köln abspielte, dokumentiert auch der Dom.
Hier steht die große Steintafel mit den Privilegien, die der Erzbischof den Juden verlieh, um sich als ihre Schutzmacht gegen den Rat zu positionieren – wobei dies nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sich die Christen als die Vertreter der überlegenen Religion sahen und im Sinne des theologisch begründeten Antisemitismus des Mittelalters dementsprechend handelten.
Zeugnis dafür ist die Darstellung einer „Judensau“ im Chorgestühl des Doms. Diskriminierung, Mord, Pogrome, Vertreibung, auch das gehört zur jüdischen Geschichte Kölns und des Rheinlands, mit dem Kulminationspunkt des Pestpogroms im 14. Jahrhundert, in dessen Gefolge es 1424 zur Verbannung der wenigen, wieder geduldeten Juden aus der Stadt „auf alle Ewigkeit“ kam.
Was wird in der Ausstellung in Kolumba noch zu sehen sein?
Das ist wie bei allen Jahresausstellungen von Kolumba bis zur Eröffnung ein Geheimnis. Allerdings kündigt das Haus etwa 100 internationale Leihgaben an, mit denen es „über jüdisches Leben in Vergangenheit und Gegenwart facettenreich“ berichten will.
Mit Kunstwerken der Kolumba-Sammlung sollen die dabei „angesprochenen Themen um eine existenzielle und emotionale Erfahrung bereichert“ werden. Keine leichte Aufgabe, nimmt man die über viele Jahrhunderte hinweg schwierige Beziehung zwischen Juden und Katholischer Kirche zum Maßstab.